Eigentlich ist Walt Disney an allem schuld. Als der US-amerikanische Produzent 1942 seinen Zeichentrickfilm „Bambi“ in die Kinos brachte, konnte keiner ahnen, dass die Geschichte vom Rehkitz eine kleine Kulturrevolution auslösen würde. Dabei hat Disney eines seiner bedeutendsten Werke nicht einmal selbst erfunden, sondern die Rechte dem österreichischen Schriftsteller und passionierten Jäger Felix Salten abgekauft.
Salten publizierte 1923 einen Roman, in dem ein Rehkitz namens Bambi die Hauptrolle spielte. Der Roman war so erfolgreich, dass er wenige Jahre später für den amerikanischen Buchmarkt ins Englische übersetzt wurde. Und da es in der Neuen Welt keine Rehe gibt, wurde aus dem jungen Rehbock flugs ein kleiner Weißwedelhirsch. In der deutschen Synchronfassung des Kinostreifens Anfang der 50er Jahre verwandelte sich Junghirsch Bambi wieder in ein Rehkitz, sein Vater blieb jedoch ein amerikanischer Weißwedelhirsch. Seitdem ist die Verwirrung perfekt und so mancher glaubt noch immer, dass das Reh ein Kind des Hirsches sei.
Das wiederum ist Unsinn. Zwar ist das Reh wie Rot- und Damwild Teil der Hirsch-Familie, es unterscheidet sich aber stark von diesen. Der nächste Verwandte ist vielmehr der Elch. Während etwa das Rotwild das ganze Jahr über vorwiegend in Rudeln zusammenlebt, ist das Reh ein Einzelgänger. Nur während der Wintermonate finden sich Rehe in größeren Gruppen – von den Jägern „Sprüngen“ genannt – zusammen.
Wildtier 2019 hat es schwer: Rehe werden scharf bejagt
Die Deutsche Wildtierstiftung hat das Reh nun zum Wildtier des Jahres 2019 gekürt. Mit der Wahl soll auch der Konflikt mit der Land- und Forstwirtschaft thematisiert werden. Da Rehe, bekanntermaßen Feinschmecker, mit Vorliebe die Triebe und Knospen kleiner Bäume fressen, werden sie vor allem in den Wäldern scharf bejagt. Auf den Feldern wiederum sterben jährlich viele Kitze durch den Einsatz schwerer landwirtschaftlicher Geräte. Ihre Geburt im Mai fällt in den Monat, in dem die Bauern in der Regel ihre Wiesen mähen.
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Georg Nüßlein (Kreis Günzburg), betont in diesem Zusammenhang, es sei höchste Zeit für einen besseren Umgang mit dem Reh. „Der massive Jagddruck, der insbesondere von den staatlichen Forstverwaltungen ausgeht, kommt einem Feldzug gegen das Reh gleich“, sagt Nüßlein. Seit Jahrzehnten seien die Abschusszahlen erhöht worden und vor allem dem ökologischen Jagdverband gehe es nur darum, das Schalenwild offensiv zu bekämpfen.
Erst vor kurzem habe ihm ein Förster wörtlich gesagt: „Wenn ich ein Reh sehe, ist es schon eines zu viel.“ Nüßlein, selbst Jagdpächter in Münsterhausen im Kreis Günzburg, hält die Strategie des Staatsforstes für „unanständig“. Und auch der Bayerische Landtag müsse seinen Ansatz „Wald vor Wild“ überdenken, sagt der CSU-Politiker. Er müsse vielmehr lauten: „Wald mit Wild“.
"Verhältnis von Wald und Wild muss stimmen"
Hubert Droste, Leiter des Forstbetriebs Zusmarshausen im Landkreis Augsburg, widerspricht Nüßlein. In seinem Forstbetrieb mit einer rund 15000 Hektar großen Jagdfläche seien die Abschüsse in den vergangenen Jahren sogar zurückgegangen – von 1600 Rehen in 2012 auf heute rund 1100 Stück. Auch der Verbiss durch das Rehwild an kleinen Bäumen zeige eine positive Entwicklung. Das hätten das jüngste Vegetationsgutachten und auch die Waldinventur im Forstbetrieb Zusmarshausen, die alle zehn Jahre durchgeführt wird, bestätigt.
„Bei der Tanne etwa ist ein deutlicher Rückgang der Verbissschäden festzustellen. Und auch die Naturverjüngung hat zugenommen.“ Droste: „Das ist erfreulich und eine Bestätigung unserer intensiven Bemühungen.“ In vier von sechs Hegegemeinschaften im Bereich des Forstbetriebs Zusmarshausen könne der Abschuss deshalb beibehalten werden. Das Kriterium, sagt Droste, laute ganz einfach: „Das Verhältnis von Wald und Wild muss passen.“
Jährlich werden mehr als eine Million Rehe erlegt
In Deutschland werden jährlich mehr als eine Million Rehe erlegt. In Bayern waren es im Jagdjahr 2017/18 rund 324.000. Dass auf den Feldern dennoch immer weniger Rehe gesehen werden, liegt am immensen Freizeitdruck, aber auch an der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung. Das Wild findet auf freier Flur kaum Äsungsflächen und geht nur selten in Maisfelder – der Lebensraum wird enger, es zieht sich zur Nahrungssuche mehr und mehr in den Wald zurück. Mit den bekannten Folgen.
Jürgen Vocke, Präsident des Bayerischen Jagdverbandes (BJV), freut sich, dass das Reh zum Wildtier des Jahres gekürt würde. „Es erhält damit wieder jene Bedeutung, das ihm gebührt.“ Das Reh ist Teil unserer bayerischen Heimat, sagt Vocke. „Jetzt ist es eine Aufgabe der Gesellschaft ganz allgemein, aber auch der Grundeigentümer und Jäger, dass artgerechte Lebensräume erhalten und vor allem neu geschaffen werden.“ Die Bevölkerung müsse Rehe wieder erleben können. „Wir wollen keine Überhege“, betont der BJV-Präsident. „Aber wir wollen Bestände, die nicht zuletzt aus Tierschutzgründen gesund und altersstufengerecht aufgebaut sind und das auch bleiben.“