Seit zehn Tagen läuft das Volksbegehren „Rettet die Bienen“. Seither wird heftig diskutiert in Bayern. Die ÖDP-Initiative, der sich Naturschutzverbände und Bioanbauverbände angeschlossen haben, fordert mehr Artenschutz. Der Bauernverband wiederum warnt vor einem „Bauern-Bashing“. Wir haben mit einem Befürworter und einem Gegner über die Streitpunkte gesprochen.
Alfred Enderle, 46, ist seit 2012 schwäbischer Bauernpräsident. Er hat einen Milchviehbetrieb in Wertach im Oberallgäu. Er ist gegen die Ziele des Volksbegehrens.
Richard Mergner, 57, ist seit April 2018 Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern. Er lebt in Hersbruck. Er befürwortet das Volksbegehren.
Der Ausgangspunkt des Volksbegehrens "Rettet die Bienen"
Das sagt der Befürworter: „Wir weisen schon seit Jahren darauf hin, dass wir einen dramatischen Rückgang der Artenvielfalt und vor allem der Insekten haben“, sagt Richard Mergner, Vorsitzender des Bund Naturschutz (BN). „Das Volksbegehren ist die Konsequenz, in einem Bereich gegenzusteuern.“ Folgende Zahlen führen die Initiatoren an: Es gibt heute 75 Prozent weniger Insekten als Anfang der 90er Jahre. 54 Prozent aller Wildbienen sind bedroht oder bereits ausgestorben. Der Bestand der Feldvögel ist seit 1965 um etwa 65 Prozent zurückgegangen. Zehn der 19 Amphibienarten in Bayern sind bedroht. Die Ursache für diese Entwicklung sieht Mergner zum einen im Flächenverbrauch, etwa durch neue Straßen und Siedlungen. Zum anderen habe die Intensivierung auf landwirtschaftlichen Flächen einen maßgeblichen Beitrag zum Artenschwund geleistet. „Der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft tötet die Insekten. Damit finden auch Vögel und andere Tiere kein Futter mehr“, sagt Mergner.
Das sagt der Gegner: „Wenn man ein Volksbegehren auf den Weg bringt und so eine gesellschaftliche Debatte anstößt, erwarte ich mir, dass man das ehrlicher aufbaut“, sagt Alfred Enderle, der schwäbische Präsident des Bayerischen Bauernverbands (BBV). „Es heißt: ,Wir retten die Bienen.‘ Wir? Die Verantwortung aber schiebt man knapp zwei Prozent der Bevölkerung zu – den Bauern.“ Denn der Gesetzentwurf, wie er vorliegt, betreffe nur die Landwirte. Die sollen später mähen, mehr Blühwiesen anlegen, ihre Flächen für einen Biotopverbund zur Verfügung stellen und Pestizide reduzieren. Dass die Artenvielfalt abnimmt, will Enderle nicht bestreiten. „Es ist auch logisch, wenn man bedenkt, dass seit 1960 in Bayern 840.000 Hektar zugepflastert wurden – so viel wie die landwirtschaftliche Fläche von Schwaben und Unterfranken. Aber wir sind die Letzten, die die Insekten ausrotten wollen.“
Die Veränderung der Landwirtschaft
Das sagt der Befürworter: Die massiven Veränderungen der Landschaft seien überall wahrzunehmen, sagt BN-Vorsitzender Mergner. Hecken und Feldraine seien verloren gegangen, Felder größer geworden, Fruchtfolgen erheblich geringer. Hinzu komme eine intensive landwirtschaftliche Praxis. „Da blüht dann keine Blume mehr.“ Zum Vergleich: Eine Blumenwiese kann nach Mergners Worten bis zu 50 oder 60 Pflanzenarten enthalten. Eine Wirtschaftswiese hingegen, die darauf ausgerichtet sei, möglichst viel Eiweiß für die Milcherzeugung zu haben, nur noch fünf bis sechs Arten. Schmetterlingsraupen kämen mit diesem Mikroklima nicht zurecht, Wildbienen wiederum bräuchten Halme, in denen sie überwintern können – also Zwischenfrüchte oder Randflächen. Hinzu kommen die Auswirkungen von Herbiziden und Insektiziden.
Das sagt der Gegner: „Der Hauptgrund für den Artenschwund sind wir alle“, sagt Bauernpräsident Enderle. Er nennt den Flächenverbrauch, den zunehmenden Verkehr, Studien, wonach auch Mobilfunk Auswirkungen habe. „Natürlich hat sich auch die Landwirtschaft verändert, das will ich gar nicht in Abrede stellen.“ Heute gibt es weniger Betriebe, die Tiere halten, weniger Mist in den Dörfern und auf den Äckern. Die Flächen sind größer geworden. Und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln? „Die Behauptung, dass sich diese über die Luft verteilen sollten, erstaune ihn, sagt Enderle. Schließlich gebe es genaue Untersuchungen und Klassifizierungen, wie „bienengefährlich“ die Mittel sind. „Als Landwirt muss ich mich darauf verlassen können.“
Andere Faktoren für den Artenschwund
Das sagt der Befürworter: „Wenn der Bayerische Bauernverband auf andere Faktoren wie Lichtverschmutzung und Steingärten verweist, ist das ein Ablenkungsmanöver“, sagt BN-Mann Mergner. Weil es bestimmte Vögel oder Schmetterlinge gebe, die eben im Wald oder auf offenen Feldräumen zu Hause sind, andere dagegen in Gärten. Beides lasse sich nicht gegeneinander aufwiegen. Mergner sagt: „Das Traurige ist doch, dass der Bauernverband eine schlimme Strategie fährt. Er ist gegen alles. Er war gegen das Ende von Glyphosat, er ist gegen die Betäubung bei der Ferkelkastration und vieles andere mehr. Er nimmt seine Mitglieder in Generalhaftung.“
Das sagt der Gegner: „Wo bleiben im Zusammenhang mit dem Volksbegehren Faktoren wie die Flächenversiegelung, Mähroboter und Steinwüsten in Hausgärten, die zunehmende Lichtverschmutzung, steigende Freizeitaktivitäten in sensiblen Bereichen – und deren Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt?“, fragt der Bauernverband in einem offenen Brief. 44 Prozent der Gesamtfläche Bayerns werden landwirtschaftlich genutzt. Enderle beklagt, der Gesetzentwurf schiebe die Verantwortung allein auf die Landwirtschaft. „Es gibt keine einzige Veränderung, die die Möglichkeiten und die Lebensweisen der Stadtbevölkerung betrifft. Aber es ist eben einfacher, die Bürger zum Unterschreiben in die Rathäuser zu bringen, wenn sie nicht betroffen sind.“
Umweltschutz per Gesetz oder freiwillig?
Das sagt der Befürworter: „Wir haben gesehen, dass wir mit den Förderprogrammen und den freiwilligen Leistungen der Landwirte dieses dramatische Artensterben nicht stoppen konnten“, sagt Richard Mergner. Nur weil es strengere gesetzliche Vorgaben gibt, müssten die Fördermittel nicht wegfallen. Mergner nennt den Trinkwasserschutz: Obwohl es Gesetze zur Einrichtung von Wasserschutzgebieten gibt, werden den betroffenen Landwirten Ertragsausfälle und Mehraufwand ausgeglichen. Mergner ist zudem überzeugt, dass eine Gesetzesverschärfung nötig ist, etwa bei Gewässerrandstreifen. Diese sind bereits in 15 Bundesländern Pflicht, nicht aber in Bayern. Nach seinen Worten führt das zu Problemen, weil abgeschwemmter Ackerboden, Düngemittel und Pestizide in den Gewässern landeten. Das Volksbegehren will den Landwirten vorschreiben, einen fünf Meter breiten Gewässerrandstreifen einzuhalten, auf dem nichts angebaut werden darf.
Das sagt der Gegner: Jeder zweite bayerische Betrieb nimmt an Agrarumweltmaßnahmen teil, betont Enderle. 40 Prozent der Fläche werden nach den Richtlinien des Kulturlandschaftsprogramms (Kulap) und des Vertragsnaturschutzes bewirtschaftet. Diese Programme, betont Enderle, entstehen in Zusammenarbeit mit Umweltministerium und Naturschutzvertretern. Ob die Maßnahmen wirken, wird regelmäßig überprüft. Nach einem aktuellen Bericht des Umweltministeriums tragen 700.000 Hektar Kulap-Flächen in Bayern besonders zur Biodiversität bei. Hinzu kommen Greening-Maßnahmen, die die EU vorschreibt – Blühflächen oder -streifen, Zwischenfrucht-Anbau, Brachflächen. Bislang werden Landwirte für die freiwilligen Agrarumweltmaßnahmen gefördert. Die Bauern befürchten, dass bei einem neuen Naturschutzgesetz kein Geld mehr für diese Leistungen fließt. Enderle sagt: „Wenn eine gesetzliche Vorgabe da ist, dann schließt das eine Förderung aus. Für uns ist das nicht zielführend.“ Auch aus fachlicher Sicht findet Enderle Inhalte des Volksbegehrens „in hohem Maße unerträglich“. Ein Beispiel: Grünlandflächen sollen nach dem 15. März nicht mehr gewalzt werden dürfen. „Ich höre zum allerersten Mal, dass das ein Problem für Insekten sein könnte. Wenn das so ist, warum hat man das nicht angesprochen?“ Abgesehen davon, dass im Allgäu am 15. März häufig noch Schnee liege.
30 Prozent Öko-Fläche bis zum Jahr 2030
Das sagt der Befürworter: Das Volksbegehren fordert Zielvorgaben für den Öko-Landbau in Bayern – 20 Prozent der Anbaufläche bis zum Jahr 2025, 30 Prozent bis 2030. Derzeit sind es knapp zehn Prozent. Richard Mergner vom BUND Naturschutz hält das für machbar. „Wir haben in Österreich derzeit 24 Prozent Ökofläche, in Salzburg 50 Prozent.“ Wichtige Impulse seien längst gesetzt worden – etwa durch den Ökopakt Bayern oder die Öko-Modellregionen. Die Argumentation des BBV, der Markt für Bioprodukte wachse nicht so schnell, kann Mergner nicht nachvollziehen. Derzeit müsse man Biomilch aus Österreich importieren sowie Obst und Gemüse aus anderen Ländern. „Natürlich muss auch die Nachfrage wachsen.“ Der BUND Naturschutz berate Großküchen, wie sie mehr Öko-Ware einsetzen können. Auch die Verpflegung in Schulen oder Krankenhäusern könne zum Teil auf Bio umgestellt werden.
Das sagt der Gegner: Eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Öko-Fläche hat für BBV-Mann Enderle nichts mit der Realität zu tun. Als Beispiel nennt er den Milchmarkt: Die Molkereien hätten jetzt schon Wartelisten, weil sie nicht mehr Biomilch vermarkten können. Denn wenn zu viel Biomilch auf dem Markt ist, drückt auch das den Preis. Hinzu komme, dass überschüssige Biomilch aus Österreich in Bayern günstig angeboten wird. „Es ist ja nicht so, dass unsere Bauern nicht umstellen wollen“, sagt Enderle. „Aber sie müssen ihre Ware ja auch verkaufen können.“ Schließlich bedeute die Umstellung auf Ökolandbau mehr Aufwand, höhere Kosten und dadurch weniger Ertrag. Das gelte auch für Ackerbauern und erst recht für Mastbetriebe. „Gerade im Schweinebereich ist der Absatz für Bio nicht da. Die Leute kaufen das nicht“, sagt Enderle. Um eine höhere Öko-Anbauquote zu erreichen, müssten auch die Verbraucher mehr Bioware einkaufen – das bedeutet aber auch saisonale Produkte aus der Region zu wählen. Enderle sieht die Diskussion ohnehin kritisch: „Bei einem vernünftigen regionalen Produkt, ist es doch zweitrangig, ob bio oder konventionell. Alles andere hat für mich mit Nachhaltigkeit wenig zu tun.“