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Polizistenmord: Wird das Verfahren gegen Raimund M. heute eingestellt?

Polizistenmord

Wird das Verfahren gegen Raimund M. heute eingestellt?

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    Die Mordanklage gegen Rudi R. und Raimund M. wird vielleicht fallen gelassen.
    Die Mordanklage gegen Rudi R. und Raimund M. wird vielleicht fallen gelassen. Foto: Fred Schöllhorn

    Nach acht Wochen Pause geht es heute weiter. Vormittags, gegen 9.30 Uhr, werden die Richter im Saal 101 des Strafjustizzentrums erscheinen und sich mit dem Fall des Augsburger Polizistenmordes befassen. Zuerst wird es aber nur darum gehen, wie es um die Gesundheit des an Parkinson erkrankten Angeklagten Raimund M., 60, bestellt ist. Sehr viel spricht dafür, dass der mutmaßliche Polizistenmörder am Ende des Tages kein Angeklagter mehr sein wird. Dass ihm, zumindest vorerst, nicht mehr der Prozess wegen des Mordes an Mathias Vieth, 41, gemacht werden kann.

    Verfahren seit September unterbrochen

    Der Mordprozess gegen die Brüder Raimund M. und Rudi R., 58, ist seit Ende September unterbrochen. Der Neurologe Ralph-Michael Schulte, er ist Gutachter im Prozess, hatte M. damals auf Antrag der Verteidiger Adam Ahmed und Werner Ruisinger untersucht. Ergebnis: M.s Gesundheitszustand hatte sich drastisch M.s Gesundheitszustand hatte sich drastisch verschlechtert. Der Gutachter stufte den Angeklagten als verhandlungsunfähig ein. Schulte hat den mutmaßlichen Polizistenmörder inzwischen mehrmals ausführlich untersucht, zuletzt am Wochenende. Und an seiner Einschätzung hat sich nach Informationen unserer Zeitung nichts geändert. Zuletzt soll der Gutachter sogar eher eine weitere Verschlechterung von M.s Zustand erkannt haben.

    Das Schwurgericht ist nun unter Zugzwang. Am Dienstag nächster Woche endet eine wichtige Frist – länger darf der Mordprozess nicht unterbrochen bleiben. Deshalb deutet alles darauf hin, dass die Kammer bereits heute Fakten schaffen wird. In Justizkreisen hält man eigentlich nur eine Variante für denkbar: Das Gericht wird das Verfahren gegen die mordverdächtigen Brüder trennen. Das Strafverfahren gegen Raimund M. müsste dann vorläufig eingestellt werden. Rudi R. säße dagegen weiter auf der Anklagebank. Bevor es so weit kommt, wird Gutachter Schulte heute noch vom

    Für Frau und Kinder ein "Horrorszenario"

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Für die Frau und die beiden Kinder des ermordeten Polizisten sei die Entwicklung „ein Horrorszenario“, sagt Walter Rubach, der Anwalt der Witwe. Die Familie habe Angst. Auch für Diana K., die Streifenpartnerin des ermordeten Beamten, wäre die Verfahrenseinstellung schlimm. Sie war an der Schießerei im Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald beteiligt – und wurde leicht verletzt. „Wie soll sie so mit der Sache abschließen?“, fragt ihre Anwältin Marion Zech.

    Zumindest eines müssen weder die Familie des Opfers noch Diana K. fürchten: Dass Raimund M. sofort auf freien Fuß kommt. Solange der Gutachter davon ausgeht, dass mit einer geeigneten Therapie in absehbarer Zeit die Chance auf Besserung besteht, wird M. wohl noch in Untersuchungshaft bleiben müssen. Würde sich sein Zustand bessern, müsste der Prozess gegen ihn neu beginnen. Doch Anwalt Walter Rubach sagt: „Der Schritt zur endgültigen Einstellung ist marginal.“

    M.s Anwälte sagen, er wurde nicht ausreichend therapiert

    Nach Ansicht des Gutachters ist unter anderem die strenge Einzelhaft, in der M. über ein Jahr saß, verantwortlich dafür, dass er stark abgebaut hat. Die Einzelhaft wurde angeordnet, weil M. in Verdacht geraten war, vom Gefängnis aus die Entführung eines Richters zu planen.

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    Im Oktober 2011 wurde der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth im Dienst erschossen. Die beiden Täter werden später verurteilt.

    Raimund M.s Rechtsanwälte sehen auch schwere Versäumnisse bei den Justizvollzugsanstalten (JVA) in Straubing, wo M. in Einzelhaft saß, und in München-Stadelheim, wohin er erst kürzlich verlegt wurde. Es sei viel zu wenig getan worden, um die Parkinsonerkrankung des Angeklagten zu behandeln, sagt Verteidiger Adam Ahmed. Den Gefängnissen droht nun eine unangenehme Debatte: Denn nach Informationen unserer Zeitung kritisiert Gutachter Schulte die Anstalten ebenfalls.

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