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Religion: Auf Schwabens heiligem Berg

Religion

Auf Schwabens heiligem Berg

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    Charlotte und Jakob Seiter sind Eigentümer und Wirte der Gaststätte „Zum Holgenwirt“.
    Charlotte und Jakob Seiter sind Eigentümer und Wirte der Gaststätte „Zum Holgenwirt“.

    Zuerst hört man nur die Stille. Und unwillkürlich stellt sich die Frage: Da war doch gerade noch der lärmende Verkehr auf der A8. Und die Rasenmäher in den gepflegten Gärten des Ortes? Wo sind die Geräusche hin verschwunden? Hier, an der Allerheiligen-Kirche, oberhalb Scheppachs steht der Mensch wie in einer Anderswelt mit wunderbarem Rundblick.

    In einem großen Kreis sind die Stationen des Kreuzwegs auf dem Kalvarienberg im Landkreis Günzburg angeordnet. Davor steht die Kirche – auf dem Hügel thronend. Zu Fuß gehen Wallfahrer die 165 Stufen hinauf. In diesem Moment scheint aber niemand da zu sein. Das Wort Allerseelenruhe füllt sich mit Leben.

    Plötzlich steht doch jemand da, als wäre er dem Erdboden entstiegen. Der ältere Mann stellt sich als Jakob Seiter vor und hält einen großen Schlüssel in der Hand. Wie er später erklärt, sind er und seine Frau Charlotte Eigentümer der Gastwirtschaft „Zum Holgenwirt“, die in einer trauten Symbiose zwischen innerer und äußerer Einkehr nur wenige Meter gegenüber dem nicht mehr bewohnten Pfarrhaus und der Kirche liegt. „Holgen“ (ausgesprochen „„Hoign“) bedeutet im schwäbischen Dialekt „Heiligen“, weiß Seiter. Er ist also der „Heiligenwirt“. Und als solcher erklärt er, dass es der „Hoignberg“ ist, auf dem die Kirche steht – sozusagen der heilige Berg Schwabens – das in sich ruhende Pendant zum quirligen, überlaufenen Klosterberg Andechs in Oberbayern.

    „Wollen’s reinschauen?“ Seiter wirft dem Besucher einen fragenden Blick zu. Denn die Kirche ist in dieser Jahreszeit nur mehr zu den Wallfahrten und Gottesdiensten geöffnet. „Ich sperre Ihnen auf“, sagt der Gastwirt und steckt den alten Schlüssel ins Schloss. Seit 140 Jahren hüten die Seiters die Kirchenschlüssel von Allerheiligen. Zusammen mit seiner Frau bewirtet der 78-Jährige seit 50 Jahren die Wallfahrer, die von Frühjahr bis zum Spätherbst zur

    Wenn es eine Steigerung von Stille gibt, dann findet man die in der Allerheiligen-Kirche in Scheppach. Jakob Seiter erzählt, wie es ist, neben diesem besonderen Ort zu wohnen, dem Herrgott möglicherweise ein Stück näher als der Rest der Menschheit. Er berichtet von der Ruhe, davon, wie er sie genieße, und davon, wie er an manchen Tagen aber auch vor ihr flüchten muss an belebtere Stätten unten in der Gemeinde oder im nahen Günzburg: „Dann muss ich mich in ein Café setzen.“ Denn flüsternde Tonlosigkeit kann, gerade an düsteren Herbsttagen, auch etwas Bedrückendes haben.

    An diesem leuchtenden Herbstnachmittag blinzelt die Sonne durch die Kirchenfenster und bescheint die farbenfrohen Decken- und Wandfresken. Sie zählen zu den bedeutendsten Werken des Donauwörther Barockmalers Johann Baptist Enderle. Seiter ist in seinem Element, deutet auf die Bilder und erzählt von ihnen. Das Hauptfresko, der Allerheiligen-Himmel im Langhaus, stellt die Anbetung der Dreifaltigkeit durch die Engel und Heiligen dar. Davon leite sich der Name der Kirche ab.

    Mehrere tausend Veteranen der Weltkriege sind im vergangenen Jahrhundert bei großen Wallfahrten auf den Hügel gepilgert, um Gott zu danken, dass sie das Gemetzel überlebt haben. Heute seien es noch einige hundert, sagt Seiter. Ursprünglich hätten sich aber vor allem Frauen auf den Weg zur Allerheiligen-Kirche gemacht, wo sie um eine „glückliche Niederkunft“ baten. Eine Muttergottes mit einem Fatschenkind auf einem Seitenalter war ihr Ansprechpartner.

    An Allerheiligen, 1. November, findet in der Kirche bei Scheppach vormittags ein Gottesdienst als Abschluss der Wallfahrtsaison statt. In Ermangelung eines Friedhofs gibt es hier keinen sonst üblichen Gräberrundgang. Allerheiligen ist ja der Tag, an dem in der katholischen Kirche Menschen geehrt werden, die den christlichen Glauben vorbildlich gelebt haben. Es ist für viele Katholiken der Tag, an dem gerade im ländlichen Bayern, anders als an Weihnachten, die Familien zusammen kommen. Eltern, Großeltern, Geschwister, Onkel, Tanten, Neffen und Nichten reisen oft auch von auswärts an. Und die Gläubigen treffen sich an den Gräbern der Ahnen. Am Tag nach Allerheiligen begeht die römisch-katholische Kirche den Allerseelentag, an dem der armen Seelen im Fegefeuer gedacht wird. Vielerorts wird die damit verbundene Gräbersegnung bereits am Nachmittag von Allerheiligen vorgenommen. Damit verbunden ist der Brauch, die Gräber vor allem mit Lichtern besonders zu schmücken.

    Am Vorabend, dem 31. Oktober, wird in den USA und inzwischen auch in vielen Ländern Europas Halloween gefeiert. Das Wort Halloween leitet sich von der englischen Bezeichnung All Hallows’ Eve, dem liturgischen Vorabend von Allerheiligen, ab. In der heutigen, aus Nordamerika zurückgekommenen Form, hat es eine stark kommerzialisierte Form angenommen.

    Von all dem ist die Allerheiligen-Kirche verschont. Als Besucher genießt man es, durch die bunten Blätter des Herbsts zu waten und Stille zu atmen. Hier herrscht eine heitere Friedsamkeit, und das Laub steht symbolisch dafür, wie beruhigend Verfall und Vergehen sein können. Mit derlei Gedanken geht es zurück in die Stadt, in den Lärm und die Hektik des Alltags.

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