Rund 630 000 Menschen profitieren noch heute jährlich indirekt vom früheren Warentransport auf der Donau in Österreich. Pferde zogen bis zum Aufkommen der Motorisierung auf sogenannten Treppelwegen Flöße und Frachtschiffe den Strom hinauf. Nun bin ich auf einem Teil dieser Wege entlang der Flussufer mit dem Drahtesel unterwegs – so wie viele andere Urlauber. Vor 30 Jahren war die Idee entstanden, die überflüssig gewordenen Treppelwege auszubauen und als Radwege zu nutzen.
Auf dem Fahrrad die Natur entdecken
Vor 30 Jahren war ich zwar noch fitter als heute, aber der Radweg dürfte für mich gut zu bewältigen sein, denn große Anstiege gibt es keine. Mein Startpunkt ist die Schlögener Schlinge in Oberösterreich, etwa auf halbem Weg zwischen Passau und Linz. Dort liefert der Strom ein beeindruckendes Naturschauspiel: Das Gewässer ändert gleich zweimal seine Laufrichtung um 180 Grad. Besonders schön ist dies von einem Aussichtspunkt zu erkennen. „Weil die Hänge teilweise extrem steil sind, wurden sie bis zu 150 Jahre nicht mehr bewirtschaftet“, berichtet Naturschutzwart Franz Exenschläger. Da verwundert es nicht, dass in diesem Teil des europäischen Naturschutzprojektes Natura 2000 Vögel wie der seltene und extrem scheue Schwarzstorch brüten.
Die Schlögener Schlinge ist ein guter Ausgangspunkt für ein besonders ruhiges Stück Donauradweg. Auf den rund 25 Kilometern bis nach Aschach ist das Donautal wildromantisch, der Radweg über größere Strecken unter einem Blätterdach versteckt. Trotz des Nieselwetters genieße ich die Ausblicke auf kleine Weiler und Siedlungen, auf an die Hänge geklebte Festungen. Die Stille abseits vom Straßenlärm ist wohltuend, nur gelegentlich wird sie vom Motorengeräusch der Fracht- und Passagierschiffe durchbrochen. Ich teile den Weg mit vielen Familien. Kein Wunder, die sanften Steigungen sind für Kinder oder ältere Menschen gut zu bewältigen. Der Radweg folgt dem Fluss immer abwärts, sofern die Radler Richtung Osten mit dem Strom „mitschwimmen“. Meist gibt es den Radweg an beiden Ufern der Donau, wer kreuzen will, nimmt eine der Fahrrad- oder Autofähren.
Direkt neben dem Radweg - liegt ein Weingut
Eine solche Fähre besteige ich in Aschach, dem Zielort der ersten Etappe. Mit mir kommt eine große Gruppe Radfahrer mit auf das Schiff, das den Namen Anton Bruckner trägt. Es fährt – natürlich – in die Brucknerstadt Linz. Die Landeshauptstadt Oberösterreichs ist für die meisten auf dem Schiff eine Zwischenstation, sie radeln in ihre Heimat Serbien, eines der zehn Anrainerländer des mit 2857 Kilometern nach der Wolga zweitlängsten Flusses Europas.
Mein nächstes großes Ziel liegt viel näher, es ist die Wachau in Niederösterreich. Hier werden allein rund 250 000 Radfahrer pro Jahr gezählt. Ich gestehe, dass ich die rund 125 Kilometer von Linz nach Joching mit einem Bustransfer überbrückt habe – aus Mangel an Zeit und weil ich trotzdem möglichst viel von den Weingärten und Marillenbäumen genießen wollte. Hier gedeihen überwiegend Trauben für frische Weißweine wie Grüner Veltliner, Riesling oder Gewürztraminer. Steinfeder, Federspiel und Smaragd haben die Winzer die Qualitätsstufen genannt – von leicht und spritzig bis vollmundig.
Solche Genüsse warten auf mich im Weingut von Barbara und Karl Holzapfel – direkt am Radweg gelegen. In ihrem historischen Prandtauerhof kann man die frischen Weine von Karl Holzapfel genießen, „so, wie wir sie halt selber gern trinken“ und die Spezialitäten eigener Produktion aus der Küche von Barbara Holzapfel. Fast so unverzichtbar wie die Marillen ist der Waldviertler Graumohn bei den Nachspeisen. Der besondere Stolz des Hausherrn ist eine kleine Genusszone mit golfplatzverdächtigem Rasen, Hütte, Zeltdach und Rosen mitten im Weingarten hinter dem Hof, wo Weine und Gerichte besonders gut munden.
Kulturelle Schätze sind auf dem Donauradweg zu entdecken
Frisch gestärkt steige ich wieder aufs Rad, muss allerdings schnell feststellen, dass der Radweg in diesem Abschnitt nicht immer abseits der Straßen verläuft – Autolärm und Abgase sind so gar nichts für Genussradler. Allerdings entschädigt die imposante Landschaft auf der Strecke nach Krems, etwa 16 Kilometer weiter flussabwärts. Dürnstein ist so malerisch, dass sich die Touristen in dem Städtchen auf die Füße treten. Nichts für mich! Also die Schönheit bestaunt und dann schnell weiter, denn jetzt gibt es Kultur: Oberhalb der Donau thront gegenüber von Krems das Stift Göttweig über der Donau. Nicht nur optisch beherrscht die imposante barocke Anlage die Wachau, von hier aus kolonialisierten Augustiner Chorherren das Land. Ohne das Stift gäbe es wohl auch keinen Wein. Die monumentale Anlage, Teil des Unesco-Weltkulturerbes Wachau, beeindruckt mit einem reichen Kunstschatz und der Kaiserstiege.
Nur etwa sieben Kilometer weiter, in Mautern, lädt die Weinstube des Nikolaihofs der Familie Saahs zur Einkehr. Der Nikolaihof ist das älteste Weingut Österreichs. Noch heute werden Keller genutzt, die in die Römerzeit gebaut worden waren. Genießen lassen sich die Bioweine am besten abends bei Kerzenschein im Hof. Das gigantische Blätterdach ist der 1908 gepflanzten Kaiserlinde zu verdanken, die mit einem Kronendurchmesser von 40 Metern verblüfft. Christine Saahs serviert regionale Spezialitäten, möglichst frisch und aus biologischem Anbau.
Knapp 50 Kilometer stromabwärts und rund 40 Kilometer vor Wien lockt ein Genuss anderer Art. In Tulln steht das Geburtshaus des Expressionisten Egon Schiele. Hier am Bahnhof verbrachte der Sohn des Bahnhofsvorstehers seine Jugendjahre. Im Egon Schiele Museum sind derzeit rund 60 Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen aus den ersten und letzten Schaffensjahren des Ausnahmekünstlers zu sehen. Auf 13 Stationen kommt der Besucher auf dem Egon-Schiele-Weg der Kindheit des genialen Malers , der 1918 mit nur 28 Jahren an der Spanischen Grippe starb, ganz nahe. Die meisten der inzwischen hoch gehandelten Schiele-Werke aber hängen heute im Leopold-Museum in Wien.
Ein Abstecher in Wien ist sicher lohnenswert
Also auf nach Wien! In der Bundeshauptstadt ist die Radtour für mich nicht zu Ende: Sight-Cycling in der Kaiserstadt ist eine Spezialität von Gabriele Steiner-Scharfetter. In nur drei Stunden lerne ich viele Facetten Wiens aus Radlerperspektive kennen: die großzügigen Prachtstraßen, die mittelalterlichen Gassen, die modernen Museen, die gemütlichen Kaffeehäuser und die traditionellen Beisl. „Wien hat 1500 Kilometer Radwege“, erklärt mir die Stadtführerin und studierte Künstlerin. Dagegen nehmen sich die 262 Kilometer österreichischer Donauradweg fast mickrig aus.
Wer seine Tour in Wien beenden möchte, kann mit einem der zahlreichen Passagierschiffe zurück zum Ausgangspunkt fahren. So wie ich es mache. Zurück an der Schlögener Schlinge steige ich ins Auto und fahre noch 15 Kilometer stromaufwärts. In Engelhartszell will ich noch ein wenig mehr über die Donau erfahren. Die Mini-Donau, eine interaktive Ausstellung über die Donau von ihrem Ursprung bis zur Mündung, zielt zwar vor allem auf Kinder ab, macht aber auch Erwachsenen Freude. In einem großen Aquarium sind die Fische zu sehen, die in der Donau leben, darunter einer, der nicht unbedingt hier vermutet wird: Es ist der Gigant, ein zwei Meter langer, 14 Jahre alter Sterlet-Stör. „Diese Störart bleibt ein Leben lang im Süßwasser und ist der einzige, der an der Donau standorttreu ist“, informiert Wilhelm Atteneder die Besucher.
Im Stift Engelszell wird sogar Trippelbock gebraut
Ehrlich gesagt war die Mini-Donau nicht der einzige Grund für mich Engelhartszell anzusteuern. Es gibt noch einen anderen: Im einzigen Trappistenkloster Österreichs, im Stift Engelszell direkt neben der Ausstellung, wird seit 2012 Bier gebraut. Neben dem Jubiläumsbier, das zum 250. Weihetag der Rokoko-Stiftskirche im Oktober abgefüllt wird, entstehen im Klosterbetrieb noch ein Doppelbock und sogar ein dunkler Trippelbock – sinnvollerweise nur in 0,33-Liter-Flaschen abgefüllt. „50 Prozent der Produktion werden in die USA exportiert, weitere 40 Prozent in alle Welt“, sagt Diakon Hans Hofer stolz.
Frater Reinhard betreut außerdem die Produktion von jährlich 30000 Litern Likör. Unter den 16 Sorten ist neben Klassikern wie Magenbitter auch ein Eierlikör mit Graumohn namens „Graue Eminenz“. Den will ich unbedingt probieren – aber natürlich erst zu Hause. Schließlich will ich die Heimfahrt mit dem Auto nüchtern überstehen. (AZ)