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Psychologe im Interview: "Für Ursulas Eltern bringt der Prozess keine Erlösung"

Psychologe im Interview

"Für Ursulas Eltern bringt der Prozess keine Erlösung"

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    ursula herrmann
    ursula herrmann

    Von Holger Sabinsky Wenn am Mittwoch um 9 Uhr in Augsburg der Prozess gegen den mutmaßlichen Entführer von Ursula Herrmann beginnt, werden die Eltern des vor 27 Jahren entführten Mädchens nicht dabei sein.

    Es wäre zu schmerzhaft, dem Mann in die Augen zu blicken, der möglicherweise für den Tod ihrer Tochter verantwortlich ist. Wie gehen Eltern mit dem Verlust eines Kindes um? Wir sprachen mit dem Psychologen Oliver Seemann aus Starnberg.

    Nach mehr als 27 Jahren wird einer der spektakulärsten Kriminalfälle vielleicht aufgeklärt. Warum wollen die Eltern des Opfers nicht dabei sein?

    Seemann: Ursulas Eltern machen das genau richtig.

    Der Prozess bringt für sie keine Erlösung. Sie würden bloß den alten Schmerz wieder und wieder durchleben. Nach so langer Zeit können sie nicht besser schlafen, nur weil der Täter einen Namen hat. Eine Bestrafung ist mehr ein Bedürfnis der Gesellschaft. Wie verarbeiten Eltern grundsätzlich den Verlust eines Kindes?

    Seemann: So etwas kann man nicht verarbeiten, sondern nur verdrängen. Am Anfang ist eine gesunde Trauer wichtig. Danach muss man sich ablenken mit Arbeit, Hobbys, Reisen. Manchen hilft es, ein Kind zu adoptieren.

    Aber ganz aus dem Kopf bekommt man so etwas nie?

    Seemann: So eine Tat wird immer im Hinterkopf bleiben. Es gibt Möglichkeiten einer Therapie zur Trauerbewältigung. Zum Beispiel lässt sich der Schmerz durch Hypnose von der Tat abkoppeln. Dann lösen Gedanken an die Tat nicht mehr so starke Emotionen aus.

    Macht es für Eltern einen Unterschied, ob sie ein Kind durch einen Unfall oder durch ein Verbrechen verlieren?

    Seemann: Ich denke ja. Bei Verbrechen kommen automatisch - vor allem anfangs - Wut- und Rachegefühle hoch.

    Bei Michael und Anneluise Herrmann hatte man aber nie das Gefühl, dass sie Wut oder Rachegefühle verspüren. Wie das?

    Seemann: Ich habe gehört, sie sind sehr gläubig. Offenbar ist bei ihnen der christliche Glaube so stark, dass sie Rachegefühle kontrollieren können. Religiosität ist ohnehin auch ein gutes Mittel, um so einen Schicksalsschlag zu verarbeiten.

    Wollen die Eltern nach so langer Zeit nicht endlich Antworten?

    Seemann: Bestimmt, aber eine Teilnahme am Prozess würde nur alles wieder aufwühlen. Der Verlust eines Kindes ist etwas völlig Unvorhergesehenes. Wir Menschen sind darauf geeicht, dass zuerst die Eltern oder Großeltern sterben, nicht das Kind.

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