Sein Wort hat in Holzschwang (Landkreis Neu-Ulm) Gewicht: Er gibt den kirchlichen Segen, wenn Menschen sich trauen. Er tröstet Hinterbliebene. Er bereitet Jugendliche auf die Konfirmation vor. In seiner Freizeit aber begibt sich der evangelische Geistliche Thomas Pfundner unter die Forscher. Der vierfache Familienvater schätzt dabei die kleinen, zuweilen verborgenen Dinge des Lebens. Der 57-Jährige hat in den vergangenen Jahren das wieder ans Licht befördert, was die Natur im Laufe der Jahrhunderte überwuchert hat: Grenzsteine.
Selbst wenn sie noch sichtbar am Wegesrand stehen, nehmen Spaziergänger kaum Notiz davon. Denn neben wenigen Heimatforschern kann niemand mit den Relikten und ihren eingeritzten Zeichen etwas anfangen. „Schade“ findet das Pfundner und will mit seiner Arbeit in „einem unendlichen Feld“ etwas gegen das Vergessen setzen. Herausgekommen ist nach dem Buch über Steinkreuze in der Region (2013) ein weiteres über Grenzmarkierungen.
Die Münchner Historikerin Sarah Hadry würdigt die zupackende Herangehensweise des Landpfarrers, die sich keineswegs auf akribisches Aktenstudium beschränkt. „Er ist kein reiner Schreibtischtäter, sondern einer, der sich in die Wälder und Felder schlägt. Dort lässt er sich weder von Dornen noch Stechmücken, noch durch winterliche Temperaturen aufhalten.“
Die Begeisterung für die Geschichte vor der Haustür entfachte eine Lehrerin, erzählt Pfundner im Besucherzimmer des Holzschwanger Pfarrhauses, das vollgestopft ist mit Büchern und Abhandlungen. „Das war eine tolle Frau, die ich in der dritten Klasse hatte“, sagt er und erinnert sich an Spaziergänge entlang der Kaufbeurer Stadtmauer. Dass ihm alle Himmelsrichtungen in Schwaben vertraut sind, liegt an den Lebensstationen des Pfarrers: Geboren in Kaufbeuren, verbrachte er viel Zeit bei der Großmutter in Augsburg. Nach beruflichen Stationen in der Oberpfalz und in Oberfranken kam Pfundner zu Beginn der 90er Jahre nach Lehmingen (bei Oettingen) ins Ries, wo er zwölf Jahre lang Pfarrer war. Danach ging es nach Westschwaben in den eingemeindeten Stadtteil Holzschwang, zehn Kilometer von Neu-Ulm entfernt.
Einige der alten Dorfbewohner wissen noch um Grenzsteine in der Umgebung. Während eines Seniorenstammtischs hat sich „der Jakob“ daran erinnert, das im „Wiblinger Holz“ noch so einer steht. Der Rentner wies dem Pfarrer im Wald den Weg. Und der entdeckte nicht nur einen Stein mit dem stark verwitterten Doppelkreuz des Klosters Wiblingen. In einer Entfernung von einigen hundert Metern fand Pfundner in einer leichten Waldsenke weitere acht Grenzsteine. Wenn er das erzählt, beginnen die Augen des Feldforschers zu blitzen.
Erzählungen, Hinweisen von Förstern und Angaben aus Flurblättern ist er nachgegangen. „Etwa 600 Grenzsteine habe ich aufgesucht und mehr als die Hälfte davon selbst gefunden“ - nicht selten in unwegsamem Gelände. Die steinernen Zeugen hatten ganz unterschiedliche Bedeutungen: Sie zeigten an, wem der Grund gehörte, wer Jagd- und Fischereirechte hatte, wer Abgaben verlangen oder die Gerichtsbarkeit ausüben durfte.
In Schwaben traten auf engstem Raum alle möglichen „Herrschaften“ auf den Plan, die das „Alte Reich“ (bis 1806) zu bieten hatte: Große Fürstenhäuser, alter und neuer Adel, verarmte Ritter, Bürger, Kirchenfürsten, städtische Stiftungen, Reichsstifte, Klöster, der Deutsche Orden und andere kirchliche Einrichtungen gehörten dazu.
Auch Augsburg war damals keine einheitliche politische Region. Drei Staatsgrenzen verliefen hier: die der Freien Reichsstadt Augsburg, des Herzogtums bzw. Kurfürstentums Bayern bei Siebenbrunn und des Reichsstifts St. Ulrich und Afra (das Gebiet des heutigen Haunstetten). „Das war alles andere als untypisch“, sagt Wilfried Matzke, Leiter des Geodatenamtes der Stadt Augsburg. Er sei auch ein „Grenzsteinfreak“, bekennt er. Vielleicht mit ein Grund, das Pfundners Buch am morgigen Donnerstagabend (05.11.2015, 18 Uhr) in den Räumlichkeiten der Vermessungsbehörde vorgestellt wird. Interessierte haben die Möglichkeit, nach telefonischer Anmeldung (0821/324-9341) bei der Präsentation dabei zu sein. Einige wenige Plätze gibt es noch.
Ein Fernziel verfolgt der Seelsorger mit seiner Pionierarbeit: „Ich möchte auf diese Kleindenkmale aufmerksam machen, damit sie mehr wertgeschätzt werden. Sie haben uns viel zu sagen. Deshalb sollte man sie pflegen und bewahren.“ Die Denkmalschützer in Baden-Württemberg seien mit ihrem Verständnis um die Bedeutung ein Stück weiter als die bayerischen Kollegen.