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Corona-Krise: Lehrer über Schule und Corona: "Ich habe jeden Tag Angst"

Corona-Krise

Lehrer über Schule und Corona: "Ich habe jeden Tag Angst"

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    Lehrer stehen teilweise vor mehr als 30 Schülern. Der Corona-Mindestabstand lässt sich nicht immer einhalten.
    Lehrer stehen teilweise vor mehr als 30 Schülern. Der Corona-Mindestabstand lässt sich nicht immer einhalten. Foto: Julian Stratenschulte , dpa (Symbolbild)

    Erst sollten die Schulen so lange wie möglich geöffnet bleiben. Dann kam der Wechselunterricht. Und ab Mittwoch schließen die Schulen ganz. So haben Lehrer verschiedener Schularten die vergangenen Wochen erlebt.

    Realschullehrer aus dem Kreis Dillingen: „Wir können Distanzunterricht meistern!“

    Wie geht es mir als Lehrer in meinem Traumberuf? Nun, ich erlebe ein Wechselbad der Gefühle. Ich verspüre Freude, Begeisterung, Dankbarkeit, Erstaunen, Verwunderung und auch Wut. An meiner Schule haben wir mit großer Anstrengung der Schulfamilie die Situation sehr gut gemeistert. Wir verfügten schon vor der Pandemie über die digitalen Möglichkeiten, auf Distanzunterricht zu reagieren und alle Schüler über Videostream zu erreichen. Wir können Distanzunterricht meistern! Lehrer und Schüler müssen es aber auch wollen.

    Trotzdem kann ein Stream nicht den Präsenzunterricht ersetzen. Die Lehrer-Schüler-Beziehung ist für den schulischen Erfolg von großer Bedeutung. Das habe ich bei vielen Schülern erlebt, die einen großen Rückstand beim ersten Lockdown erlitten haben. In den ersten Schulwochen im September waren die positiven Emotionen bei Schülern wie Lehrern deutlich wie nie zu spüren. Man konnte endlich wieder gemeinsam Schule erleben.

    Schulen waren im Frühjahr schon einmal geschlossen. Ab Mittwoch sind sie es wieder.
    Schulen waren im Frühjahr schon einmal geschlossen. Ab Mittwoch sind sie es wieder. Foto: Britta Pedersen, dpa

    In den letzten Wochen haben sich aber bei mir vermehrt negative Emotionen hervorgetan. Ich habe das Gefühl, der Gesundheits- und auch Infektionsschutz steht nicht mal mehr im Hintergrund. Ob Lehrer getestet oder in Quarantäne geschickt werden, liegt mehr oder weniger an ihnen selbst. Ich habe zwar keine Angst, aber Schule ist eine Massenveranstaltung mit bis zu 1000 Menschen in geschlossenen Räumen. Musste ich in den ersten Monaten der Pandemie Schüler täglich an die AHA-Regeln erinnern, so muss ich nun täglich begründen, warum wir bei diesen Zahlen noch ohne Abstand in unseren Klassenzimmern sind, ohne selbst von der Regelung überzeugt zu sein. Durch die Beschlüsse vom Wochenende hat sich das nun erledigt, vorerst!

    Gymnasiallehrerin aus dem Kreis Aichach-Friedberg: „Mindestabstand? Ist nicht möglich!“

    „Ich stehe vor Klassen, die aus mehr als 30 Schülern bestehen. Die Einhaltung des Mindestabstands ist von vornherein gar nicht möglich. In den Pausen bin ich dann dafür verantwortlich, dass die gleichen Kinder den Abstand von 1,5 Metern einhalten. Das ist nicht vermittelbar und birgt enormes Konfliktpotenzial. Es ist kein gutes Gefühl, derzeit vor Klassen mit mehr als 30 Schülern zu stehen, die mal mehr und mal weniger schniefen und husten. Ich habe weder die vom Kultusministerium angekündigten FFP2-Masken bekommen noch die versprochenen CO2-Ampeln. Immerhin gibt es ausreichend Desinfektionsmittel. So schrubbe ich seit Monaten fleißig Schülerbänke, greife auf die selbst genähte Stoffmaske zurück, unterrichte im Wintermantel, weil wir regelmäßig lüften müssen und hoffe einfach, dass alles gut geht.

    Mittelschullehrer aus dem Kreis Günzburg: „Lüftungszeiten stoppen wir mit dem Handy“

    Ein kalter Dienstagmorgen im Dezember, die ersten Neuntklässler kommen in meinem Klassenzimmer an. Maske tragen und Händewaschen, das läuft mittlerweile automatisch. Erst mal wird gelüftet, sogar Durchzug ist über die Fenster im Gang möglich. Die Lüftungszeiten stoppen wir genau mit Tablet oder Handy, damit es nicht unerträglich kalt wird. Gut, dass alle Schüler mit dicken Jacken, teilweise auch mit Decken ausgerüstet sind.

    Wegen Corona muss in den Klassenzimmern häufiger gelüftet werden als sonst.
    Wegen Corona muss in den Klassenzimmern häufiger gelüftet werden als sonst. Foto: Guido Kirchner, dpa

    In der ersten Stunde lesen wir über die aktuellen Corona-Maßnahmen. Warum kann man sich vor 21 Uhr treffen, danach aber nicht mehr, ist eine der Fragen. Meine Neuntklässler und ich bedauern, keine Abschlussfahrt planen zu können, kämpfen mit den Problemen bei der Praktikumssuche und vermissen den Sportunterricht, aber wir sind froh, dass wir so lange nicht in den Wechsel- oder Distanzunterricht mussten. In der Schule lernt es sich besser als zu Hause, auch wenn mittlerweile eine größere Anzahl Leihlaptops zur Verfügung steht. Das Hygienekonzept unserer Mittelschule ist vorbildlich, trotzdem ist die Angst vor einer möglichen Ansteckung immer präsent.

    Grundschullehrerin aus dem Kreis Augsburg: „Ich habe jeden Tag Angst“

    Ich bin Grundschullehrerin und über 60, weshalb ich eigentlich als Risikopatientin gelte und von zu Hause aus Unterricht für eine Teamlehrkraft vor- und nachbereiten könnte. Aber: Ich liebe meine Arbeit, bin mit Leib und Seele Lehrerin und ich weiß, dass jeder Lehrer momentan dringendst gebraucht wird, weshalb ich trotz allem normal in dieses Schuljahr gestartet bin. Ich habe trotzdem jeden Tag Angst. Angst, wenn ich meinen Schülern Aufgaben am Platz erklären muss. Angst, wenn ich mit dem nichtdeutschsprachigen Kind ganz deutlich und aus nächster Nähe sprechen muss. Angst, wenn das Kind, das mit ärztlichem Attest keinen Mund-Nasen-Schutz tragen muss, seinen Platz verlässt. Angst, wenn ich höre, dass zwei Klassen an unserer Dorfschule wegen Corona-Fällen in Quarantäne müssen.

    Ich mache mir Sorgen um meine Gesundheit, aber auch um die Kinder, deren Eltern und Großeltern. Ich bin froh, dass die Schulen diese Woche schon zugemacht werden. Natürlich nicht, weil ich zu „faul“ bin. Sondern, weil das „diffuse“ Infektionsgeschehen meines Erachtens sehr wohl daher rühren kann, dass asymptomatisch erkrankte Kinder das Virus in die Einrichtungen tragen und andere Kinder es dann unbemerkt mit nach Hause schleppen.

    Wie sehr Kinder das Virus übertragen, ist umstritten.
    Wie sehr Kinder das Virus übertragen, ist umstritten. Foto: Bernd Wüstneck, dpa

    Berufsschullehrerin aus dem Unterallgäu: „Berufliche Schulen nicht berücksichtigt“

    Die beruflichen Schulen haben schon seit der vergangenen Woche geschlossen – mit Ausnahmen. Erst einen Tag vor dem Start der Maßnahmen erfuhren meine Kollegen und ich konkret und offiziell, wie es bei uns weitergehen würde. Für mich absolut unverständlich war, warum Schüler der Fachober- und Berufsoberschule größtenteils weiter Präsenzunterricht haben sollten, während Schüler der Fach- und der Berufsfachschulen, die zum gleichen Abschluss führen, zum Distanzunterricht übergehen mussten. Man bekommt das Gefühl, dass in den Planungen die ganzen anderen beruflichen Schularten, die wir in Bayern haben, nicht wirklich berücksichtigt werden.

    Nun werden alle Schulen schließen. Generell bin ich froh, dass jetzt Distanzunterricht herrscht, da ich mich in besonders großen Klassen trotz Masken und Lüften unwohl gefühlt habe. Es war für mich schon lange fraglich, warum in meinem Landkreis große Klassen nicht geteilt werden mussten, um zusätzlich zur Mund- und Nasenbedeckung den Mindestabstand einhalten zu können. Obwohl jeder dieses Schuljahr mit Digitalunterricht rechnen musste, sind trotzdem viele Rahmenbedingungen dafür, wie beispielsweise eine leistungsfähige und datenschutzkonforme Videokonferenzsoftware und eindeutige Regelungen etwa für Leistungserhebungen, (noch) nicht geschaffen. Dies führt zu Unsicherheiten auf Schüler- und Lehrerseite.

    Grundschullehrerin aus dem Kreis Landsberg: „Uns Lehrern blutet gerade das Herz“

    Statt Klassen wie vom Robert-Koch-Institut gefordert ab einer Inzidenz von 50 zu teilen, ließ man die Schulen – insbesondere Grund- und Förderschulen – in der Umsetzung der AHA- und Lüftregeln alleine. Zum Beispiel das Händewaschen – ein Riesenspaß, wenn man die Unterrichtsstunde 15 Minuten vor Klingelzeichen beenden muss, damit sich alle 25 Kinder mehr oder minder sinnvoll im engen Klassenzimmer die Hände am einzigen Waschbecken mit kaltem Wasser säubern können. Aber gut, wenigstens Seife ist in ausreichendem Maße vorhanden. Abstand halten fällt auch in anderen Situationen schwer. Schon im Schulhaus, beim Aufstellen nach der Pause, selbst beim Verlassen des Gebäudes ist dies einfach mit den „Kleinen“ kaum umzusetzen. Viele Kinder halten sich diszipliniert an die Vorgaben, doch selbst der bemühteste Schüler kann nicht immer die Kontrolle über alles behalten.

    Kinder müssen im Unterricht Masken tragen. Viele hielten sich diszipliniert an die Vorgaben, sagt eine Grundschullehrerin aus dem Landkreis Landsberg.
    Kinder müssen im Unterricht Masken tragen. Viele hielten sich diszipliniert an die Vorgaben, sagt eine Grundschullehrerin aus dem Landkreis Landsberg. Foto: dpa

    Alles in allem haben wir Lehrer gerade eine extrem schwierige Aufgabe. Der Lehrermangel und der fehlende Gesundheitsschutz machen die Situation fast unerträglich. Doch Ihr Mitleid sollte nicht uns, sondern den Kindern gelten: Schule unter diesen Umständen ist gerade für die Kleinsten keine Freude, sondern eine Zumutung. Weshalb konnten die sinnvollen Konzepte mit Hybridunterricht und Teilung der Klassen, die im Sommer organisiert und erfolgreich durchgeführt wurden, nicht weitergeführt werden? Konzepte, bei denen Abstand gehalten werden konnte, bei denen nicht ständig Masken getragen werden mussten, Kinder intensiv gefördert werden konnten? Ganz einfach, weil es nicht um Bildung, sondern Aufbewahrung ging. Für die Wirtschaft, auf Kosten der Kinder. Das lässt uns Lehrern das Herz bluten.

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