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Prozess: Trotz Verurteilung: Schreiber muss wohl nie mehr ins Gefängnis

Prozess

Trotz Verurteilung: Schreiber muss wohl nie mehr ins Gefängnis

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    Der frühere Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber wurde in Augsburg zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Er muss aber nicht ins Gefängnis und kündigte an, erneut Revision beim Bundesgerichtshof einzulege.
    Der frühere Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber wurde in Augsburg zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Er muss aber nicht ins Gefängnis und kündigte an, erneut Revision beim Bundesgerichtshof einzulege. Foto: Fred Schöllhorn

    Es ist eine seltsame Situation für Karlheinz Schreiber. Am Vorabend haben Tausende beim FC Bayern dem mutmaßlichen Steuerhinterzieher Uli Hoeneß stehend Applaus gespendet. Und er, der frühere Lobbyist, heute 79 Jahre alt, soll mehr als zwei Jahrzehnte nach seinen Taten für sechseinhalb Jahre ins Gefängnis. Das sieht der Kaufmann aus Kaufering nicht ein. Er wird seine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung erneut beim Bundesgerichtshof anfechten, sagt er.

    Seit einem Herzinfarkt gilt der 79-Jährige als haftunfähig

    Äußerlich gibt sich Schreiber gelassen. Beim Betreten des Gerichtsgebäudes in Augsburg sagt er zum Sicherheitsmann, der ihn kontrolliert: „Gut, machen wir das Spiel noch einmal.“ Selbst nach dem Urteil, im Café Freud gegenüber dem Strafjustizzentrum, bleibt der frühere Lobbyist locker. Auf dem Tisch stehen frisch gepresster Orangensaft und eine Flasche Prosecco. Als ob es etwas zu feiern gäbe.

    Dabei ist das Urteil der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg deutlich: Schreiber hat zwischen 1988 und 1993 rund 9,7 Millionen Euro Steuern hinterzogen. Er verdiente zig Millionen an Provisionen mit seiner Lobbyistentätigkeit bei Rüstungsgeschäften mit Saudi-Arabien oder Airbus-Verkäufen.

    Mit den sechseinhalb Jahren ist Schreiber dennoch gut bedient. Die Staatsanwaltschaft hatte immerhin zehn Jahre und drei Monate Haft gefordert. Zudem ist es ihm und seinen Verteidigern gelungen, die Strafe aus dem ersten Prozess um eineinhalb Jahre zu reduzieren. Die Untersuchungshaft und die Auslieferungshaft in Kanada werden auf die Haftstrafe angerechnet – zusammen mehr als drei Jahre.

    Die Bestechung des Ex-Rüstungsstaatssekretärs Ludwig-Holger Pfahls ist nach Ansicht des Gerichts verjährt. Das Urteil ist auch nicht rechtskräftig, bis Karlsruhe über die Revision entschieden hat. Und Schreibers Gelassenheit hat noch einen Grund. Er darf zu Hause wohnen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass er nie wieder ins Gefängnis muss.

    Das Gericht hat angeordnet, dass der Haftbefehl gegen ihn außer Vollzug bleibt. Wegen Fluchtgefahr bleibt Schreiber aber unter Hausarrest. Seit einem Herzinfarkt im Gefängnis im März 2012 gilt der 79-Jährige als haftunfähig. Man kann davon ausgehen, dass dies so bleibt. Ein Meniskus-Riss ist hinzugekommen, eine Operation wegen des schwachen Herzens aber gefährlich.

    Schreiber läutete Karriere von Angela Merkel ein

    Karlheinz Schreiber ist älter und leiser geworden. Das gesamte Verfahren hat an Brisanz verloren. Die Affäre um den früheren Waffenlobbyisten und Spezl von Franz Josef Strauß war einst einer der spannendsten deutschen Politkrimis der Nachkriegszeit. Mit Drohungen und Schimpftiraden sorgte der Geschäftsmann aus Kaufering noch zu Beginn dieses Jahrhunderts für große Schlagzeilen. Damals war gerade erst bekannt geworden, dass Schreiber bei „Fuchs“-Panzergeschäften mit Saudi-Arabien mit Schmiergeldern in Millionenhöhe hantiert hatte und vor allem der Union auch unter der Hand Geld zusteckte.

    Eine Million Mark in bar, die er dem CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep übergeben hatte, löste die CDU-Parteispendenaffäre aus und führte dazu, dass Altkanzler Helmut Kohl vorübergehend zur unerwünschten Person der Christdemokraten wurde.

    Der Fall Schreiber: eine Chronologie

    Karlheinz Schreiber, eine Hauptfigur im CDU-Spendenskandal, beschäftigt seit 15 Jahren die Justiz. Eine Chronologie des Falles.

    Oktober 1995: Nach der Durchsuchung seines Hauses in Kaufering bei Landsberg setzt sich Schreiber nach Pontresina in der Schweiz ab.

    September 1997: Die Staatsanwaltschaft Augsburg erlässt Haftbefehl wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung.

    März 1999: Schreiber flüchtet mit seinem kanadischen Pass nach Ottawa.

    August 1999: Schreiber wird in Toronto gefasst. Die deutsche Justiz beantragt seine Auslieferung. Gegen eine Kaution von 1,2 Millionen kanadischen Dollar (740 000 Euro) kommt er im September wieder auf freien Fuß.

    März 2000: Die Staatsanwaltschaft Augsburg erhebt Anklage gegen Schreiber wegen Bestechung, Beihilfe zur Untreue, gemeinschaftlichen Betrugs und Steuerhinterziehung. Er soll dem Fiskus rund zehn Millionen Euro vorenthalten haben.

    Januar 2001: Schreiber weigert sich, ohne die Zusicherung eines freien Geleits zum Prozess nach Augsburg zu kommen. Das Landgericht Augsburg trennt sein Verfahren deshalb von anderen ab.

    Mai 2004: Das höchste Gericht der Provinz Ontario ordnet Schreibers Ausweisung an, er geht in Berufung.

    Juni 2004: Schreiber wird nach kurzer Auslieferungshaft erneut gegen die schon 1999 hinterlegte Millionenkaution freigelassen.

    Juli 2005: Der deutsche Bundesrat beschließt eine Verschärfung der Verjährungsregeln («Lex Schreiber»). Danach ruht die Verjährung von Straftaten, solange sich der Beschuldigte im Ausland aufhält und die deutschen Behörden seine Auslieferung betreiben.

    Februar 2007: Das oberste kanadische Gericht weist Schreibers Einspruch gegen seine Überstellung nach Deutschland ab.

    Juni 2007: Schreiber verklagt Kanada vor einem Bundesgericht in Halifax (Provinz Neuschottland) wegen angeblicher «Rechtsbrüche» auf Schadenersatz von 35 Millionen Dollar. Der Richter weist die Klage ab.

    November 2007: Das Berufungsgericht von Ontario gibt grünes Licht für Schreibers Auslieferung. Schreiber beantragt ein Berufungsverfahren - sein dritter Gang zum Supreme Court. Das Berufungsgericht von Ontario setzt die Auslieferung bis zum Votum des Obersten Gerichtshofs aus.

    Dezember 2007: Schreiber, seit 4. Oktober in Abschiebehaft, wird gegen die inzwischen auf 1,31 Millionen kanadische Dollar erhöhte Kaution vorerst wieder auf freien Fuß gesetzt.

    August 2008: Das Berufungsgericht von Ontario verwirft den vierten Antrag Schreibers gegen seine Auslieferung.

    August 2009: Nach einer letzten Niederlage vor Gericht wird Schreiber nach Deutschland geflogen.

    18. Januar 2010: Vor dem Landgericht Augsburg beginnt das Verfahren gegen Schreiber. Den Vorwurf der Bestechung hat das Gericht wegen Verjährung allerdings aus dem Haftbefehl genommen.

    Mai 2010: Karlheinz Schreiber wird wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Das ist eine der höchsten Strafen, die je in Deutschland für dieses Delikt ausgesprochen wurden.

    September 2011: Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt das Schreiber-Urteil des Augsburger Landgerichts in Teilen auf. Der Fall muss neu verhandelt werden.

    Mai 2012: Schreiber wird aus der Haft entlassen. Grund dafür ist sein Gesundheitszustand. Anfang März erlitt der 78-Jährige in U-Haft einen Herzinfarkt.

    September 2012: In Augsburg beginnt der Revisionsprozess gegen Schreiber.

    Oktober 2013: Die Staatsanwaltschaft plädiert für zehn Jahre Haft.

    November 2013: Schreiber wird zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt.

    Eine weitere Spende über 100.000 Mark, die er Wolfgang Schäuble unter bis heute unaufgeklärten Umständen übergeben hatte, führte 2000 zu dessen Rücktritt als CDU-Vorsitzender. In Schäubles Fall trafen Schreibers Drohungen zu: Er lasse Schäuble „in so ein tiefes Loch fallen, dass man den Aufprall nicht mehr hört“, sagte Schreiber. Nur ein paar Tage später trat Schäuble zurück. Die Karriere von Angela Merkel als CDU-Chefin begann.

    Inzwischen ist das Verfahren auf einer anderen Ebene angelangt. Spitzenpolitiker waren nicht mehr als Zeugen geladen. Nur zum Abschied sagt Schreiber noch geheimnisvoll: „So leicht werde ich es denen nicht machen.“ Da ist er wieder ganz der Alte.

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