Wohnt sie hier überhaupt? Der Lautsprecher am Tor knarzt, die Worte sind unverständlich. Minutenlang passiert nichts. Ein Blick zur Vergewisserung: Am nicht gerade herrschaftlichen Briefkasten steht „von Bayern“. Die Adresse stimmt. Plötzlich springt ein französischer Hirtenhund in die Hofauffahrt. Er beobachtet die Gäste am Zaun neugierig. Es dauert noch eine Weile, dann erscheint Auguste von Bayern. Das Tor öffnet sich, und sie lotst einen freundlich lächelnd auf den Parkplatz.
Die Residenz mit dem naturbelassenen Garten und einem herrlichen Freisitz mit Blick auf die Alpen ist aber auch das Einzige, was bei Auguste Marie Philippa von Bayern an eine Prinzessin erinnert, wie sie sich kleine Kinder vorstellen. Die freundliche, bescheidene und zurückhaltende Art, mit der die älteste Tochter von Luitpold Prinz von Bayern und dessen Frau, Prinzessin Beatrix, einen begrüßt, passt vielleicht auch nicht ins Klischee. Kein Seidenkleid, kein Krönchen, kein Standesdünkel. Stattdessen Jeans, graues T-Shirt, flache Schuhe.
Auguste von Bayern: ein schlichte Frau
Sie entschuldigt sich für ihre legere Kleidung, auch dafür, dass die Weihnachtskarten noch auf einem der vielen Kästchen im Salon stehen. „Ich bin leider noch nicht dazu gekommen, sie wegzuräumen.“ Sie ist erst vor wenigen Tagen aus dem Ausland zurückgekehrt.
Auguste, die Ururenkelin von Ludwig III., ist keine gewöhnliche Prinzessin und schon gar keine Partymaus, deren Leben sich in der Regenbogenpresse widerspiegelt. Gala-Dinners und Champagner-Empfänge sind für sie eher Pflicht. Die 34-Jährige hat ungewöhnliche Vorlieben, begeistert sich glühend für Naturwissenschaften und arbeitet international erfolgreich als Zoologin und Verhaltensforscherin.
Sie pendelt zwischen Oxford und Oberbayern
Sie lebt auf einem Schloss ihres Vaters in der Nähe von Starnberg, wo bis zu deren Tod vor zwei Jahren auch ihre Großeltern residierten. Oft hält sie sich aber auch im englischen Oxford auf, wo sie vor Jahren als eine der ersten Wissenschaftlerinnen überhaupt über die Intelligenz von Rabenvögeln zu forschen begann. Daheim wiederum betreut sie am Max-Planck-Institut in Seewiesen Doktoranden.
Verheiratet ist die Wittelsbacherin mit Ferdinand Prinz zur Lippe, der als Jurist in München arbeitet. Ende vergangenen Jahres wurde sie Mutter eines Sohnes. Louis Ferdinand heißt der Stammhalter und wird während des Gesprächs von einem Au-pair-Mädchen im Kinderwagen durch den Garten kutschiert.
Nachdem die persönlichen Daten geklärt sind, stellt sich schnell die Frage: Wie kommt eine junge Frau dazu, Rabenvögel zu ihrem Lebensthema zu machen? Die Frau schmunzelt. „Meine Geschwister und ich sind sehr naturbezogen aufgewachsen.“ Es liegt aber auch in der Familie. Der Großvater war Förster, und schon in ihrer Kindheit hat sie ihren Vater, den Chef der König Ludwig Brauerei in Kaltenberg, inständig gebeten, ihr eine Ente zu kaufen. Ein Erpel namens Schneewittchen sollte der Beginn einer Leidenschaft werden. Später folgte ein auf sie geprägter Gänserich, der dem Vernehmen nach sehr eifersüchtig gewesen sein soll.
Eine Geburtstagsfeier des Humanethnologen Irenäus Eibl-Eibesfeldt, zu der sie als 14-Jährige mit ihren Eltern eingeladen war, tat ein Übriges. Neben Eibl-Eibesfeldt, der ausgehend vom Alltag der letzten Naturvölker eine Art Urgrammatik menschlichen Verhaltens formulierte, war die weltbekannte Primatenforscherin und Umweltaktivistin Jane Goodall anwesend. „Ich saß bei einem Essen neben ihr und war einfach nur fasziniert“, erzählt Auguste von Bayern. Für diese Begegnungen mit solchen beeindruckenden Menschen sei sie noch heute dankbar.
Doktorarbeit über „Soziale Intelligenz und soziokognitiven Fähigkeiten von Dohlen“
Das Thema „Natur“ ließ sie nicht mehr los. Fast logisch, dass sie nach dem Abitur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Biologie studierte. Ihre Doktorarbeit verfasste sie vor sechs Jahren in Kapstadt und Cambridge über die „Soziale Intelligenz und soziokognitiven Fähigkeiten von Dohlen“.
Die wissenschaftliche Karriere setzte sich nahtlos fort. Nach ihrer Promotion erhielt sie ein Angebot aus Oxford. Seitdem forscht die Zoologin dort über die Intelligenz von Rabenvögeln. Und stellte fest: Manche sind ebenso klug wie Menschenaffen. „Sie haben ganz erstaunliche Fähigkeiten.“
Die Prinzessin sitzt kerzengerade in einer Art Musikzimmer des Schlosses. Neben einigen Tischchen und einer Polstersitzgarnitur steht ein Flügel. An den Wänden hängen zwei wandgroße Gobelins. „Ein Geschenk Napoleons“, wie die Hausherrin auf Nachfrage erklärt. Als Gast hat man das Gefühl, hier Geschichte zu atmen. Für die junge Frau ist es das Haus der Großeltern. Mit ihrer Oma habe sie hinter den Teppichen „gerne Dschungel gespielt“.
Auguste von Bayern erzählt private Anekdoten, bleibt aber zurückhaltend. Dagegen sprudelt sie beim Stichwort Naturwissenschaften los wie ein Gebirgsquell. Sie erzählt mit einer Leidenschaft, wie Fußballfans von ihrem Lieblingsklub schwärmen. Denn der Forscherin geht es bei ihrer Arbeit um mehr als nur die Rabenvögel. Sie würde es natürlich nie so formulieren, weil es viel zu arrogant klänge, aber im Grunde genommen will die 34-Jährige ihren persönlichen Beitrag zur Rettung der Erde leisten. „Kleine Dinge, die die Welt ein bisschen besser machen, sind wichtig“, sagt sie.
Damit man aber überhaupt ein Auge dafür hat, sollten die Menschen der Prinzessin zufolge mehr Verständnis für die Natur entwickeln. Biologie müsse gesellschaftlich ernster genommen werden, fordert sie. Die Leute wüssten viel zu wenig darüber, nicht zuletzt, weil das Fach im Schulunterricht heruntergekürzt worden sei. Dabei verdopple sich binnen zweier Jahre das Wissen im Bereich der Naturwissenschaften. Auguste von Bayern plädiert für ein neues Schulfach, das sie Umwelterziehung nennt. Sie schaut einen mit großer Ernsthaftigkeit an, als wolle sie sich davon überzeugen, dass ihre Botschaft beim Empfänger angekommen ist.
Auguste von Bayern setzt sich für neues bayerisches Naturkundemuseum ein
Um möglichst viele mit ihrer Aufklärung zu erreichen, macht sich die junge Adelige seit Jahren für ein neues bayerisches Naturkundemuseum stark. Hochmodern und interaktiv soll es werden. „Das ist eine Herzensangelegenheit“, erzählt sie. Bisher gebe es in München mit dem Museum „Mensch und Natur“ nur eine räumlich beengte Notlösung. Eine Heimat gefunden hat dort übrigens der vor acht Jahren auf Anweisung Edmund Stoibers erlegte Problembär „Bruno“.
„Jedes Jahr müssen 1500 Schulklassen abgewiesen werden, weil zu wenig Platz ist“, klagt die Prinzessin. Dabei gebe es noch jede Menge herzuzeigen. Allein in den Magazinen der Staatlichen Sammlung seien noch rund 30 Millionen Exemplare, die bisher kein Mensch zu sehen bekommen hat, darunter die größte Schmetterlingssammlung der Welt.
Die junge Mutter wirkt auf den ersten Blick zierlich. Als „fast zerbrechlich“ wird sie in Porträts beschrieben. Doch sie verfügt offenbar über eine ausgesprochen zähe Art, ihre Ideen durchzusetzen. So scheint ihr zu gelingen, woran alle anderen bisher scheiterten: Sie brachte das 84-Millionen-Projekt Naturkundemuseum in Schwung. 2020 soll es mit einer Ausstellungsfläche von 7500 Quadratmetern eröffnet werden. „Hoffe ich zumindest“, schiebt Auguste von Bayern nach und legt ihre Stirn so sorgenvoll in Falten, dass man ihr wünscht, die Bayerische Staatsregierung wird kein Sparprogramm auflegen.
Das neue Museum – ein Pendant zum Deutschen Museum? „Ja, das wär’s“, antwortet sie lächelnd. Untergebracht werden soll es in Schloss Nymphenburg sowie einem modernen Anbau. Zusammen mit dem Botanischen Garten würde dann im Westen der Landeshauptstadt eine Art „Naturkunde-Museumsmeile“ internationalen Rangs entstehen.
Das Museum politisch auf den Weg zu bringen, sieht Auguste von Bayern als ihre Pflichtaufgabe an. Ihre persönliche Passion sind und bleiben aber die Rabenvögel. Am Ende des Besuchs führt sie einen in den Garten zu ihren beiden Krähen, die auf die ausgefallenen Namen Calypso und Crusoe hören.
Rabenvögel: Was diese Tiere alles können
Während mehrere Pfaue im Käfig nebenan gelassen ein Rad schlagen, herrscht in der Voliere Aufregung, als die Forscherin sie betritt. Schnell aber werden die beiden Geradschnabelkrähen, die von den neukaledonischen Inseln stammen, neugierig und fliegen immer näher an sie heran. Sie sind kleiner als die hiesigen Saatkrähen. Die Prinzessin arbeitet mit diesen Vögeln, weil sie aufgrund ihrer natürlichen Rahmenbedingungen zu den klügsten Tieren der Welt gehören. Mit ihren Schnäbeln sind sie sogar in der Lage, Zweige und Blätter des Schraubenbaums so lange zu bearbeiten, bis sie zum Angeln von Maden unter der Rinde taugen.
Die Vögel flattern heran und setzen sich auf ihre Schultern. Auguste von Bayern spricht ruhig auf sie ein. Die Tiere hören mit wachen Augen zu. Man könnte meinen, die Krähen würden sie verstehen. Ein beeindruckendes Schauspiel. Als wären die beiden ihre gefiederten Freunde.
Entspannt und selig wirkt die Prinzessin in diesem Moment – eine Rabenmutter königlichen Geblüts, die diesem Wort eine völlig neue Bedeutung gibt.