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Rock im Park 2015: Unwetter im Festival-Paradies

Rock im Park 2015

Unwetter im Festival-Paradies

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    Der Morgen danach: Bei „Rock am Ring“ in Mendig verwüstete ein Unwetter den Zeltplatz. 33 Besucher wurden verletzt.
    Der Morgen danach: Bei „Rock am Ring“ in Mendig verwüstete ein Unwetter den Zeltplatz. 33 Besucher wurden verletzt. Foto: Thomas Frey, dpa

    Kein Wunder, dass die Angst umging. In der Nacht zuvor schließlich hatten gleich drei Blitze beim größeren Festival-Zwilling „Rock am Ring“ eingeschlagen. 33 Besucher waren verletzt worden, keiner jedoch direkt, keiner so schwerwiegend, dass er nicht bereits am Sonntag wieder hätte das Krankenhaus verlassen können. Als nun also in der Nacht zum Sonntag gegen 1 Uhr immer mehr Blitze auch über dem Nürnberger Dutzendteich zuckten und der Wetterdienst eine Unwetterwarnung meldete, zögerte man hier nicht lange. Tausende wurden teils aus ihren Zelten herausgebracht und in Sammelstellen in Sicherheit gebracht. Unter anderem im nahen Fußballstadion. Sturm, Blitz, Hagel: Tote und Verletzte bei Festivals in Europa

    Doch nach gut zwei Stunden und inzwischen gegen vier Uhr morgens war klar: Das Heftigste ist an Nürnberg vorbeigezogen, es kam nicht schlimm, nur extrem nass. Und so wurden die Besucher wieder zu ihren Zelten geschickt, das Festival konnte weitergehen. Wie auch „Rock am Ring“ am Tag danach weitergegangen war. Durch den Starkregen also zurück auf den Campingplatz, ein bisschen schlafen inmitten der bereits angeschlammten, teilverwüsteten Zeltlandschaft, am Morgen danach im Chaos aufwachen und hinein in den letzten Festivaltag? Es waren einige, aber nicht sehr viele, die da den Weg ins trockene Zuhause bevorzugten. Denn hey, das ist doch Ausnahmezustand hier! Und viele lassen ohnehin Jahr für Jahr ihre Zelte als Teil des gewaltigen Müllbergs hier zurück.

    Ausnahmezustand aber war es auch in den beiden Tagen zuvor höchstens aufgrund des Wetters gewesen. Bei deutlich über 30 Grad tat der Veranstalter dann auch gut daran, zumindest ein paar Stellen zum kostenlosen Wasserzapfen einzurichten, wo denn schon ständig die Hinweise über die Infomonitore blinkte, nur ja hinreichend nicht-alkoholische Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Trinken also einmal um der Gesundheit willen auf dem Festival – das ist Ausnahme.

    Festivals werden zum Volksfest für die ganze Familie

    Der Rest von „Rock im Park“ entwickelt sich dagegen immer mehr zu einem Spiegel, statt einem Gegenbild der Gesellschaft. Kein Wunder jedenfalls, wenn ein junges Mädchen staunend auf dem Weg zum Wasserschöpfen ihren Begleiter anstupst und sagt: „Alter! Ist dir das schon aufgefallen? Die meisten hier sind gar nicht jung. Alles Ältere!“ Tatsächlich wachsen sich diese Festivals immer mehr zu einem Volksfest für fast die ganze Familie aus.

    Wo die Rock-Jugend der ersten Stunde nun das Rentenalter erreicht, die ursprünglich gegen die Bürgerlichkeit gerichtete Bewegung längst in deren Herzen angelangt ist, der Mode-Riese schon die T-Shirts einstiger Aufmüpfiger wie der Punkband Ramones im Angebot hat und Eltern sowieso mit ihren Kindern gemeinsam dort einkaufen – da treffen sich eben auch immer öfter die Generationen bei Festivals zum gemeinsamen Rock-Fasching. Oder gehen gleich gemeinsam dorthin. Fehlt eigentlich nur die Rock-Kita.

    Passend zur Gesellschaftsspiegelung gibt es auch als Verpflegung längst mehr als Bier und Bratwurst. Inmitten der Imagekampagnen von Autofirmen und Tierschutzorganisationen boomen Vegetarier-Stände und Shisha-Zelte. Und welche Generation denn nun die drastischer gekleidete, wilder tätowierte und fan-fanatischere ist, lässt sich kaum noch sagen. Selbst bei den härtesten Bands wie den an diesem Wochenende stürmisch gefeierten Rückkehrern von Slipknot, formuliert nicht mehr hauptsächlich die Jugend ihre Wut – denn die Helden-Bands selbst sind ja auch meist schon betagter.

    Vom Punk in die Mitte der Hitparaden-Gesellschaft: Die Toten Hosen mit Sänger Campino (links) und Bassist Andreas Meurer am Samstagabend bei „Rock im Park“,
    Vom Punk in die Mitte der Hitparaden-Gesellschaft: Die Toten Hosen mit Sänger Campino (links) und Bassist Andreas Meurer am Samstagabend bei „Rock im Park“, Foto: Thomas Frey, dpa

    Das ist freilich hauptsächlich an den Spitzen des Aufgebots abzulesen. Bestbesucht an diesem Wochenende in Nürnberg war denn auch die Sause der Toten Hosen am Samstagabend. Und die haben ihren Weg vom anfänglichen Renegatentum der „Opel-Gang“ ja längst in die Mitte der Hitparaden-Gesellschaft vollzogen. Sänger Campino und Co. markieren mit ihrem Punk-Pop das eine Ende des Mainstreams, das unter anderem von Helene Fischer und ihrem Pop-Schlager gesetzt wird. So herrscht zu „An Tagen wie diesen“ die bewährte Konfetti-Luftschlangen-Seligkeit samt generationenübergreifendem Schunkeln.

    Rekordergebnisse bei "Rock im Park"

    Und nicht viel anders war es am Tag zuvor, als ein einstiger Held der Revolte gegen alle Harmonie, der mit Nirvana zum Star gewordene Dave Grohl, den Rock seiner auch schon 20 Jahre alten Band Foo Fighters servierte. Dass der weitaus herkömmlicher, netter und auf die Dauer auch langweiliger ist als der Grunge-Schmutz der frühen Neunziger passt gut ins Programm. Und bedient wieder eher die Älteren. An den Rändern hält man sich amüsante Narren-Monster wie einen von der Bühne stürzenden Marilyn Manson oder The Prodigy. Dafür triumphiert in der Mitte die nicht selten deutsche Fröhlichkeit der Beatsteaks und Broilers, von Clueso und Deichkind, gesprenkelt mit aktuellen Hypes – dieses Schwammprinzip hat sich als ein Erfolgsrezept gerade des Zwillings „Rock im Park“ und „Rock am Ring“ bewährt. In diesem Jahr und damit zum 20-jährigen Jubiläum im Park, gab’s nicht von ungefähr Rekordergebnisse. Alles war voll. Rappelvolles Gelände: Das war der Freitag bei "Rock im Park"

    Den Unterschied zu neuen Festivals wie „Rockavaria“, wo hauptsächlich die Älteren rocken, macht vor allem der Campingplatz. Das Hausen im Müll, diese Hingabe ans Chaos – das allein bleibt noch Refugium der Jugend (die Älteren übernachten meist im Hotel). Und damit ist auch klar, wer in letzter Konsequenz dem Wetter ausgesetzt ist. Am Samstagnachmittag noch hatten vielleicht aus Überdruss all der Ordnung abseits des Campingplatzes einige den Platz vor der Hauptbühne mittels eines Hydranten für eine Schlammrutschbahn genutzt – so fand der Schmutz doch zurück in die Mitte dieser Sommergesellschaft. Als dann in der Nacht der Regen und damit der echte Dreck kamen – wer fand sich in den Sammelstellen wieder? Es war der Einbruch der Wirklichkeit ins Festival-Paradies. Und die traf die Veranstaltung im Keim, der die Jugend ist – noch.

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