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"Reichsbürger"-Verdacht: Gericht bestätigt Waffenverbot für Ex-Biathlet Stitzl

"Reichsbürger"-Verdacht

Gericht bestätigt Waffenverbot für Ex-Biathlet Stitzl

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    Seit 2016 wurden Angehörigen der Reichsbürger-Szene mindestens 570 waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen.
    Seit 2016 wurden Angehörigen der Reichsbürger-Szene mindestens 570 waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen. Foto: Ralf Lienert

    Die Behörden haben dem ehemaligen Assistenztrainer der deutschen Biathlon-Nationalmannschaft, Andreas Stitzl, sein Gewehr zu Recht abgenommen. Das hat das Verwaltungsgericht München am Donnerstag entschieden.

    Das Gericht kam zum Ergebnis, "dass der Kläger durch diverse Schreiben im Jahr 2016 den Anschein erweckt hat, der sogenannten Reichsbürgerbewegung oder deren Ideologie nahezustehen", hieß es in einer Pressemitteilung. "Das Landratsamt Traunstein durfte dem Kläger somit seine waffenrechtlichen Erlaubnisse entziehen", teilte das

    Stitzl hatte gegen den Entzug seiner Waffenbesitzkarte geklagt und sein Biathlon-Gewehr zurückgefordert. Im Prozess hatte er sich am Mittwoch vehement von der "Reichsbürger"-Ideologie distanziert. Diese Distanzierung könne aber erst eine Rolle spielen, wenn über eine neue Waffenerlaubnis entschieden werde, urteilte das Gericht.

    Sogenannte Reichsbürger erkennen den Staat und die deutschen Gesetze nicht an und weigern sich, Steuern, Sozialabgaben und Bußgelder zu zahlen. Das Bundesinnenministerium rechnete der Szene im Jahr 2018 etwa 19.000 Menschen zu, im Jahr davor waren es noch 16.500.

    Zahlreiche "Reichsbürger" fordern vor Gericht ihre Waffen zurück

    Dutzende mutmaßliche "Reichsbürger" in Bayern fordern vor Gericht ihre Waffen zurück. Allein am Verwaltungsgericht München sind nach Angaben eines Sprechers aktuell rund 70 entsprechende Klagen anhängig.

    Bayernweit waren zum Stichtag Ende März "in 98 Fällen Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Waffenbehörde anhängig", wie das bayerische Innenministerium auf Anfrage mitteilte.

    Rund 20 davon sind derzeit in höherer Instanz am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängig. "Im Verhältnis zu den derzeit insgesamt anhängigen waffenrechtlichen Verfahren, machen diese Verfahren in etwa 30 Prozent aus", sagte eine Sprecherin.

    19.000 sogenannte Reichsbürger erkennen den deutschen Staat nicht an

    Zu den aktuellen Fällen kommen noch zahlreiche, die schon abgeschlossen sind. Am Verwaltungsgerichts München sind das 35, am Verwaltungsgericht Ansbach sogar mehr als 40, wie ein Sprecher mitteilte. Von 48 Fällen insgesamt würden dort derzeit noch vier oder fünf bearbeitet. Am Verwaltungsgericht Regensburg sind rund ein Dutzend Verfahren abgeschlossen, in rund einem halben Dutzend Verfahren steht eine Entscheidung nach Sprecherangaben noch aus. Das Würzburger Verwaltungsgericht meldete zehn abgeschlossene Verfahren und ein laufendes. 

    Sogenannte Reichsbürger erkennen den Staat und die deutschen Gesetze nicht an und weigern sich, Steuern, Sozialabgaben und Bußgelder zu zahlen. Das Bundesinnenministerium rechnete der Szene im Jahr 2018 etwa 19.000 Menschen zu, im Jahr davor waren es noch 16.500.

    Laut des Bundesinnenministeriums gibt es mittlerweile rund 19.000 sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter in Deutschland.
    Laut des Bundesinnenministeriums gibt es mittlerweile rund 19.000 sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter in Deutschland. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Unter verstärkter Beobachtung der Behörden steht die Szene seit den tödlichen Schüssen eines "Reichsbürgers" auf einen Polizisten im fränkischen Georgensmünd im Oktober 2016. Seither wurden sogenannten Reichsbürgern im Freistaat nach Angaben des bayerischen Innenministeriums insgesamt 778 Waffen entzogen. Vor allem im Jahr 2017 wurden dann zahlreiche Klagen gegen diese Bescheide eingereicht.

    Seit 2016 wurden "Reichsbürgern" 570 Waffenbesitzkarten entzogen

    Reichsbürger, Germaniten, Identitäre - Die Szene der Staatsverweigerer

    Die Bewegung der Staatsverweigerer ist sehr heterogen. Sie umfasst mehrere sektenartige Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die seit den 1980er-Jahren entstanden und untereinander zerstritten sind.

    Nur in einem sind sie sich einig: Deutschland sei kein echter Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort.

    Die Gruppen haben keine feste Organisationsstruktur.

    Die erste bekannte Organisation von „Reichsbürgern“ wurde 1985 als „Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ gebildet. Gründer war Wolfgang Gerhard Günter Ebel, ein Westberliner Eisenbahner, der sich fortan „Reichskanzler“ nannte.

    Die Anhänger sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.

    Ein Schwerpunkt in der Region ist das Allgäu. Doch bayernweit nehmen die Zahlen der "Reichsbürger" zu. Derzeit sind knapp über 300 Personen im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West als „Reichsbürger“ eingestuft.

    Die Germaniten wurde im Dezember 2010 von einer gewissen Ulrike Kuklinski auf der Schwäbischen Alb gegründet.

    Sie sieht sich als Opfer der deutschen Justiz und bildete mit Gleichgesinnten die Behindertenfürsorge „Deutsche Ringvorsorge“, die Keimzelle des „Staates Germanitien“.

    Die Bewohner verstehen sich allen Ernstes als souveränes Staatsvolk mit einem eigenen Staatsgebiet in den Grenzen von 1937.

    Der Ursprung der Identitären Bewegung liegt in Frankreich, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand. Sehr aktiv ist die IB in Österreich, neuerdings auch in Bayern.

    Sie ist ethnopluralistisch – jede Ethnie soll ihren eigenen Raum haben – und geht von einer geschlossenen „europäischen Kultur“ aus, die vor allem vom Islam bedroht sei. Für Experten ist die IB eine neue Form des Rechtsextremismus. (hogs, sohu)

    Deutschlandweit waren zum Stichtag 31. Dezember 2018 nach Angaben des Bundesinnenministeriums noch 910 "Reichsbürger und Selbstverwalter" als Waffenbesitzer bekannt. Seit dem Beginn der Beobachtung im Jahr 2016 wurden Angehörigen der Szene mindestens 570 waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen.

    Am Verwaltungsgericht München gingen die Entscheidungen in den Klageverfahren meistens zu Gunsten der Behörden und gegen die Kläger aus. In der überwiegenden Zahl der Fälle habe sich der Verdacht erhärtet oder "nicht mit der notwendigen Sicherheit ausräumen lassen", wie ein Sprecher sagte. Denn anders als im Strafrecht gilt bei diesen Verfahren nicht "im Zweifel für den Angeklagten". Der Maßstab ist quasi umgekehrt: So lange es Zweifel daran gibt, dass der Besitzer einer Waffe jederzeit ordnungsgemäß damit umgeht, muss er die Waffen abgeben. (dpa/lby)

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