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Porträt: Kaltenberger Ritterturnier: Der mit den Pferden tanzt

Porträt

Kaltenberger Ritterturnier: Der mit den Pferden tanzt

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    Ein Albtraum für jedes Durchschnittspferd: Saida galoppiert unter Stuntman Yann Vaille im Funkenregen durchs Kaltenberger Schlachtgetümmel. Eine feuerfeste Decke schützt das Pferd.
    Ein Albtraum für jedes Durchschnittspferd: Saida galoppiert unter Stuntman Yann Vaille im Funkenregen durchs Kaltenberger Schlachtgetümmel. Eine feuerfeste Decke schützt das Pferd. Foto: Thorsten Jordan

    Würde Saida seinem Instinkt folgen, liefe er jetzt um sein Leben. Ringsum zerreißen gespenstisch flackernde Fackeln die Dunkelheit. Grölende Barbaren dreschen mit Schwertern und Beilen aufeinander ein. Körper sacken rechts und links von Saida leblos zusammen. Planlos davonrennende Frauen und Kinder kreuzen kreischend seinen Weg. Und um die grausame Kampfstätte herum johlt eine Horde aus mehreren tausend Vergnügungswütigen.

    Eigentlich müsste Saida in diesem Inferno reflexartig seine massigen Muskeln anspannen und davonstürmen, beherrscht von nur einem Instinkt: Flucht! Doch der Hengst galoppiert kontrolliert unter seinem Reiter Yann Vaille durch die Kaltenberger Arena. Ihn irritiert nicht einmal, dass der Franzose im Sattel rings um Pferd und Reiter mit leuchtenden Fackeln einen meterhohen, glühenden Funkenregen entfacht – eine Hölle des Schreckens für jedes gewöhnliche Pferd.

    "Ja, ich überlege mir für jedes Jahr eine neue Attraktion". Mario Luraschi spricht mit unaufgeregter, nicht lauter, aber gut verständlicher Stimme. Sein Akzent ist im nahezu fließenden Englisch nicht zu überhören, manchmal streut er französische Fachausdrücke ein. Auf die neue Nummer mit dem Funkenregen ist er unverkennbar stolz. Im 13. Jahr tritt der Franzose mit seinen Pferden und seiner reitenden Stunttruppe bei den Kaltenberger Ritterspielen auf, eines von etlichen Engagements für den kleinen Mann mit dem großen Pferdeverstand.

    In der Show: Altmeister Luraschi thront majestätisch auf Quirotés Rücken.
    In der Show: Altmeister Luraschi thront majestätisch auf Quirotés Rücken.

    In 510 Filmen haben Luraschis nervenstarke Tiere mitgewirkt. Er hat sie in "D’Artagnans Tochter" (1994) in einem voll besetzten Salon auf Tischen tanzen und in "Bandidas" (2006) in acht Metern Höhe über schmale Balken balancieren lassen. Sie sind durch geschlossene Fensterscheiben gebrochen und durch lodernde Flammen galoppiert. Sie sind in Schlachten gestürzt und haben sich tot gestellt. Im ersten Weltkriegsfilm "Les cavaliers de l’orage" (1984) jagt Luraschi auf dem Schimmel Chepa über einen Ufersteg und springt in ein mit Soldaten besetztes Holzboot. Für die Fernsehserie "Napoleon" (2002) hat er mit 250 Pferden Kriegsgetümmel geübt. Und er war einer der Ersten, der die Tiere nicht mit Stricken und Stolperfallen gewaltsam zu Boden riss, sondern bei diesen gefährlichen Massenszenen auf Dressur und geduldiges Training setzte.

    Geduld und Sensibilität sind unverzichtbar

    Training. Training. Training. Damit beschäftigt Luraschi gerade den elfjährigen Quiroté in der Kaltenberger Reithalle. Die Pferde lehrten den Menschen Geduld, stellt er fest und dirigiert den Hengst vom Boden aus mit kaum wahrnehmbarem Wippen einer Gerte – fast wortlos, aber hoch konzentriert. Der Schimmel tänzelt um seinen Meister, schnaubt, stellt sich auf die Hinterhand. Schließlich sitzt er wie Nachbars Lumpi im Sand und winkt mit dem Vorderhuf.

    "Am wichtigsten ist es, aus den Pferden den Stress rauszukriegen, dann kann man mit ihnen arbeiten", weiß der Mann, der im Dezember 70 wird, aus jahrzehntelanger Erfahrung und tätschelt den Hals des entspannt dahockenden Quiroté. Unverzichtbar seien Geduld und Sensibilität: "Bei jedem Pferd muss man versuchen, seine Mentalität zu verstehen." Luraschi vertritt die Philosophie des langen Zügels. Die Pferde sollen konsequent, aber vertrauensvoll geführt werden.

    Das Kaltenberger Ritterturnier

    16 Ritter vermöbelten sich 1980 gegenseitig bei der Premiere des Turnieres auf Schloss Kaltenberg (Kreis Landsberg). Die Zuschauer saßen auf Bierbänken. Im Unterhaltungsprogramm traten ein Hofnarr mit Geige und ein Fanfarenzug auf.

    Jackie Venon von den „Chevaliers de Tournoi“ spielte 1983 erstmals einen Schwarzen Ritter.

    1986 wurde die 70 Meter lange Arena mit Tribünen gebaut, auf denen 10.000 Zuschauer Platz finden.

    Seit 2005 tritt der Franzose Mario Luraschi mit seinen Andalusierpferden und der Stunttruppe Cavalcade in der Arena auf.

    Der knapp 70-Jährige wirkt bei der Regie mit und trug maßgeblich dazu bei, dass die Ritterspiele 2017 als „Show des Jahres“ ausgezeichnet wurden.

    Über die Jahre entstand durch die Rittershow, durch historische Gruppen, Musiker, Gaukler und Händler das größte Mittelalterfest der Welt. say

    Weitere Infos unter www.ritterturnier.de.

    Zum Reitsport kam der italienischstämmige Franzose über sein Interesse für Indianer und deren Lebensweise. Allerdings erst, nachdem er seine Karriere als Kunstturner und Pariser Stadtmeister beendet hatte. Die dabei antrainierte Körperspannung, die aufrechte Haltung und das ausgeprägte Gleichgewichtsgefühl zeichnen Luraschi noch heute im Sattel aus. Seine Ausbildung in den Dressurlektionen der Hohen Schule absolvierte er in Stierkampfarenen und den Andalusiergestüten Spaniens. Er liebt die barocken iberischen Pferde, ihren Ausdruck, ihre erhabenen, mitunter schwebenden Bewegungen.

    Quiroté ist zurück in seine Box geschritten. Jetzt haben Yann Vaille, der Reiter mit dem Funkenregen, und Saida die Trainingshalle für sich: Ohne Sattel und Zaumzeug demonstriert der junge Franzose auf dem blanken Pferderücken Lektionen der hohen Dressurkunst. "Ist das nicht wunderschön?", schwärmt Luraschi zufrieden mit seinen beiden Mitarbeitern. Jährlich bekommt der Altmeister 800 Anfragen von jungen Menschen, die für ihn arbeiten und von ihm lernen wollen.

    Im Training: Mario Luraschi wippt mit der Gerte – und Quiroté winkt.
    Im Training: Mario Luraschi wippt mit der Gerte – und Quiroté winkt. Foto: say

    Luraschi nimmt nur die Besten für seine Stunttruppe Cavalcade, deren Name sich aus den französischen Begriffen für Reiter, Cavalier, und für Stuntman, Cascadeur, zusammensetzt. Der Chef überzeugt sich selbst von den Qualitäten der jungen Männer und zunehmend auch Frauen, die bei ihm auflaufen. Viele davon wohl mit falschen Vorstellungen, denn das Leben als Berufsreiter und Mitglied einer Stuntgruppe besteht nicht nur darin, Huldigungen des Publikums entgegenzunehmen.

    Wer wüsste das besser als Frédéric Laforêt, der wahre König von Kaltenberg – diese Feststellung sei verbunden mit der untertänigsten Bitte um Verzeihung an Prinz Luitpold von Bayern, den Hausherren auf Kaltenberg. "Den Schwarzen Ritter zu spielen, das ist eine Extremsportart", hat der Stuntman, Schauspieler und Musiker Laforêt vor fünf Jahren in einem Interview gesagt. Und bezweifelt, dass sein Körper den außergewöhnlichen Belastungen noch lange gewachsen sein könnte. Jetzt ist der Bösewicht der Ritterspiele 51. Immer noch jagt er auf einem feurigen Rappen im Galopp zwischen den Zuschauerrängen hindurch, kämpft mit Lanze und Schwert, stürzt routiniert aus dem Sattel – und genießt die Sympathien des Publikums. Ein aufregender Beruf, der Körperbeherrschung, Disziplin, eisernen Trainingswillen und die Bereitschaft, Schmerzen zu ertragen, voraussetzt.

    Einer, der dies gerade lernt, ist der 17-jährige Marco. Das drahtige Fliegengewicht spielt den Helden des Ritterturniers, Sigfried, in seiner jugendlichen Phase und tritt zudem in der abenteuerlichen Einlage auf, wenn sich die Stuntleute als Akrobaten präsentieren: Wenn sie auf im gestreckten Galopp dahinjagenden Pferden in einem Steigbügel auf der Seite hängen, auf dem Pferd stehen, auf- und abspringen. Marco hat als Jugendfußballer bei Paris St. Germain gespielt, jetzt hat er beschlossen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten: Mario Luraschi.

    Auswahlkriterien für die Pferde: Selbstvertrauen und "ruhig ein bisschen aggressiv"

    Vater Luraschi sucht sich jedes Frühjahr drei bis fünf junge Pferde in Spanien oder Portugal aus. "Sie dürfen ruhig ein bisschen aggressiv sein", beschreibt er die Auswahlkriterien. Und Selbstvertrauen sollen sie haben. Die jungen Hengste, die noch kaum Erfahrungen mit Menschen und schon gar nicht mit Reitern haben, lässt er auf seine Reitanlage bei Paris liefern, auf der rund 60 Pferde leben.

    Andernorts würden sich die Dreijährigen nun erst einmal wochenlang eingewöhnen. Mario Luraschi steht am Ankunftstag mit Sattel und Zaumzeug bei ihnen in der Box. Mit dem Reiten lässt er sich noch Zeit – bis zum zweiten Tag. Manchmal sind die unerfahrenen Pferde so überrumpelt, dass sie ohne Gegenwehr mitarbeiten. Manchmal. Wie oft er schon vom Pferd gefallen ist? Luraschi winkt ab und lacht. In Erinnerung sind ihm vor allem die Überschläge mit steigenden Pferden. In seinem Job brauche er eben Geduld und gute Nerven, versichert der Mann, der von sich sagt, er sei zu Pferden freundlicher als zu Frauen.

    Nach drei Monaten Basistraining weiß Luraschi von jedem Pferd, ob es fürs Filmgeschäft, seine Shows in Kaltenberg, im Europapark Rust oder im Pariser Disneyland zu gebrauchen ist. Ob es die Nervenstärke für rasante Kampfszenen, lärmendes Publikum, ein Leben auf Reisen und häufige Ortswechsel mitbringt. Bis sie sechs sind, erarbeitet Luraschi mit den jungen Tieren die schwierigen Lektionen der hohen Dressurschule. "Das ist einfach", befindet er lapidar.

    Dann beginnt die Ausbildung zum Stuntpferd. Aus dem Sattel und vom Boden lehrt Luraschi die Tiere erst, sich hinzulegen, dann hinzufallen. Er konfrontiert sie mit kleinen Flammen, dann mit größeren Feuern und legt ihnen schließlich brennende Decken auf den (isolierten) Rücken. Er dirigiert seine Tiere souverän mit seiner Körpersprache, seiner Stimme und einer Gerte. Davon profitieren auch Stars der internationalen Filmszene. So vollbringt mancher Schauspieler im Sattel Glanzleistungen, zu denen er gar nicht fähig ist. "Die sitzen manchmal nur drauf und machen gar nichts, während ich das Pferd von unten anleite", erheitert sich der verschmitzte Franzose.

    Die Pferde sind die wahren Helden

    Die wahren Helden sind für den Trainer ohnehin seine Pferde – ungeachtet der Tatsache, dass er mit Stars wie Roger Moore, Matt Damon, Monika Belluci, Sophie Marceau und Penelopé Cruz zusammengearbeitet hat. Ein Darsteller ist ihm allerdings besonders in bleibender Erinnerung: Terence Hill aus "Lucky Luke" (1991 und 2009). Der Italo-Amerikaner sei ein Super-Typ, berichtet Luraschi – und verzichtet darauf, sich damit zu brüsten, dass Jolly Jumper, Luckys legendäres Pferd, bei den Dreharbeiten in einen Fluss stürzen und abtauchen musste: ein tödlicher Albtraum für jedes untrainierte Durchschnittsross.

    Quiroté, der mit dem Vorderhuf winkende Schimmel, hatte zunächst auch nicht allzu viel Talent und Nervenstärke erkennen lassen. Fast für einen Schlachtpreis habe er ihn gekauft, erzählt der Pferdetrainer. Jetzt reitet er den stattlichen Hengst in seiner Rolle des Marschalls im Kaltenberger Programm. Er lässt ihn vor tausenden Zuschauern steigen, im raumgreifenden Spanischen Schritt stolzieren, tanzen und schweben. Hoheitsvoll thront der Altmeister dabei im Sattel. Und ist überzeugt davon, dass auch seine Pferde dieses aufregende Leben genießen. Im Falle einer Wiedergeburt, das steht für Luraschi fest, würde er gerne Stuntpferd werden: "Dann muss ich nicht so viel arbeiten wie ein Sportturnierpferd und mache spektakuläre Dinge."

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