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Polizistenmord-Prozess: Entscheidender Hinweis lag einen Monat lang im Spind

Polizistenmord-Prozess

Entscheidender Hinweis lag einen Monat lang im Spind

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    Entscheidender Hinweis lag einen Monat lang im Spind
    Entscheidender Hinweis lag einen Monat lang im Spind

    Der Mord an dem Augsburger Polizisten Mathias Vieth im Oktober 2011 war gerade eine Viertelstunde her, als die Polizei schon auf eine entscheidende Spur stieß – dies im ersten Chaos der Ermittlungen aber offenbar nicht erkannte. Dies war am vierten Verhandlungstag des Polizistenmord-Prozesses Thema.

    Ein Auto, das einem Münchner Verwandten von Rudi R. gehörte, wurde damals mit warmer Motorhaube in Tatortnähe gefunden. Eine Streife meldete dies, doch es dauerte einen Monat, bis die Sonderkommission auf die Streifenbeamten zukam. Die Polizisten waren in der Tatnacht als Verstärkung zu der Verfolgungsjagd zwischen dem Streifenwagen von Mathias Vieth und dem Motorrad, auf dem die Angeklagten Rudi R. und Raimund M. geflüchtet sein sollen, gerufen worden. Noch bei der Anfahrt erfuhren die Polizisten über Funk vom Schusswechsel. Weil am Tatort bereits andere Streifen waren, fuhren sie auf der Suche nach Verdächtigen die Gegend ab. Auf einem Parkplatz, wo die Verfolgung eine Viertelstunde zuvor begonnen hatte, habe man sich genauer umgeschaut. Auffällig sei ein silberner Mitsubishi gewesen, der in der Nähe stand. „Motorhaube und Getriebe waren noch warm“, so die Beamten. Zudem seien die Vordersitze mit Folie überzogen gewesen.

    Um 3.08 Uhr, 15 Minuten nach dem tödlichen Schusswechsel, fragte die Streife über die Einsatzzentrale den Halter ab. „Das hat nichts Negatives ergeben. Wir haben noch gesagt, dass man das Auto im Auge behalten sollte, und die Fahndung fortgesetzt“, so einer der Polizisten. „Ich habe die Daten auf die Rückseite des Blocks geschrieben und ihn in meinem Stahlschrank verwahrt, weil ich mir schon gedacht habe, dass irgendwann noch jemand auf uns zukommt.“

    Die Spur hätte gleich zu Rudi R. geführt

    Allerdings passierte dies erst einen Monat später. „Da war das Auto plötzlich interessant“, so sein Kollege. Hätte die Sonderkommission diese Spur gleich verfolgt, wäre man schnell auf Rudi R. gestoßen. Er hatte sich das Auto bei seinem nichts ahnenden Verwandten geliehen. Eine Befragung des Verwandten hätte die Alarmglocken schrillen lassen – Rudi R. war bekannt, weil er vor beinahe 40 Jahren schon einmal einen Polizisten erschossen hatte.

    Anfängliches Durcheinander

    Doch im anfänglichen Durcheinander, als es Festnahmen von falschen Verdächtigen gab, schenkten die Ermittler dieser Spur – einer von 850 – keine sofortige Aufmerksamkeit. Der Halter wurde nicht befragt, obwohl er als Zeuge höchst interessant hätte sein können. Das Auto verschwand später vom Parkplatz – wie, ist unklar. Nach der Festnahme im Dezember 2011 hatte die Staatsanwaltschaft sich vor die Kripo gestellt. Das Auto sei nicht in Sichtlinie zum Motorrad gestanden, so eine Erklärung. Und bei einer Befragung des Münchners hätte es sein können, dass dieser Rudi R. darauf angesprochen und somit gewarnt hätte, so die Staatsanwaltschaft im Nachhinein. So habe man die beiden noch observieren können, bevor es zur Festnahme kam.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Vor Gericht ging es auch um die Spurensicherung. Teils wurde der Boden 30 Zentimeter abgetragen, um Kugeln zu finden. Wie gestern bekannt wurde, ließen sich zunächst nicht alle Projektile finden – der Kugelhagel ging kreuz und quer durch den Wald. Ein Beamter der Bereitschaftspolizei, der einen Tag später aus privatem Interesse den inzwischen freigegebenen Tatort besuchte, fand eine Kugel. Eine Streife stieß acht Monate später auf eine unentdeckte Patronenhülse.

    Die Beweisaufnahme begann mit Verzögerung

    Die Beweisaufnahme begann mit eineinhalb Stunden Verzögerung, nachdem die Verteidiger von Raimund M. Anträge stellten. Auslöser war ein Bericht unserer Zeitung vom Freitag über eine neue Zeugin, die M. belaste. Es sei „bemerkenswert“, dass man so etwas aus der Presse erfahre, so Verteidiger Adam Ahmed. Anwalt Walter Rubach, der die Witwe von Mathias Vieth als Nebenklägerin vertritt, sprach von einem „Nebenkriegsschauplatz“, den die Verteidigung zu eröffnen versuche.

    Staatsanwalt Hans Peter Dischinger verneinte, Interna weitergegeben zu haben. Zwischen Ahmed und Rubach knallte es auch im weiteren Verlauf. Rubach habe M. durch Äußerungen in den Medien vorverurteilt, was bemerkenswert sei, weil er selbst Interesse an dessen Verteidigung gehabt habe, so Ahmed. Rubach bestätigte, dass es nach der Festnahme Gespräche gab, weil er gefragt wurde, ob er Raimund M. verteidigen wolle. Letztlich habe er abgelehnt. „Irgendwann muss man die richtige Entscheidung treffen“, so Rubach.

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