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Porträt: Revoluzzer mit Horn: LaBrassBanda

Porträt

Revoluzzer mit Horn: LaBrassBanda

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    Stefan Dettl, der mit seiner Band LaBrassBanda Bayerns Blasmusik gewissermaßen revolutionierte.
    Stefan Dettl, der mit seiner Band LaBrassBanda Bayerns Blasmusik gewissermaßen revolutionierte. Foto: Ulrich Wagner

    Sattgrün stehen die Weiden im Saft. Kühe sind weit und breit keine zu sehen. Wen wundert es – bei diesem Wetter. Vorbei am bayerischen Meer, auf dem sich graue Wellen kräuseln, geht die Fahrt hinein in den Chiemgau, das sich an diesem Frühsommertag so präsentiert wie der Rest Bayerns auch – für die Jahreszeit zu kühl.

    Mit Freundin und Schwiegermutter lebt Stefan Dettl in Truchtlaching

    Einem scheint das miese Wetter nicht aufs Gemüt zu schlagen: Stefan Dettl. Der Typ ist schon vormittags ein erstaunlicher Charmebolzen, obwohl man doch Musikern nachsagt, um diese Tageszeit gewöhnlich lieber zu schlafen als Interviews zu geben. „Servus, kemmt’s rei!“, ruft der Mann mit dem blonden Zottelkopf freundlich. Er ist leger in T-Shirt und Cordhose gekleidet. Die Füße stecken in landestypischen Haferlschuhen. Dettl schiebt einen nach drinnen. „Megt’s an Kafä?“, fragt er in seinem typischen Dialekt. Man selbst fragt sich: Ist die gute Laune aufgesetzt oder hat der Musiker einfach Sonne im Gemüt?

    Den LaBrassBanda-Frontmann zu finden war im Übrigen vergleichsweise einfach. Während sich andere Musikstars, und das ist Dettl in Bayern, hinter den Mauern ihrer Villen in Nobelvierteln verschanzen, lebt er mit seiner Freundin Franzi, 23, und deren Mutter Micha, 53, zur Miete im früheren Bürgermeister-Haus im 1200-Seelen-Ort Truchtlaching. Es ist ein Zwei-Generationen-Projekt in einem 300 Jahre alten früheren Bauernhof.

    LaBrassBanda: Stefan Dettl hat Bayerns Blasmusik revolutioniert

    Für alle, die den 32-Jährigen nicht kennen: Stefan Dettl hat Bayerns Blasmusik gewissermaßen revolutioniert, als er 2007 LaBrassBanda gründete, eine fünfköpfige Combo mit drei Bläsern, Schlagzeug und Bass. Seitdem weiß man, was

    Durch den ausladenden Flur, der mit allerhand Kunst und Krempel für sich ein Stillleben bildet, und die gemütliche Küche lotst einen Dettl zu einem überdachten Freisitz. Da seien sie gestern Abend auch gesessen und hätten Rotwein gesüffelt, während rundherum ein wildes Gewitter tobte, erzählt er. Klingt entspannt. Schnell wird klar, das scheint die Gefühlslage zu sein, die der Trompeter, Sänger, Komponist und Texter der meisten Lieder von LaBrassBanda besonders schätzt.

    Stefan Dettl: Zuhause lag die Trompete vom Opa

    Dazu passt, dass – wie sonst oft üblich – keine Werbeabteilung eines Musiklabels den Bandnamen erfand. Der entstand, als Dettl am Handy per Google-Übersetzungshilfe eine cool klingende Version für das Wort Blaskapelle suchte. Heraus kam das italienische Wort „banda“. Ein befreundeter DJ hatte dann die Idee: „Mach doch einfach LaBrassBanda draus! Das klingt gut.“ Der Name ist zwar für eine zeitgeistorientierte Band genauso ungewöhnlich wie ein Trachtenhut für einen Rapper, aber irgendwie passt er zur Musik der Combo.

    Dettl entstammt nicht dem klassischen Künstlermilieu. Abgesehen vom Großvater, der in einer Blaskapelle nach dem Krieg für die amerikanischen Besatzungssoldaten spielte, ist in der Familie niemand sonderlich instrumental ambitioniert. Aber vom Opa lag daheim eine alte Trompete herum. „Schon als Elfjähriger habe ich versucht, aus ihr einen Ton herauszubringen“, erzählt Dettl. Bald spielte er die Stücke im Fernsehen mit – ohne Unterricht, sagt er. Der Bobby-Mc-Ferrin-Hit „Don’t worry, be happy“ war eines der ersten. Wie viel daran Legende ist, bleibt dahingestellt. Unanfechtbar aber ist, dass da wohl einer Talent hatte.

    Stefan Dettl studierte Trompete in München und Linz

    Das attestierten Dettl auch seine Musiklehrer. In Grassau, wo er ursprünglich herkommt, durchlief er die klassische Karriere bei der örtlichen Blaskapelle. Später kamen Zufall oder Schicksal ins Spiel, ganz wie man will. Ein Rheinländer, zu dieser Zeit Dirigent, förderte ihn konsequent.

    Es grenzt an ein Wunder, dass sich die beiden überhaupt verstanden haben. Denn Dettl behauptet von sich: „Ich red nur boarisch.“ Das stimmt allerdings nicht ganz. Auch in Englisch kann man sich mit ihm passabel unterhalten. Hochdeutsch verweigert er. Strikt. Nicht aus Prinzip, sondern weil es bei ihm genauso unecht klänge, als würde ein Berliner sich im Bayerischen versuchen.

    Der Bub, der am Gymnasium eher mäßigen Erfolg hatte, studierte später in München bei dem gebürtigen Sonthofener Professor Wolfgang Guggenberger vier Jahre Trompete und hängte danach in Linz noch ein Jahr an. Agrarchemiker wäre noch eine Alternative der Berufswahl gewesen, meint er. Und schiebt nach: „Aber eigentlich keine echte.“ Nach dem erfolgreichen Studium macht er sich noch mit Jazz vertraut und versuchte sich bei den Nürnberger Symphonikern. Es wurde ein klassischer Fehlschlag: „Das war nix.“ Zu bürokratisch, zu ernst, zu langweilig war es dem jungen Trompeter mit dem Hang zur Rampensau.

    LaBrassBanda mischt Blasmusik mit Techno, Dub und Balkan Beats

    Hinterher schlug er sich erst einmal mit Jobs durch. Unter anderem auch im Traunsteiner Klub „Festung“. An-Dee, der DJ-Spezl, hantierte dort an den Turntables und fragte an, ob Dettl nicht mit der Trompete dazu improvisieren wolle. Der sagte zu – das Publikum ging ab. Der Chiemgauer wurde auf diesem Weg sozusagen zum Zufalls-Revoluzzer der bayerischen Volksmusik. Weil er so gut ankam, nahm er später eine Tuba, eine Posaune, ein Horn dazu – und die Brass Section, also der Bläserteil der Banda, war komplett. Die Idee, eine Liveband zu gründen, lag auf der Hand. Dass sie zudem in bayerischen Lederhosen Techno spielten, entsprang nicht einer verrückten Idee eines PR-Managers, sondern entsprach ihrer eigenen Lebenseinstellung. „Mia woitn gar nix Neis macha“, beteuert Dettl, so als wäre das etwas Negatives. Passiert ist es doch.

    Schnell avancierte LaBrassBanda zum Geheimtipp

    Gerade bei den jungen Leuten auf dem Land avancierte die Band schnell zum Geheimtipp. Überraschenderweise wurde LaBrassBanda bald aber auch dort umjubelt, wo man keinen der Dialekt-Texte verstand. Vom Chiemsee bis zum Gardasee, von München bis Berlin, von London nach Moskau, von Siena bis Marseille und wieder zurück nach Übersee am

    Dettl & Co. haben Traditionelles mit allen möglichen internationalen Stilrichtungen verknüpft. Seitdem sprießen überall im Land Gruppen aus dem Boden, die heimatliche Klänge neu interpretieren. Kein dumbes Humtata mehr, sondern Volksmusik, durchzogen von Strängen aus Hip-Hop, Rock oder Jazz. Auch LaBrassBanda bringt mit ihrem irren und kraftstrotzenden Stilmix aus Funk, Soul, Mariachi, Punk, Dub, Ska, Balkan Beats und Bavarian Dancefloor praktisch jeden Klub zum Tanzen. Dettl ist aber keiner, der traditionelle Blaskapellen von oben her belächelt. Er würde jederzeit wieder mitspielen, wenn sich die Gelegenheit bietet.

    Mit "Nackert" wäre LaBrassBanda beinahe nach Malmö geflogen

    Der Mann wirkt so etwas von geerdet. Permanent pfeift er irgendwelche Bläserriffs vor sich hin, während er bei einem Cappuccino sein Lebensmotto verrät: „Wer miteinander feiern kann, kann auch miteinander leben!“ Das gilt auch für die Band. Sie schafft es, mit ihrer musikalischen Anarchie Trennendes aufzuheben, wie es in einer Ankündigung des TV-Senders Arte heißt.

    Auch einer wie ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber fährt auf die Bayern ab. Persönlich hat er bei ihnen nachfragen lassen, ob sie es sich vorstellen können, am deutschen Vorentscheid des Eurovision Song Contest mitzuwirken. Dettl stellte nur eine Bedingung: „Wir wollen live spielen.“ Während also bei der Konkurrenz abgesehen von der Stimme die Musik aus der Konserve kam, legte LaBrassBanda mit der ihr eigenen Dynamik los. Die Band wäre mit dem leicht frivolen Titel „Nackert“ um ein Haar nach Malmö geflogen, bzw. mit einem Traktor dorthin getuckert. Wenn nicht, ja wenn nicht eine Jury aus Schlagerdinos wie Mary Roos und Popmilchgesichtern wie Tim Bendzko oder Roman Lob Cascada auf den ersten Platz geschoben hätten. Die Folgen dieser seltsamen  Entscheidung sind bekannt: Die Disco-Bling-Bling-Nummer schmierte mit einem enttäuschenden 21. Platz beim Grand Prix ab. Am Ende sollte Angela Merkels Europa-Politik schuld am Misserfolg sein. Auch eine Sicht der Dinge.

    Stefan Dettl: „Jeda soi se an Kopf macha derfa“

    Für Dettl, das betont er, war der zweite Platz keine Enttäuschung, sondern eine „guade Erfahrung“. Über die Konkurrenz verliert er kein schlechtes Wort. Wenn er wirklich geknickt gewesen sein sollte, lässt er sich das zumindest nicht mehr anmerken.

    Das Gespräch wendet sich hin zur Politik. Dazu will er allerdings zunächst nicht viel sagen. Ob Landtag oder Bundestag – zu viel Wortgeklimper, zu wenig Taten. Stefan Dettl ist zu höflich, um das so abwertend zu formulieren. Aber er gehört zu der Sorte Mensch, die sich nicht an tagesaktuellen Ereignissen ereifern. Er orientiert sich lieber an langfristigen Zielen, wie etwa der nötigen Entschleunigung des Alltags oder dem Klimaschutz. Und noch etwas ist ihm wichtig: Meinungsfreiheit. „Jeda soi se an Kopf macha derfa“, nennt er das. Die Dinge zu hinterfragen, liegt ihm am Herzen. An der Art, wie er erzählt, spürt man: Hier spricht kein Intellektueller, vielmehr ein nachhaltig denkender Bauchmensch, der lieber beim Kramer nebenan Äpfel einkauft als im Supermarkt am Ortsrand Hochglanz-Papayas.

    Am 14. Juni erscheint das neue LaBrassBanda-Album

    Eher hippiemäßig sei er erzogen, von den Eltern aber auch zeitig in die Verantwortung genommen worden. Schon als Jugendlicher habe er mit überschaubarem Taschengeld sein Leben weitgehend selbst bestreiten müssen. Eine gewisse finanzielle Umsicht ist daraus erwachsen. Darum wirft er heute nicht mit Geld um sich, sondern legt die Einnahmen an, wie er sagt, um auch an nicht ganz so erfolgreichen Tagen ein Auskommen zu haben.

    Damit soll nicht ausgedrückt sein, dass Stefan Dettl ein verkappter Spießer ist: Kreatives Chaos jedenfalls scheint einen wie ihn zu beflügeln. So ist das neue LaBrassBanda-Album, das am 14. Juni bei Sony-Ariola erscheinen wird, im sogenannten Gästezimmer entstanden. Schlafen kann da freilich keiner. Matratze und Lattenrost lehnen an der Wand, die Vorderseite des Betts wurde zum Tisch umfunktioniert. Darauf stehen ein Laptop, ein teures Mikro, eine Kuhglocke und viel anderer Kruscht. So schaut das Heimstudio also aus. Eine unglaubliche Menge an Krimskams liegt herum. Natürlich wurden die Lieder später in einem professionellen Studio eingespielt und abgemischt, aber gewurzelt hat die neue Produktion hier. Kaum zu glauben.

    Hausführung bei Stefan Dettl: Im Juli will er einen Club eröffnen

    „D’Plattenfirma hod mia freie Hand lassn“, sagt Dettl lächelnd. Das bereits Gehörte ist wieder ein Schmelztiegel unterschiedlicher Musikkultur. Das Premierenkonzert ist ausverkauft. Ob es erstmals zur Goldenen Schallplatte reichen wird? Für den Musiker ist dies kein unbedingtes Ziel.

    Er lädt noch zu einer Hausführung ein. In der früheren Scheune hämmern zwei Handwerker. Im Juli will Dettl hier einen Musikklub eröffnen. Einen Namen dafür hat er noch nicht parat. „Find’ se scho“, ist er sich sicher. Könnte eine feine Adresse werden. Der Boden ist aus Eichenparkett, auf einer Art Balkon soll der DJ thronen. Auch internationale Bands sollen auftreten. Nebenan wurde der Dachboden zu einer Künstlerwohnung ausgebaut, sodass Musiker eine Übernachtungsgelegenheit haben.

    Quentin Tarantino soll von LaBrassBanda begeistert gewesen sein

    Dettl denkt, wie gesagt, gerne ganzheitlich. Darum will er sich im verbliebenen Platz in der Scheune auch ein eigenes Studio einrichten. Im Stall betreibt Micha, die Mutter seiner Freundin, eine Mischung aus Antiquitäten- und Trödelladen namens „Alz-House“. Dettl will einem noch die Brauerei gleich um die Ecke zeigen. Dazu gehört auch eine Art Bräuhaus, wo es großmütterliche Gerichte gibt wie saure Knödel mit Zwiebeln. Das Bier dagegen schmeckt geradezu revolutionär: Es hat keinen herben, sondern einen erstaunlich fruchtigen Abgang.

    Die Zeit zerfließt an diesem Ort vor Weißbiergläsern im wahrsten Sinne des Wortes. Auf der Dachterrasse genießt man zudem einen herrlichen Blick auf das Flüsschen Alz, das hier eine erstaunliche Breite aufweist. Ob das Gerücht stimmt, dass Hollywood-Regisseur Quentin Tarantino vergangenes Silvester in einer Berliner Kneipe total begeistert von LaBrassBanda gewesen sei? Die Frage sollte noch gestellt werden, fällt aber der eigenen Vergesslichkeit anheim. Stattdessen dreht sich das Gespräch um persönliche Wünsche. „Ich möcht’ mich no mehr für andere freuen können“, erzählt Dettl und schiebt grinsend nach: „Aber ich bin noch am Üben.“ Oder, ein anderer interessanter Satz: „Ich wäre gerne ein Egoist – aber einer, der niemand wehtut.“

    LaBrassBanda-Gründer: Stefan Dettl ist ein Harmoniemensch

    Harmoniemensch Dettl, der immerhin zugibt, dass es in der Band zwischen den Musikern schon mal zu ausgeprägten Spannungen kommen kann, hat offenbar einen Hang zum Altruismus, wie man ihn wahrscheinlich sonst höchstens in esoterischen Tantragruppen erlebt. Mit jedem Bier, das er – wie er selbstkritisch gesteht – gerne auch viel zu oft über die Maßen genießt, wird der Mann noch friedliebender.

    Ach ja, sein Traum. Andere würden sagen: Die Welt verändern oder zumindest ein Konzert im Central Park spielen, oder eine Million CDs verkaufen. Der LaBrassBanda-Gründer denkt kurz nach, nickt bedächtig und meint: „In einer Hütte oder einem Bauwagen mit eigenem Studio mitten im Wald leben. Das wär was.“

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