„Ich bin froh, jetzt zwei Wochen hier sein zu können, und hab’ im Biergarten schon ein Paar Weißwürst’ gegessen.“ Nach zwei Monaten ist Claus-Peter Reisch, 57, wieder in Landsberg am Lech, trifft seine Lebensgefährtin, kümmert sich um seine Mutter und sieht Freunde wieder. Im Malta wird dem Kapitän des zivilen Seenotrettungsschiffs „Lifeline“ derzeit der Prozess gemacht. Italien und Malta hatten der „Lifeline“ mit 234 vor Libyen geretteten Flüchtlingen an Bord Ende Juni, Anfang Juli sechs Tage lang verwehrt, in einen Hafen einzulaufen.
Claus-Peter Reisch ist seit 2015 als ehrenamtlicher Seenotretter tätig
Die Reisetasche steht noch im Wohnzimmer des Einfamilienhauses in einem Wohngebiet. Zeit zum richtig Ankommen hatte Reisch noch nicht, auch die Ziehharmonika, auf der er seit sieben Jahren spielt, steht noch unberührt da. Trotz der Anspannung der vergangenen Wochen, den gerichtlichen Anhörungen und Interviews erweist er sich als eloquenter Berichterstatter und Streiter für die zivile Seenotrettung. Den Medienrummel habe er nicht herbeigesehnt. Er stellt sich ihm aber, um seine Sicht der Dinge zu transportieren.
Der gelernte Kfz-Mechaniker hatte ein Unternehmen für Installations- und Sanitärbedarf. Er wirkt pragmatisch und sah sich früher als eher unpolitischen Menschen. Zur Seenotrettung kam der geborene Münchner über den Segelsport. Bei einem Segeltörn 2015 vor Griechenland beschäftigte ihn, was wäre, wenn er einem Flüchtlingsboot begegnete. Aus diesem Gedanken entwickelte sich das Engagement als Seenotretter – übrigens ehrenamtlich und unentgeltlich, wie er anderslautenden Gerüchten entgegenhält: „Wir, die Crew, zahlen den Flug nach Malta selbst.“
Verhandlung gegen den „Lifeline“-Kapitän wird am 30. Juli fortgesetzt
Mittlerweile äußert Reisch sich dezidiert politisch, geißelt das Verhalten der europäischen Regierungen. Denn zivile Seenotrettung findet derzeit nicht statt. Wie Reisch berichtet, seien für den Juli schon 700 Tote gezählt worden. Die Lifeline ist beschlagnahmt. Die Justizbehörden in Malta werfen Reisch vor, dass das Schiff nicht richtig zertifiziert sei. Am 30. Juli ist wieder Verhandlung.
Für Reisch ein absurder Vorwurf. Er zeigt die Kopie der Zulassung als Freizeitschiff für den einstigen Fischkutter, der für die Dresdner Organisation Mission Lifeline unterwegs ist – und dies seit 2016, ohne dass es bisher Beanstandungen gegeben habe. Auch die These, die „Lifeline“ hätte die Flüchtlinge an die libysche Küstenwache übergeben sollen, weist er zurück, da er Gerettete zu einem sicheren Hafen bringen müsse, was Tripolis nicht sei. Er rekonstruiert die Vorgänge detailliert: vom Erkennen dreier Objekte auf dem Radar, der Rettung der 234 Flüchtlinge aus zwei maroden Booten – das dritte war offensichtlich untergegangen – bis hin zur „fast komischen Kommunikation schreiend von Schiff zu Schiff“ mit der libyschen Küstenwache. Reisch verweist nicht nur auf die Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch auf Seerechtsabkommen und die Europäische Konvention für Menschenrechte. Er fühlt sich im Recht und sieht der Gerichtsverhandlung gelassen entgegen.
Kapitän Reisch würde sofort wieder in See stechen
Immer wieder schildert er emotionalen Augenblicke, beispielsweise während des Kontakts mit der Libyschen Küstenwache: Ein Flüchtling klammerte sich weinend an Reischs Beine und bat eindringlich darum, nicht ausgeliefert zu werden, er würde eher ins Wasser springen. „Das sind so Sachen, die vergisst man nicht so schnell.“ Auch nicht die Toten, die aufgebläht im Meer schwimmen oder die Toten, die es in fast jedem Flüchtlingsboot gebe. Wenn wieder ein Schiff zur Seenotrettung ausläuft, würde er als Kapitän wieder mitfahren? „Sicher“, kommt die Antwort ohne Überlegen: „Den Schneid abkaufen lass’ ich mir nicht“.
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