Der Babyboom in Corona-Zeiten mag ausgeblieben sein. Doch bei den Schulen hatte Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) im November noch ein ganz anderes Gefühl: „Ich glaube, noch nie waren so viele Lehrerinnen schwanger wie in diesem Jahr“, sagte er damals in München.
Die Statistik gibt dem Minister offenbar recht. Allein an staatlichen Grund- und Mittelschulen in München erwarten gerade mehr als 160 Lehrerinnen ein Baby. Bayernweit waren Ende Februar nach Angaben des Kultusministeriums 1,86 Prozent der Lehrkräfte aufgrund einer Schwangerschaft nicht im Präsenzunterricht. Heißt: Rund 2880 der etwa 107.000 Lehrerinnen in Bayern freuen sich auf Nachwuchs.
Schwangere Lehrerinnen dürfen nicht mehr an der Schule unterrichten
Sind das mehr als in den Jahren zuvor? Nicht ganz einfach auszurechnen. Das Kultusministerium hat vor der Pandemie keine Statistik zu Schwangerschaften erhoben, damals zählte allein der Vertretungsbedarf, den Schulen anmeldeten. Jetzt ist das anders, denn um sie vor dem Virus zu schützen, dürfen Frauen nicht mehr im Klassenzimmer unterrichten, sobald ihre Schwangerschaft bekannt ist. Stattdessen sollen sie von zu Hause aus helfen. Das hat im Distanzunterricht gut funktioniert. Doch je mehr Schüler in die Schulhäuser zurückkehren, desto mehr fehlen die Lehrerinnen im Klassenzimmer – und müssen vertreten werden.
Ob wirklich mehr junge Lehrerinnen eine Familie gründen, sieht man am ehesten an einer Statistik zu den finanziellen Zulagen, die der Staat Lehrkräften mit Kindern überweist. Ein Sprecher des Kultusministers liest eine Tendenz heraus: „Seit 2013 stellen wir fest, dass die Anzahl der neugeborenen Kinder bei Lehrerinnen kontinuierlich steigt.“ Auf einen Babyboom im Lockdown will er das nicht zurückführen: „Die Ursachen können vielfältig sein.“ Ein möglicher Grund sei etwa, dass den vergangenen Jahren viele ältere Lehrerinnen pensioniert wurden und jüngere nachrückten.
Junge Lehrerinnen bekommen oft sofort eine Beamtenstelle
Auf den Schulfluren machen noch andere Gründe und Vermutungen die Runde. Dass manche Kollegin ein Baby als Ausweg aus dem kräftezehrenden Corona-Jahr sehe zum Beispiel. Spekuliert wird auch, dass junge Pädagoginnen früher mit dem Kinderkriegen anfangen, weil sie in Zeiten des Lehrermangels gerade an Grundschulen sofort eine Beamtenstelle bekommen – und damit lebenslang abgesichert sind. Offiziell will – und kann – das niemand bestätigen.
Gerd Nitschke saß in den vergangenen Monaten vielen Lehrerinnen gegenüber. Sie haben ihn in ihre Schwangerschaft eingeweiht, teils noch bevor die eigene Familie davon wusste. Nitschke ist Vizepräsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) und Personalrat im Landkreis Ebersberg. „Bei mir melden sich Lehrerinnen zur Beratung an, sobald sie die Schwangerschaft beim Arzt bestätigt bekommen.“
Auch Nitsche hat das Gefühl, dass die Zahl der Schwangeren steigt. Neben der Verjüngung des Personals weist er auf dessen zunehmende „Verweiblichung“ hin. Heißt: Lange unterrichteten vor allem an Grundschulen überwiegend Frauen, heute sind schulartübergreifend mehr als zwei Drittel der Lehrkräfte weiblich.
Doch gerade im Corona-Jahr ist die freudige Nachricht für die Schulen mitunter ein Problem. Eine Grundschullehrerin beschreibt die Sache gegenüber unserer Redaktion so: „In normalen Zeiten schleppen sich die Lehrerinnen noch hochschwanger in die Schule, damit ihre Klasse versorgt ist – ich spreche aus doppelter eigener Erfahrung.“ Dass schwangere Kolleginnen wegen Corona von Beginn an fehlen, „merkt man extrem“.
Neue Teamlehrkräfte ersetzen die schwangeren Lehrerinnen
Eigentlich übernimmt dann eine Vertretungslehrkraft den Unterricht. Doch davon gibt es seit Jahren zu wenige. Für die Schüler heißt das im schlimmsten Fall, dass Stunden ausfallen. Im besseren Fall, dass Helfer den Unterricht übernehmen. Das Kultusministerium hat 800 Stellen für sogenannte Teamlehrkräfte geschaffen: Personen, die in einem Fach qualifiziert sind, aber nicht zwingend Lehramt studiert haben. Menschen aus künstlerischen Berufen etwa unterrichten dann Kunst oder Musik.
Hilfe bekommen sie von ausgebildeten Lehrkräften aus Risikogruppen, die jetzt zu Hause arbeiten müssen. Das Modell funktioniert vielerorts gut – doch 800 Stellen für ganz Bayern werden von vielen Schulleitern nur als Tropfen auf den heißen Stein empfunden. „In Einzelfällen“ würden für dieses Modell auch Lehramtsstudierende höherer Fachsemester eingesetzt, heißt es aus dem Ministerium.
Personalrat Gerd Nitschke empfindet das etwas anders. Zurzeit werden seiner Erfahrung nach „unglaublich viele Studenten“ eingestellt. Als Personalrat habe er „alle zwei, drei Tage“ mit Lehramts-Studenten zu tun, die nach ihrem ersten Staatsexamen an den Schulen aushelfen. Sie überbrücken so die Zeit bis zum Referendariat, bis also ihre praktische Ausbildung beginnt. „Diese Leute retten uns die Stunden“, sagt Nitschke. „Aber sie können natürlich keine vollwertige Lehrkraft ersetzen.“ Sein Verband fordert deshalb, aus den 800 Teamlehrkräften mindestens 1600 zu machen.
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