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Region: Aichach erinnert an die vergessenen NS-Inhaftierten

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Aichach erinnert an die vergessenen NS-Inhaftierten

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     Bis zu 2000 Frauen saßen in der Zeit der Nationalsozialisten infolge des Gewohnheitsverbrechergesetzes vom November 1933 ein.
    Bis zu 2000 Frauen saßen in der Zeit der Nationalsozialisten infolge des Gewohnheitsverbrechergesetzes vom November 1933 ein. Foto: JVA Augsburg (Archivbild)

    Anna Stögbauer saß wegen schweren Diebstahls im Aichacher Gefängnis. Sie war nicht zum ersten Mal verurteilt worden. Deshalb ordnete ein Richter für die Frau aus Gersthofen eine Sicherheitsverwahrung an – keine Seltenheit in Zeiten des Nazi-Regimes.

    Das Schicksal teilte sie mit 361 Frauen, die in der Zeit der Nationalsozialisten infolge des Gewohnheitsverbrechergesetzes vom November 1933 in Aichach hinter Gitter saßen. Annas Spur verliert sich im Februar 1943 im Konzentrationslager Auschwitz.

    Anna Stögbauer teilt ihr Schicksal mit 361 anderen Frauen

    Gut 75 Jahre später will das Frauenforum Aichach-Friedberg nun auf die Geschichten dieser Frauen aufmerksam machen. In seinem Vortrag „Ausgegrenzt. Eingesperrt. Deportiert. Vergessen?“ berichtet Dr. Franz Josef Merkl am Freitag, 13. April, in Aichach über diesen Teil der Aichacher Geschichte.

    Der promovierte Historiker beschreibt, wie die Zahl der inhaftierten Frauen in Aichach während der NS-Herrschaft von 700 auf über 2000 anstieg und wie sich die Haftbedingungen in dieser Enge verschlechterten.

    Vortrag macht auf die inhaftierten Frauen in Aichach aufmerksam

    Die Strafvollzugsanstalt entwickelte sich dabei zunehmend zu einem Ort des NS-Unrechts. Ab dem 8. Februar 1943 wurden die 362 Frauen aus der Sicherheitsverwahrung zur „Vernichtung durch Arbeit“, wie es hieß, in mindestens fünf Transporten von Aichach ins Konzentrationslager nach Auschwitz gebracht.

    Die JVA Aichach wurde 1909 als Haftanstalt für weibliche katholische Strafgefangene in Betrieb genommen, unsere Archivfotos stammen aus den 1920er-Jahren.
    Die JVA Aichach wurde 1909 als Haftanstalt für weibliche katholische Strafgefangene in Betrieb genommen, unsere Archivfotos stammen aus den 1920er-Jahren. Foto: JVA Aichach (Archivbild)

    Ihre Vergehen sind in zwei Büchern dokumentiert. Doch eines dieser Bücher ist bis heute verschollen, sodass zurzeit nur 199 Namen bekannt sind. Von diesen namentlich bekannten Frauen haben zwei bis zum Kriegsende überlebt.

    Marion Brülls ist überzeugt davon, dass auch das vermisste zweite Buch bald auftauchen wird. Die Sprecherin des Frauenforums Aichach-Friedberg kennt die Aufzeichnungen. „Die Frauen wurden zum Beispiel verurteilt, weil sie Kontakt zu Kriegsgefangenen hatten“, erklärt sie.

    Es seien politische Gefangene darunter gewesen, Kommunistinnen oder Frauen aus dem Widerstand, genauso wie mittellose Frauen oder solche, die beim Schwarzschlachten oder beim Stehlen von Lebensmitteln erwischt wurden. Sie kamen aus allen besetzten Gebieten, aus Frankreich, Belgien, Italien oder aus dem Aichacher Umland.

    Kontakt zu Kriegsgefangenen wurde verurteilt

    In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie oft als Täter verstanden worden. Dabei wären viele nach heutigem Recht gar nicht im Gefängnis gelandet, wie Marion Brülls erklärt. Mittellose, Kriminelle und Strafgefangene gehören nicht nur in Aichach zur letzten, noch nicht anerkannten Opfergruppe des Nazi-Regimes, die zunehmend in den öffentlichen Fokus rückt.

    Auch in anderen Städten beginnt allmählich die Aufarbeitung, erzählt Marion Brülls. Sie hat die Forschungsarbeiten von Dr. Franz Josef Merkl mit einigen Vertreterinnen des Frauenforums von Anfang an begleitet.

    Seit etwa eineinhalb Jahren beschäftigt sich der Historiker mit den weiblichen NS-Opfern von Aichach. Das ist nicht immer einfach, wie Marion Brülls berichtet: „Am Ende sind es tragische Einzelschicksale, die einen betroffen machen.“ Dazu gehören nicht wenige Zwangssterilisierte. Die meisten von ihnen waren keine verurteilten Straftäterinnen, sondern zumeist mittellose Frauen, oft mit unehelichen Kindern.

    Für 110 Frauen liegen nach den derzeitigen Forschungsergebnissen Kostenerstattungsakten im Stadtarchiv in Aichach vor. Anstaltsarzt Dr. Ludwig Schemmel soll 174 Fälle bis März 1938 gezählt haben. In den ländlichen Gebieten hätte die Bevölkerung oftmals versucht, diese Frauen vor der Sterilisation zu bewahren, wie die Untersuchungen zeigen.

    Viele Frauen wurden zwangssterilisiert

    Trotzdem ist die Sprecherin des Frauenforums Jacoba Zapf irritiert angesichts der großen Anzahl an Vollstreckern in diesen Jahren, die ihr eigenes Gewissen nicht befragten und auch „nicht aufmucken“, wie sie sagt. In den heutigen Zeiten, in denen die Gesellschaft ihre letzten Zeitzeugen verliert, müsse die Erinnerung wach gehalten werden. „Unsere Kinder müssen diese Vergangenheit ernst nehmen“, findet sie.

    Nur mit dieser Erinnerung und aus diesem Wissen heraus sei das Gestalten einer Zukunft möglich, erklärt Jacoba Zapf. Um Schuld gehe es dabei heute nicht mehr. Die beiden Sprecherinnen des Frauenforums Aichach-Friedberg könnten sich gut vorstellen, die Erinnerung an diese Frauen mit einer Dauerausstellung in einem Museum oder einer anderen Gedenkstätte zu erhalten.

    Die Erinnerung an die Frauen soll laut Frauenforum Aichach-Friedberg erhalten bleiben

    Das müsste allerdings aus der Mitte der hier lebenden Menschen gewünscht und gestaltet werden, finden die beiden.

    Historiker Dr. Franz Josef Merkl: „Ausgegrenzt. Eingesperrt. Deportiert. Vergessen?“ am Freitag, 13. April, ab 20 Uhr im Kreuzgratgewölbe im Kreisgut Aichach, keine Anmeldung nötig.

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