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Schwaben: Sollen Kühen die Hörner entfernt werden?

Schwaben

Sollen Kühen die Hörner entfernt werden?

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    Armin Capaul kämpft dafür, dass Kühe ihre Hörner behalten dürfen.
    Armin Capaul kämpft dafür, dass Kühe ihre Hörner behalten dürfen. Foto: Jan Dirk Herbermann

    Nena hebt den Kopf. Die beiden Hörner ragen spitz in die Höhe.

    Das Horn ist angenehm warm. Im Innern pulsiert das Blut. „In der ganzen Schweiz hat nur noch eine von zehn Kühen ihre Hörner“, sagt Capaul mit knarziger Stimme und stapft über die schräg ansteigende Wiese zurück zu seinem Bauernhof. Das Gelände in der Gemeinde Perrefitte umfasst 17 Hektar Land und Wald. „Die Bilder in der Werbung, auf denen wir grüne Weiden mit behornten Tieren sehen, gaukeln uns nur etwas vor“, murmelt Capaul, während er seine Kopfbedeckung, sein „Käppli“, nach hinten rückt. Rund 200.000 Kälber, so Schätzungen, verlieren in der Eidgenossenschaft pro Jahr ihre zarten Hörner. Sie werden weggebrannt, weggeschnitten. Capaul ist sich sicher: „Trotz der vorgeschriebenen Betäubung ist die Enthornung sehr schmerzhaft, viele Tiere leiden lange darunter.“ Der Eingriff erfolge mit einem Brennstab, mehrere hundert Grad heiß.

    Volksabstimmung in der Schweiz soll Kühe vor der Enthornung bewahren

    Capaul erzählt von seiner Mission. Diese soll, so stellt er sich das vor, am 25. November in einem Triumph enden. An diesem Tag entscheiden die Eidgenossen über Capauls „Hornkuh-Initiative“. Der Bauer hofft bei der Volksabstimmung auf einen klaren Sieg, „aber alle müssen wählen gehen, auch die vielen Schweizer im Ausland". Capaul will die Schweizer Kuh vor der Enthornung bewahren, er will ihr, wie er sagt, die Würde zurückgeben. „Die Schöpfung hat den Tieren ihre Hörner gegeben. Sie tragen sie mit Stolz und Achtsamkeit“, sagt er. Sein zerfurchtes Gesicht nimmt ernste Züge an.

    Nicht nur in der Schweiz, auch in Bayern wird seit Jahren über die Enthornung von Kühen diskutiert und gestritten. Auf der einen Seite stehen die, die sich dagegen wehren, dass die Tiere „verstümmelt“ werden, wie sie sagen. Die, die sich wünschen, dass eine Kuh eben so aussehen soll, wie das von der Natur eigentlich gedacht ist. Und auf der anderen Seite sind die, die es ganz anders sehen – und ebenfalls mit dem Tierschutz argumentieren.

    Schwabens Bauernchef Alfred Enderle ist dafür, dass Kühe enthornt werden.
    Schwabens Bauernchef Alfred Enderle ist dafür, dass Kühe enthornt werden. Foto: Ralf Lienert

    Einer davon ist Alfred Enderle, Schwabens Bauernpräsident. Enderle hält in Wertach im Oberallgäu selbst Kühe. Hörner hat keine von ihnen. Wenn die Kälbchen noch ganz klein sind, nicht älter als sechs Wochen, werden ihnen die Hornanlagen verödet. Enderle spritzt den Tieren ein Mittel unter die Haut, das sie ruhigstellt. Nach der Verödung mit einem Brennstab bekommen die Kälber ein Schmerzmittel. Dass die Prozedur den Kälbern stark zu schaffen macht, glaubt Enderle nicht. „Das ist eine unblutige Angelegenheit. Durch das Ruhigstellungsmittel sind sie kurz benommen, aber nach ein paar Stunden sind sie wieder wie zuvor.“

    Verletzungen durch Kuhhörner: Es gab schon Todesfälle

    Für ihn führt kein Weg an der Enthornung vorbei. Denn so würde das Risiko gesenkt, dass Landwirte bei ihrer Arbeit verletzt werden. Etwa dann, wenn sie eine Kuh zum Melken anbinden und das Tier mit dem Kopf eine lästige Fliege verscheuchen will, stattdessen aber den Bauern trifft. „Besonders häufig sind Verletzungen an den Augen. Es kommt aber auch zu Bauchverletzungen oder gebrochenen Rippen. Und es gab auch schon Todesfälle.“

    Deutschlandweit verzeichnete die Sozialversicherung für Landwirtschaft im Jahr 2014 etwa 6000 Unfälle mit Rindern. Bei 17 Prozent war ein Kopfstoß der Tiere die Ursache. Bei jedem fünften dieser Kopfstöße war ein Horn beteiligt – die Versicherung führt die geringe Zahl darauf zurück, dass das Enthornen mittlerweile bei den meisten Bauern Usus ist.

    Der Schutz der Landwirte ist aber nicht das einzige Argument, das Enderle ins Feld führt. Es geht ihm auch darum, dass sich die Kühe nicht selbst verletzen. „Wenn sie sich frei im Laufstall bewegen, dann fechten sie ihre Rangordnung aus.“ Die überwiegende Mehrheit der Bauern würde den Tieren die Hörner entfernen, sagt Enderle. Er glaubt, dass in der Region, ähnlich wie in der Schweiz, nur noch eine von zehn Kühen Hörner trage.

    Volksabstimmungs-Aktivist Capaul: „Wir wollen kein Verbot der Enthornung“

    Viele Eidgenossen wollen diesen Zustand nicht länger hinnehmen. Das merkt man auch daran, dass der Kampf für das Symboltier der Schweiz dem kauzigen Landwirt Capaul enorme Popularität beschert. Immer wieder machen sich Fans und Tierfreunde zu seinem entlegenen Hof auf, der nur über einen steinigen Pfad durch den dichten Gebirgswald zu erreichen ist. In Capauls Arbeitszimmer stapeln sich zugesandte Plüschtiere, selbstverständlich mit Hörnern, und zustimmende Briefe. Die Fachzeitung Schweizer Bauer berichtete über den „Bergrebell“ ebenso wie die Neue Zürcher Zeitung, die in ihm den kommenden „Nationalhelden“ Helvetiens sieht. Das Buch „Kuhhorn“ über Capaul erscheint sogar in Japan.

    Was fordert Capaul genau? Er und seine Mitstreiter setzen auf ein finanzielles Anreizsystem zum Wohl der Tiere. Vater Staat soll den Bauern, die behornte, erwachsene Kühe halten, für ihren Mehraufwand entschädigen. Das Gleiche gilt für Stiere, Ziegen und Ziegenböcke. Weil die scharfen Hörner der Vierbeiner eben gefährlich werden können, für ihre Artgenossen und den Menschen, brauchen Tiere mit Horn größere, speziell ausgerüstete Ställe. Diese Einrichtungen kosten mehr Geld als Behausungen für Tiere ohne Hörner. Letztlich käme also der Steuerzahler für das Bewahren der Hörner auf.

    Capauls politisches Ziel ist also eine finanzielle Förderung. „Wir wollen kein Verbot der Enthornung“, stellt Capaul klar, greift in seinen Tabakbeutel und dreht sich eine Zigarette. Den Qualm in die klare Luft pustend sagt er: „Wir sind gegen Zwang.“ Die Ehefrau des Bergbauern, Claudia, steht in ihrem Blumen- und Gemüsebeet. Sie stimmt ihrem Armin zu: „Ja, alles muss freiwillig geschehen.“

    Kuhglocken bimmeln, ein Hund bellt, Capauls Sohn Donat mistet gerade den Stall aus. „Wissen Sie“, sagt der Vater, „das Horn der Kuh wächst ein Leben lang, es ist mit dem Verdauungssystem verbunden, dient der Körperpflege und auch der Kommunikation.“ Die Hörner, findet Capaul, sind die „Antennen“ seiner vierbeinigen Freunde.

    Bio-Bäuerin: Kuh-Hörner sind ein Spiegel der Vitalität

    Dass Hörner für eine Kuh ungemein wichtig sind, davon ist auch Susanne Schwärzler, Bio-Bäuerin aus Kempten, überzeugt. „Die Hörner sind ein blutbildendes Organ und ein Spiegel der Vitalität. Man sieht an der Form und am Zustand, wie gut eine Kuh ernährt ist“, sagt Schwärzler, die ihre Tiere nach den strengen Kriterien des Demeter-Bio-Siegels hält, die eine Enthornung verbieten. Dass es mittlerweile deutlich mehr Kühe ohne Hörner gibt, sei eine traurige Entwicklung. „Wir müssen uns doch nach der Natur richten und nicht die Natur nach uns“, sagt sie und hält kurz inne. Dann fügt sie hinzu: „Wissen Sie, es ist doch so: Die Natur hat immer recht.“

    Schwärzler wehrt sich auch gegen das Argument, dass sich die Tiere mit ihren Hörnern gegenseitig oft verletzten. „Unsere Kühe sind im Sommer Tag und Nacht auf der Weide. Und auch im Winter treiben wir sie ständig raus. Wenn Kühe genügend Platz haben und nicht in einem engen Stall stehen, dann verletzen sie sich und andere selten.“

    Die Allgäuerin kennt den Schweizer Armin Capaul und sein Vorhaben gut. Und sie würde sich wünschen, dass auch in Deutschland eine Abstimmung der Bevölkerung angestoßen wird. In Capauls Heimat hat alles vor elf Jahren angefangen. Damals sagte er sich: Schluss mit dem Enthornen. Weil Briefe an die Regierung in Bern keine Ergebnisse brachten, griff Capaul zu dem Instrumentarium, das so besonders in der Schweiz ist: die ausgeprägte direkte Demokratie. Der Bauer und seine Helfer sammelten 155.000 Unterschriften für das Zustandekommen einer Volksabstimmung. Nötig gewesen wären nur 100.000 Unterschriften. Gut 55.000 Franken eigenes Geld steckte Capaul in seine Kampagne. „Ich musste mein Sparbüchli plündern“, erinnert er sich. Doch das war es ihm wert: „Der Schutz der Tiere ist mir eine Herzensangelegenheit.“

    Die Regierung lehnt die Initiative ab. Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann scheut sich vor allem vor den Mehrausgaben. Von bis zu 30 Millionen Franken pro Jahr ist die Rede. „Das Geld für die Umsetzung müsste andernorts im Landwirtschaftsbudget eingespart werden, was schwierig wäre“, gibt der Minister in einem Interview zu bedenken.

    Capaul spürt Gegenwind auch von anderen Bauern. Etliche seiner Kollegen bestreiten, dass die Kälber beim Enthornen leiden. „Ja, ich kenne diese Argumente“, sagt Capaul und blättert in den Broschüren seiner Gegner. Über seinen Hof breitet sich langsam die Dunkelheit aus. „Aber glauben Sie mir, ich habe schon so manchen Schmerzensschrei eines Kalbes gehört, als der Brennstab angesetzt wurde.“

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