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Porträt: Vom Flegel zum Staatsmann: Der neue Markus Söder

Porträt

Vom Flegel zum Staatsmann: Der neue Markus Söder

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    Markus Söder hat's geschafft. Jahrzehntelang hat er auf sein großes Ziel hingearbeitet - jetzt wird er zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt.
    Markus Söder hat's geschafft. Jahrzehntelang hat er auf sein großes Ziel hingearbeitet - jetzt wird er zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt. Foto: Andreas Gebert, dpa (Archiv)

    Kann es sein, dass ein Mensch so verkannt wird? Kann es sein, dass einer sein Leben lang für seinen jugendlichen Übermut büßen muss? Kann ein Mensch sich ändern? Oder ist es nicht doch so, dass ein Rowdy ein Rowdy bleibt, so wie ein Feigling ein Feigling oder ein Kleingeist ein Kleingeist? Markus Söder, der heute im Alter von 51 Jahren zum elften bayerischen Ministerpräsidenten seit Ende des Zweiten Weltkriegs gewählt wurde, hängt der Theorie an, dass sich schon auf dem Schulhof kurz vor der ersten Schlägerei zeigt, was einer sein Leben lang sein wird: Einer der steht oder einer der kneift.

    Söder und sein Kampf gegen Klischees

    Es ist überflüssig zu sagen, dass Söder sich für einen hält, der steht. Mit diesem Söder hat Bayern schon viel Spaß gehabt – vor allem dank Stephan Zinner, seinem fulminanten Nockherberg-Double. Er hat ihn gegeben als rauflustigen Steinzeit-Rowdy in Fellweste oder als japanischen Samurai-Krieger, der sich mit gezücktem Schwert und Kampfschrei ins Getümmel stürzt. Grandios waren auch jene Singspiele, in denen Söder wild entschlossen mit dem fränkischen Schlachtruf „Addagge!“ auf seinen einst härtesten CSU-Konkurrenten Karl-Theodor zu Guttenberg losgeht und sich nur einen Moment später wie ein trotziger Schulbub bei seinem Chef Horst Seehofer in perfektem Mittelfränkisch über den „Dreggsregionalbroborz“ in der Partei beklagt. Das Muster ist immer dasselbe: Söder will nach oben. Er will ganz nach oben. Unbedingt. Doch sie lassen ihn nicht. Er jammert. Er fängt sich. Und nimmt dann doch wieder einen neuen Anlauf. Und noch einen. Und noch einen. Das ist das Klischee. Es ist so hart wie Beton.

    Doch es ist genau genommen noch schlimmer. Zur Darstellung Söders auf dem Nockherberg gehört auch, dass er immer wieder vorgibt, sich zu ändern, und doch nicht aus seiner Haut kann. Er singt: „Ich war ein ganz ein Böser, jetzt bin ich ein Seriöser.“ Er sagt: „Ich arbeidde an meiner Bersönlichgeid.“ Er gelobt Besserung. Und doch glaubt es ihm keiner. Schon 2004 sagte Bruno Jonas als Bruder Barnabas: „Der Söder weiß inzwischen auch, wie man bescheiden auftritt. Der hat an sich gearbeitet. Vielleicht hat er einen Kurs g’macht und sich beraten lassen? Obwohl ich mir das schwer vorstellen kann – den Söder beraten.“ Luise Kinseher als Mama Bavaria sah das bis zuletzt nicht viel anders.

    Einen Vorteil freilich könnte diese Vorgeschichte für den jüngsten bayerischen Ministerpräsidenten seit 1945 haben. Eine uralte Erfahrung in der Politik besagt, dass das Ende eines Politikers dann naht, wenn das geneigte Publikum beginnt, Witze über ihn zu machen. Söder scheint diese Phase schon hinter sich zu haben. Die Witze über ihn haben einen langen Bart – aber er fängt gerade erst richtig an.

    Zu diesem Anfang gehört schon seit geraumer Zeit Söders aktiver Kampf gegen das Klischee, das ihm seit seiner Zeit als ungestümer Vorsitzender der Jungen Union in Bayern (bis 2003) und als rüpelhafter CSU-Generalsekretär (bis 2007) anhaftet. In seinen ersten Jahren als Europaminister (bis 2008) und Umweltminister (bis 2013) fiel der ehrgeizige Nürnberger vor allem durch kreative Öffentlichkeitsarbeit auf. Er nannte sich nicht „Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten“, sondern „bayerischer Außenminister“. Das Umweltministerium taufte er kurzerhand in „Lebensministerium“ um. In beiden Fällen gab er sich den Anstrich einer Allzuständigkeit. Intern gab es zwar noch illustre Gerüchte über veritable Wutausbrüche. Da soll schon mal ein Handy gegen eine Wand geflogen und ein Glastisch zu Bruch gegangen sein. Doch die Metamorphose vom Flegel zum Staatsmann nahm ihren Weg.

    Wie Markus Söder Stück für Stück Macht errang

    Es war eine harte Zeit. Georg Fahrenschon, sein Spezl aus der Jungen Union, war schon Finanzminister, als Söder noch im Umweltressort festsaß. Als er während der Landesbank-Krise mal ein Tierheim besuchte, führte das zu der Schlagzeile „Fahrenschon rettet Bayern, Söder Igel“. Das tat weh. Wie so viele seiner Konkurrenten aber war irgendwann auch Fahrenschon weg. Im Oktober 2013 wurde Söder Finanzminister. Auf die Unterschiede zu früher angesprochen, sagte er damals frei heraus: „Ich denke weniger über Marketing nach. Die Aufgaben als Finanzminister sind so grundlegend, dass es um die Sache geht.“ Und er fügte hinzu: „Finanzpolitik ist schon auch mehr in der Mitte der Partei.“ Genau da wollte Söder hin.

    Den schmerzhaftesten Tiefpunkt als Minister hatte er da schon hinter sich. Knapp ein Jahr zuvor hatte CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer bei einer Weihnachtsfeier in Gegenwart von Journalisten zum Rundumschlag gegen Parteifreunde ausgeholt. Söder traf es am härtesten. Seehofer attestierte ihm „charakterliche Schwächen“ und „zu viele Schmutzeleien“. Bis heute wird aus Seehofers Umgebung kolportiert, das sei die Retourkutsche des Chefs für eine viele Jahre zurückliegende, gezielte Indiskretion gewesen – über die außereheliche Beziehung Seehofers in Berlin. Was wirklich war, ist bis heute unklar.

    Dennoch vertraute Seehofer Söder bald darauf das Finanz- und Heimatministerium an. Über die Zusammenarbeit in der Sache konnte er sich kaum beklagen. Söder brachte die schwierige Rettung der Landesbank zu Ende. Jetzt endlich durfte er „Bayern retten“. Und er erfüllte die Idee Seehofers mit Leben, mit dem neu geschaffenen Heimatministerium neue politische Akzente zu setzen. Dank einer prall gefüllten Staatskasse blieb es nicht nur beim Marketing. Der Anspruch, mehr für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land tun zu wollen, konnte mit vielen Milliarden Euro unterlegt werden. Obendrein gab es einen angenehmen Nebeneffekt für Söder: Er war es, der die Förderbescheide höchstselbst auch noch in die abgelegensten Orte brachte und damit zugleich Werbung in eigener Sache machte.

    Warum das funktioniert, ist klar: Gewählt wurde Söder heute von der CSU-Landtagsfraktion. Und CSU-Landtagsabgeordnete haben, wenn sie nicht außergewöhnlich starke Persönlichkeiten sind, in aller Regel zwei Probleme: Daheim im Stimmkreis ist der Landrat der Chef und im Landtag haben vor allem die Regierung und der Fraktionschef das Sagen. Wie gut tut es da, wenn der Finanzminister in den Stimmkreis kommt und den Abgeordneten oder die Abgeordnete vor Ort in Gegenwart von Landrat, Bürgermeister und Bürgern über den Schellenkönig lobt. So schafft man sich Freunde fürs Leben.

    Söder hat als Finanzminister dieses Feld konsequent beackert. Er hat zugehört. Er hat sich gekümmert. Er hat zurückgerufen. Seine Machtbasis in der Fraktion wurde immer breiter und fester. Seehofer, der mit dem „Mäusekino“ in der Landtagsfraktion nie warm geworden war, hatte schon lange keine Chance mehr, ihn als seinen Nachfolger zu verhindern. Auch das Angebot, Söder zum Parteichef und CSU-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl zu machen, änderte daran nichts. Söder witterte eine Falle. Er sagte: „Mein Platz ist in Bayern.“ Seine Freunde in der Fraktion klopften ihm auf die Schulter: Recht so, Markus! Wir brauchen dich hier. Lass dich nicht verheizen!

    Söder gibt sich heute ernster und nachdenklicher

    Der phasenweise erbittert geführte Machtkampf zwischen Seehofer und Söder war dann spätestens am Abend der Bundestagswahl entschieden. In der Politik ist es wie an der Börse. Die Vergangenheit zählt nicht, nur die Erwartungen an die Zukunft. Sein Wahlsieg 2013 half Seehofer nicht mehr. Er hatte die Wahl im Bund verloren. Warum sollte er in Bayern gewinnen?

    Söder musste in den Wochen danach nur noch den Nachweis führen, dass er gelernt hat, sich zu beherrschen. Er hielt sich zurück. Die Demontage Seehofers überließ er anderen. Das Ergebnis ist bekannt. Auf dem CSU-Parteitag im Dezember wurde Söder zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl gekürt. Seehofer kündigte seinen Rücktritt als Ministerpräsident an und konnte sein Amt als Parteichef verteidigen.

    Markus Söder gibt sich in Veitshöchheim staatstragend - als Otto von Bismarck. "Manchmal müssen die Bayern die letzten Preußen sein", zitiert er sein Idol Franz-Josef Strauß.
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    Der Ministerpräsident als Reichskanzler: Zur "Fastnacht in Franken" zeigt Markus Söder viele verschiedene Gesichter. Ein Blick auf seine schrägen Verkleidungen.

    Ist der Mann, der heute im Landtag vereidigt wird, noch derselbe, der einst auf dem Schulhof keiner Schlägerei aus dem Weg ging? Es sieht nicht danach aus. Er gibt sich ernster und nachdenklicher, spricht viel von Verantwortung und einer „klaren Haltung“, mit der er Politik „in einer veränderten Zeit“ angehen will. Söder will Integrationsfigur sein für das „bürgerlich-konservative Lager“. Von Edmund Stoiber habe er gelernt, dass es in der Politik um „die großen Linien“ geht, von Seehofer, dass man sich auch um „den Einzelnen kümmern muss“.

    Ganz aus seiner Haut aber kann er nicht. Auf seiner Image-Tour „Söder persönlich“ erzählt er gerne die Geschichte von „Cliff“, dem scharfen Hund seines späteren Schwiegervaters: Als er frisch verliebt das erste Mal am Elternhaus seiner späteren Frau Karin geklingelt habe, sei der Hund sofort auf ihn zugestürzt. Der Vater habe breit gegrinst. Seine Karin habe das Schlimmste befürchtet. Er aber sei stehen geblieben. Und siehe da: Der Hund habe ihn gemocht. „Da hat dann die Karin gelacht und ihr Vater nicht mehr“, sagt Söder und grinst.

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