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Prozess in Augsburg: Der Tag der Wahrheit: Georg Schmid weint vor Gericht

Prozess in Augsburg

Der Tag der Wahrheit: Georg Schmid weint vor Gericht

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    Der frühere CSU-Landtagsfraktionschef Georg Schmid im Gerichtssaal in Augsburg. Montag war der Tag der Wahrheit für ihn.
    Der frühere CSU-Landtagsfraktionschef Georg Schmid im Gerichtssaal in Augsburg. Montag war der Tag der Wahrheit für ihn. Foto: Aren Kamm (dpa)

    Am Ende, als alle denken, dass der Angeklagte weiterhin schweigen wird, erhebt sich ein sichtlich bewegter Georg Schmid, 61, und spricht das Gericht direkt an: Er habe sich sein ganzes Leben bemüht, rechtschaffen zu sein, so sei er erzogen worden. „Für mich und meine Familie war es eine Katastrophe, was in den letzten zweieinhalb Jahren passiert ist.“

    Schmid setzt sich, Tränen fließen. Selten ist in einem Gerichtssaal ein so emotionaler und persönlicher Vortrag eines Angeklagten zu hören. Der frühere Spitzenpolitiker aus Donauwörth wird ihn zumindest teilweise vorbereitet haben. Ob er auch bereits ahnte, dass der Prozesstag nicht günstig laufen wird?

    Chronologie der "Verwandtenaffäre"

    15. April: Das Buch "Die Selbstbediener - Wie bayerische Politiker sich den Staat zur Beute machen" von Hans Herbert von Arnim erscheint und tritt die Diskussion um die "Familienaffäre" los. Zwei Tage später diskutiert der bayerische Landtag über Arnims Kritik.

    19. April: Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) veröffentlichte eine Liste von 17 Abgeordneten, die bis vor Kurzem rechtmäßig Verwandte ersten Grades beschäftigten.

    19. April: Ministerpräsident Horst Seehofer fordert die betroffenen Parteimitglieder auf, die Beschäftigungsverhältnisse mit ihren Familienangehörigen sofort zu beenden. CSU-Fraktionsvorsitzender Georg Schmid und Kultusminister Ludwig Spaenle kündigen daraufhin ihren Ehefrauen.

    23. April: Die Summe des Honorars von Georg Schmids Frau wird bekannt: Sie erhielt für ihre Leistungen monatlich zwischen 3.500 und 5.500 Euro brutto.

    25. April: Georg Schmid tritt aufgrund des schwindenden Rückhalts in der CSU und des medialem Drucks als Fraktionsvorsitzender zurück. Ein Neuburger Bürger zeigt Georg Schmids Ehefrau Gertrud wegen Scheinselbstständigkeit an.

    29. April: Georg Winter tritt als Haushaltsausschussvorsitzender im bayerischen Landtag zurück. Er hatte seine beiden Söhne im Alter von 13 und 14 Jahren sowie seine Frau beschäftigt. Die Staatsanwaltschaft Augsburg prüft Ermittlungen gegen Georg Schmid und seine Ehefrau wegen Scheinselbstständigkeit.

    30. April: Münchens Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Christian Ude fordert Schmid und Winter auf, auch ihre Landtagsmandate niederzulegen. Mittlerweile sind 17 Abgeordnete der CSU, zwei der SPD, ein Grüner sowie Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger in die Familienaffäre verwickelt.

    2. Mai: Georg Schmid gibt seinen Rückzug aus der Berufspolitik bekannt. Justizministerin Beate Merk, Landwirtschaftsminister Helmut Brunner und Kulturstaatssekretär Bern Sibler räumen ein, enge Verwandte beschäftigt zu haben.

    3. Mai: Landtagspräsidentin Barbara Stamm veröffentlicht eine Liste mit 79 Abgeordneten, die nach 2000 Familienangehörige beschäftigt haben oder hatten. Kultusminister Spaenle kündigt an, das volle Gehalt seiner Frau zurückzuerstatten. Ministerpräsident Seehofer fordert betroffene Abgeordnete auf, diesem Beispiel zu folgen.

    4. Mai: Fünf Kabinettsmitglieder kommen der Forderung Seehofers nach und wollen dem Staat die Gelder zurücküberweisen.

    6. Mai: Ministerpräsident Seehofer stellt seinen Drei-Punkte-Plan zur Überwindung der Familienkrise vor. Das Landtagsamt vertritt die Meinung, dass die Anstellung von Georg Winters Söhnen illegal war. Der will daraufhin das komplette Gehalt seiner Söhne an die Staatskasse zurückzahlen.

    7. Mai: Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International fordert alle betroffenen Abgeordneten auf, die Gelder zurückzuerstatten. Die Staatsanwaltschaft Ausburg will gegen den zurückgetretenen CSU-Fraktionschef Georg Schmid nach Angaben des Landtags ein Ermittlungsverfahren einleiten. Die Staatsanwaltschaft Augsburg kommentiert den Bericht vorerst jedoch nicht.

    8. Mai: Der Bayerische Oberste Rechnungshof schaltet sich in die Affäre ein. Er will rückwirkend die Vergabe von Abgeordneten-Jobs an Familienangehörige sowie die Neuregelung des Abgeordnetengesetzes prüfen.

    23. Februar 2014: Auf dem Höhepunkt der Verwandtenaffäre im Landtag beschließt die CSU einstimmig einen Verhaltenskodex. Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel hatte zusammen mit anderen CSU-Spitzenpolitikern den Kodex für ihre politischen Mandatsträger entwickelt, um Filz- und Amigo-Vorwürfen künftig jede Grundlage zu entziehen.

    25. Februar: Der schwäbische SPD-Abgeordnete Harald Güller wird im Rahmen der Verwandtenaffäre wegen Betrugs verurteilt. Er hatte den Sohn seiner Frau aus erster Ehe im Jahr 2009 für zwei Monate beschäftigt und 7500 Euro für Gehalt und Sozialversicherungsbeiträge aus der Landtagskasse gezahlt. Die Richterin argumentierte, dass Güller, der selbst Jurist ist, vorsätzlich gehandelt habe. Güllers Anwalt kündigte Berufung an.

    11. Juni: Nach einer Verfassungsklage der SPD werden im Landtag die Summen veröffentlicht, die Kabinettsmitglieder ihren Verwandten bezahlt haben. Bei den fünf Ministern und Staatssekretären der CSU – Helmut Brunner, Ludwig Spaenle, Gerhard Eck, Franz Pschierer und Bernd Sibler – liegt die Gesamtsumme der gezahlten Vergütungen seit 1997 bei über 1,3 Millionen Euro.

    25. Juli: Die Staatsanwaltschaft Augsburg erhebt Anklage gegen Georg Schmid. Der frühere CSU-Fraktionschef soll 350.000 Euro Sozialabgaben nicht bezahlt haben. Im Einzelnen lauten die Vorwürfe auf vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 262 Fällen sowie Steuerhinterziehung in 59 Fällen. Seiner Frau werden Beihilfe und Steuerhinterziehung vorgeworfen.

    Es ist der Tag der Wahrheit für Georg Schmid. Mitarbeiter des Finanzamtes, des Zolls und der Rentenversicherung sagen als Zeugen im Prozess gegen den früheren CSU-Fraktionschef aus. Und am Ende des Tages bleibt kein anderer Schluss, als dass der frühere Spitzenpolitiker aus gesetzlicher Sicht seine Frau fast 22 Jahre lang als Scheinselbstständige beschäftigt hat. Eine Mitarbeiterin des Zolls stellt fest, dass Gertrud Schmid ihre Einkünfte in allen fraglichen Jahren von 1991 bis 2013 zu mehr als 90 Prozent von ihrem Mann bezogen hat, teilweise seien es sogar 100 Prozent gewesen.

    Zu den wesentlichen Vorzügen eines festen Arbeitsplatzes gehören Errungenschaften wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Oder dass das Gehalt auch fließt, während man einen Urlaub genießt. Jeder Selbstständige weiß, wie schwierig es ist, wenn er länger krank wird. Denn er verdient dann nichts.

    Georg Schmid und die Frage der Scheinselbstständigkeit seiner Frau

    Richter Michael Nißl fragt die Zeugen immer wieder, ob und wie lange das Ehepaar Schmid Urlaub gemacht hat oder ob Gertrud Schmid einmal längere Zeit krank gewesen sei. Das hat genau diesen Hintergrund. Der Urlaub ist dabei nicht das Problem. Das Problem ist, dass Gertrud Schmid laut Ermittlungsakten auch in den Urlaubsmonaten volles Gehalt von ihrem Mann bezog. Das ist nicht üblich für eine selbstständige Unternehmerin, deshalb wertet die Staatsanwaltschaft dies als weiteren Beleg für Frau Schmids Scheinselbstständigkeit.

    Die Zollfahnderin weist darüber hinaus auf allerlei Merkwürdigkeiten in dem Beschäftigungsverhältnis hin. Teilweise sei die monatliche Summe schon an den Schreibservice der Ehefrau überwiesen worden, bevor überhaupt eine Rechnung geschrieben wurde. Es habe auch keine Leistungsnachweise gegeben, die Leistungen seien immer pauschal einen Monat im Voraus bezahlt worden. Die Rechnungen hätten keine Steuer- und Rechnungsnummern enthalten, so die Ermittlerin. In einem Fall sei zu Jahresende sogar eine Nachforderung von 22.000 Euro erhoben worden.

    Auch ein Beamter des Finanzamtes München belastet Schmid: Seine Behörde habe die Geschäftsbeziehung zwischen Georg Schmid und seiner Frau klar als Arbeitnehmerverhältnis eingestuft. Den Schaden für den Fiskus bezeichnet der Finanzbeamte dennoch als „gleich null“. Hintergrund: Gertrud Schmid hat Steuern bezahlt, nur nominell die falschen. Georg Schmid quittiert die Aussage des Finanzbeamten mit Kopfnicken. Allerdings ist seit Langem klar, dass der Vorwurf der Steuerhinterziehung nicht ins Gewicht fällt. Weit schwerer wiegt der Vorwurf des Sozialabgabenbetrugs. Schmid soll die Sozialkassen um fast 350.000 Euro geprellt haben, indem er seine Frau nicht sozialversichert hat.

    Eine Expertin der Rentenversicherung bestätigt die Zahl. Im Oktober 2014 sei ein Rentenbescheid erlassen worden. Demnach fordert die Rentenversicherung 782.377,64 Euro von Schmid zurück, davon 404.000 Euro Zinsen. Schmid habe Widerspruch eingelegt.

    Georg Schmid verdient 4166 Euro netto im Monat

    Und dann muss Georg Schmid auch noch seine wirtschaftlichen Verhältnisse offenlegen. Sein Verteidiger Nikolaus Fackler übernimmt das. Nach dessen Darstellung stehen Schmid zurzeit 4166 Euro netto monatlich zur Verfügung. Dem stünden Darlehensverpflichtungen von 4850 Euro gegenüber. Das Einkommen setzt sich laut Fackler aus der Beamtenpension und der Abgeordnetenpension zusammen. Zudem besitze Schmid zwei Wohnungen in München und eine in Düsseldorf. Den Verkehrswert der Appartements beziffert der Verteidiger auf 910.000 Euro. Das Wohnhaus in Donauwörth sei rund 500.000 Euro wert. Georg Schmid habe zudem Grundbesitz in Donauwörth. Zu möglichen Mieteinnahmen macht Fackler keine Angaben. Über „nennenswertes Barvermögen“ verfüge Schmid nicht mehr.

    Das Urteil fällt am Mittwoch.

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