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Polizistenmord in Augsburg: Das nächste Verbrechen war schon geplant

Polizistenmord in Augsburg

Das nächste Verbrechen war schon geplant

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    Augsburgs Leitender Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz (links) und Kripo-Chef Klaus Bayerl gestern auf der Pressekonferenz. Im Hintergrund sind Fotos zu sehen, die einen Teil des aufgefundenen Waffenarsenals zeigen.
    Augsburgs Leitender Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz (links) und Kripo-Chef Klaus Bayerl gestern auf der Pressekonferenz. Im Hintergrund sind Fotos zu sehen, die einen Teil des aufgefundenen Waffenarsenals zeigen. Foto: Foto: Fred Schöllhorn

    Warum kam Rudi R. auf freien Fuß, obwohl er nach dem Polizistenmord von 1975 zweimal lebenslänglich bekommen hat?

    Das Urteil lebenslänglich bedeutet in Deutschland nicht lebenslang Gefängnis. Das verbietet unsere Verfassung. Heute ist es meist so, dass zu lebenslanger Haft Verurteilte nach 15 Jahren freikommen. Früher galt die Faustregel, dass sie nach rund 18 Jahren entlassen werden. Rudi R. wurde für den Mord am Polizisten Bernd-Dieter Kraus und den Mordversuch an dessen Kollegen jeweils zu lebenslänglich verurteilt. 19 Jahre und sieben Monate hat er abgesessen. Das ist für deutsche Verhältnisse eine recht lange Haftstrafe, zumal R. zum Zeitpunkt der Tat erst 19 war, aber nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurde. Eine Sicherungsverwahrung war rechtlich damals nicht möglich.

    Welche Strafe droht den Männern nun?

    Sollte sich der dringende Verdacht bestätigen und sie wegen Mordes verurteilt werden, will Augsburgs Chefankläger Reinhard Nemetz eine lebenslange Strafe (mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld) für den Hauptbeschuldigten Rudi R. samt anschließender Sicherungsverwahrung. Auch für den mutmaßlichen Komplizen Raimund M. sei nach derzeitigem Stand lebenslänglich angemessen. Wolle er überhaupt die Chance haben, noch mal auf freien Fuß zu gelangen, müsse er auspacken, sagt Nemetz.

    Wer hat die tödlichen Schüsse auf Mathias Vieth abgegeben?

    Dazu wurde nichts bekannt. Die Ermittler gehen davon aus, dass beide Männer geschossen haben. Tödlich waren wohl die Schüsse aus einem Schnellfeuergewehr. Doch ist unklar, wer es in den Händen hielt.

    Warum erfolgte der Zugriff des Sondereinsatzkommandos auf Rudi R. auf offener Straße im Augsburger Stadtteil Lechhausen?

    Die Ermittler haben das Risiko genau abgewogen. Sie hätten Rudi R. auch in seiner Wohnung festnehmen können. Doch erstens hätte das die Gefahr geborgen, dass er sich verschanzt. Und zweitens hätte seine Mutter in den Einsatz mit hineingezogen werden können, mit der er in der Wohnung lebt. Daher entschieden sich Kripo und Sondereinsatzkommando für einen Zugriff an einer roten Ampel. Die Fahnder warteten ab, bis sein Auto fast stand, und schlugen dann zu. Rudi R. war zu diesem Zeitpunkt nicht bewaffnet und leistete keinen Widerstand.

    Was hatten die Verdächtigen mitten in der Nacht am Parkplatz in der Nähe des Augsburger Siebentischwalds zu suchen?

    Reinhard Nemetz und Kripochef Klaus Bayerl gehen davon aus, dass die Brüder einen Raubüberfall geplant haben. Das würde in das Muster früherer Taten von Rudi R. passen. Und es wäre auch eine Erklärung dafür, dass sie bis an die Zähne bewaffnet waren. Nemetz sprach die frappierenden Parallelen der beiden Mordfälle an den Polizisten 1975 und 2011 an. Beide Male sei ein Raub der Hintergrund gewesen, beide Male habe R. ein gestohlenes Fahrzeug benutzt, beide Male sei mit Schnellfeuergewehren aus dem Gebüsch auf Polizisten geschossen worden. Im aktuellen Fall gehe man davon aus, dass die Männer in den frühen Morgenstunden einen Überfall verüben und vorher noch den Tatort ausbaldowern wollten. Wo das hätte sein sollen, weiß allerdings auch die Kripo nicht.

    Gibt es einen Grund, dass die beiden Verdächtigen am Donnerstagmittag verhaftet wurden?

    Die Ermittler meinen, dass die mutmaßlichen Mörder ihren ursprünglichen Plan für einen Raubüberfall in die Tat umsetzen wollten, obwohl sie beim ersten Mal gestört worden waren und dabei mutmaßlich den Polizisten Mathias Vieth erschossen haben. Dafür spricht laut Nemetz, dass nach Weihnachten im Handel gute Umsätze gemacht werden und viele Geldtransporte unterwegs sind. Zu vermuten ist, dass die Kripo aus den Telefonüberwachungen weitere Hinweise für diese These gesammelt hat. Die Verhaftungen zum jetzigen Zeitpunkt sollten also wohl auch einen neuerlichen bewaffneten Raubüberfall verhindern. Andernfalls hätte man noch gewartet, um mehr Beweise gegen die Verdächtigen zu sammeln, so Nemetz.

    Welche Aufgaben kommen nun noch auf die Polizei zu?

    „Die Arbeit geht jetzt erst richtig los“, sagt ein Ermittler. Denn noch sind zahlreiche Fragen offen, etwa ob die Männer auch für weitere Straftaten infrage kommen. Eine weitere Aufgabe wird sein, herauszufinden, wo die rund 20 Waffen herkamen. Die Spurensicherung untersucht die Pistolen und Gewehre. Zudem werden nun Beschusstests gemacht. Jeder Waffenlauf hinterlässt auf einer Kugel individuelle Spuren, ähnlich einem Fingerabdruck. So kann man feststellen, ob die Waffen bei einem Verbrechen, bei dem die Polizei ein Projektil sichern konnte, schon einmal verwendet wurden.

    Für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, war eine Belohnung über 100000 Euro ausgesetzt. Werden die ausbezahlt?

    Nein. Es gab zwar mehr als 700 Hinweise aus der Bevölkerung, aber dass man auf die Verdächtigen kam, lag an der Kleinarbeit der Ermittler.

    Wie geht es der 30-jährigen Kollegin von Vieth, die bei der Schießerei verletzt wurde?

    Die Beamtin wurde durch einen Streifschuss im Bereich der Schutzweste leicht verletzt. Sie ist traumatisiert und noch immer nicht dienstfähig. „Wir wollen ihr keinen Druck machen“, sagte Augsburgs Polizeipräsident Gerhard Schlögl unserer Zeitung. „Sie soll alle Zeit bekommen, die sie braucht.“

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