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Prozess um Hundebiss: Nico hat einen Herzenswunsch: Er will eine neue Nase

Prozess um Hundebiss

Nico hat einen Herzenswunsch: Er will eine neue Nase

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    Nico Poniatowski wünscht sich nach einem Hundebiss endlich eine neue Nase.
    Nico Poniatowski wünscht sich nach einem Hundebiss endlich eine neue Nase.

    Von Harald Jung, Karlskron/Ingolstadt Von juristischen Spitzfindigkeiten und Paragrafen hat er keine Ahnung. Vieles von dem, was die Erwachsenen da mit der Richterin am Ingolstädter Landgericht reden, versteht Nico Poniatowski (10) nicht wirklich. Er hat nur einen Herzenswunsch: Er möchte wieder mit einem normalen Gesicht herumlaufen.

    Ein Hund hat Nico das halbe Gesicht weggebissen. Neben dem medizinischen Leidensweg absolvieren er und seine Familie auch einen durch die Instanzen: Ein skrupelloser Anwalt hat den Buben um 45 000 Euro Schmerzensgeld betrogen.

    Am Vatertag 2004 wurde Nico von einem großen Schweizer Hütehund angefallen. Der Bub spielte mit einem Freund Fußball, als der Hund dahertrottete. Das Tier, sonst liebevoller Spielkamerad, schnappte zu und biss dem Jungen die ganze Nase ab. Ärzte im Schwabinger Krankenhaus nähten die Reste zwar wieder an, doch das meiste Gewebe war zerstört und fiel wieder ab.

    Zwei Jahre lief der Bub mit einem hässlichen großen Loch mitten im Gesicht herum. Das Geruchsorgan wurde bei einer plastischen Operation mit Plantaten aus dem eigenen Körper zwischenzeitlich wenigstens halbwegs wiederhergestellt. Tiefe Narben und Furchen aber sind geblieben.

    Von einem normalen Aussehen ist der Bub aus dem oberbayerischen Karlskron (Landkreis Neuburg-Schrobenhausen) weit entfernt. Nie geht er ohne Pflaster über der Wunde auf die Straße. Er schämt sich für sein Aussehen. Nicht selten reagieren Gaffer entsetzt, wenn sie in sein Gesicht schauen - ihr Blick trifft Nico tief.

    Zunächst schien die zivilrechtliche Seite der folgenschweren Hundeattacke kein Problem zu sein. Die Victoria-Versicherung überwies im Zuge der Haftpflicht 2500 Euro Soforthilfe, alles Weitere sollte ein Ingolstädter Anwaltsbüro regeln, das damals noch einen klangvollen Namen hatte.

    Aber dann flogen die beiden Inhaber auf: Sie hatten über Jahre Mandantengelder unterschlagen. Insgesamt mehr als 1,4 Millionen Euro. Die Juristen lebten davon in Saus und Braus. Ferrari, Karibik-Vergnügen und Champagnerbäder sind inzwischen passé - einer der Anwälte sitzt seit eineinhalb Jahren in Haft.

    Sein Kompagnon kam in der Berufungsverhandlung vor dem Ingolstädter Landgericht überraschend mit einer Bewährungsstrafe davon. Das strapazierte den Ruf der Ingolstädter Justizkreise gehörig. Leitender Oberstaatsanwalt Helmut Walter hat umgehend Revision gegen dieses Urteil angeordnet.

    Doch für Nico und seinen Vater Dirk hat der Ausgang dieses Strafverfahrens ebenso wenig Bedeutung wie die Abwicklung des Insolvenzverfahrens der Kanzlei. Denn Geld ist keines mehr zu holen - Banken und geprellte Mandanten stehen ohnehin Schlange.

    Vor dem Landgericht läuft nun ein Verfahren, das "neben der zivilrechtlichen Seite auch eine tiefe menschliche und moralische Komponente hat", wie Richterin Birgit Piechulla zugibt. Denn Nicos Vater verklagte in seiner Not die Victoria-Versicherung. Die hat besagte 45.000 Euro Schadenersatz an den Rechtsanwalt gezahlt, aber auf Grundlage einer Abfindungserklärung, die lediglich von einem der geldgierigen Rechtsanwälte unterzeichnet wurde. Die Eltern waren nicht gefragt worden - obwohl die Gesellschaft gefordert hatte, dass die Erklärung von beiden Elternteilen unterschrieben werden muss.

    Die Mutter, die vor einigen Monaten gestorben ist, war nicht informiert worden, der Vater hatte damals einen Einsatz als Berufssoldat der Bundeswehr im Kosovo absolviert, wäre aber "jederzeit erreichbar gewesen", wie sein Verteidiger Hermann Sättler nun der Versicherungsgesellschaft vorwirft.

    Die fühlt sich auch aus einem anderen Grund zu Unrecht an den Pranger gestellt: Die Victoria hat inzwischen nämlich freiwillig weitere 20.000 Euro Schadenersatz angeboten, weil man sich "der menschlichen Tragweite des Falles bewusst ist", so deren Rechtsanwältin Christine Volohonsky. Doch Nicos Vater lehnt ab, weil damit dann alle Ansprüche für immer abgegolten wären. Dirk Poniatowski hat Angst, dass noch dringend notwendige kosmetische Operationen nicht mehr gezahlt werden.

    Im Mai wird in Ingolstadt weiterverhandelt. Alle sind sich einig, dass im Grunde die beiden betrügerischen Rechtsanwälte auf der Anklagebank sitzen müssten. "Das ist eigentlich ein Stellvertreterprozess", beschreibt die Richterin die Situation mit einem juristischen Begriff. Den versteht Nico freilich nicht. Er möchte nur wieder halbwegs normal aussehen.

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