Seit einem Monat läuft die größte Gerichtsverhandlung seit Jahren am Landgericht Augsburg. Das spektakuläre Verfahren gegen die mutmaßlichen Polizistenmörder Rudi R. und Raimund M. stellt für alle Beteiligten einen logistischen und organisatorischen Kraftakt dar, und das Verfahren kostet einen Haufen Geld.
Bis 9. April ist jetzt eine erste Pause. Wir nutzen die Gelegenheit und erklären die wichtigsten Aspekte. Das muss man alles über den Polizistenmord-Prozess wissen:
Der Gerichtssaal Der Saal 101 ist der mit Abstand größte im Augsburger Strafjustizzentrum. In diesem sogenannten Schwurgerichtssaal finden alle bedeutenden Verfahren mit hohem öffentlichen Interesse statt. Der Saal bietet Platz für rund 130 Zuschauer. Im Polizistenmord-Prozess sind die ersten drei Reihen für Medienvertreter reserviert. Wenn die Sitzplätze nicht von Medien besetzt werden, dürfen Zuschauer Platz nehmen. Stehen ist im Gerichtssaal nicht erlaubt.
Der Zuschauerraum nimmt in etwa die hintere Hälfte des Saals ein. In der vorderen Hälfte spielt sich hinter einer Absperrung der Prozess ab. Verteidiger, Staatsanwälte und Nebenkläger haben einen eigenen Zugang. Das Gericht betritt den Saal vom Beratungszimmer aus durch eine Tür hinter dem Richtertisch. Die Angeklagten Raimund M. und Rudi R. werden wie alle Untersuchungshäftlinge aus den Arresträumen im Keller durch eine spezielle Zugangstür in den Saal gebracht.
Das Schwurgericht Immer wenn es um Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag geht, tritt die 8. Strafkammer des Augsburger Landgerichts als Schwurgericht zusammen. Das Schwurgericht besteht normalerweise aus den drei Berufsrichtern Christoph Wiesner (Vorsitzender), Andreas Dobler und Michael Schneider sowie aus zwei Schöffen. Für den Polizistenmord-Prozess wurde das Gericht mit einer sogenannten Ergänzungsrichterin aus einer anderen Strafkammer und einer Ersatzschöffin erweitert.
Sie werden mit dem Urteil wahrscheinlich nie etwas zu tun haben, müssen aber an allen Verhandlungstagen anwesend sein. Sollte ein regulärer Richter für längere Zeit erkranken, müssen sie einspringen. Ansonsten würde der Prozess platzen und von Neuem beginnen müssen. Denn ein beliebiger Austausch von Richtern während eines laufenden Prozesses ist gesetzlich verboten.
Die Staatsanwaltschaft Auch die Staatsanwaltschaft tritt im Duo an. Die Anklage vertreten Hans-Peter Dischinger und Beate Schauer. Anders als beim Gericht kann ein Staatsanwalt aber durch einen anderen vertreten werden. In der Praxis ist das bei einem Verfahren dieser Größenordnung aber wenig sinnvoll, weil sich nicht beliebig viele Ankläger einarbeiten können.
Die Nebenklage Opfer oder Angehörige von Opfern einer Straftat können als Nebenkläger auftreten, um ihre Interessen zu wahren. Im Polizistenmord-Prozess gibt es drei Nebenkläger, die jeweils von einem Rechtsanwalt/einer Rechtsanwältin vertreten werden: Die Witwe des ermordeten Polizeibeamten Mathias Vieth, 41, wird von Walter Rubach (Augsburg) vertreten; Marion Zech (Augsburg) vertritt Vieths Streifenkollegin Diana K.; und die Bonner Anwältin Sabine Schräer nimmt für eine Frau am Prozess teil, die bei einem Überfall verletzt wurde, der den Brüdern zugeordnet wird.
Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth
Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.
Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.
Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.
Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.
Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.
Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.
Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.
Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.
Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.
Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.
Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.
Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.
Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.
Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.
Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.
Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.
Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.
Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.
August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.
Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.
21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".
August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.
September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.
November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.
Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.
September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.
Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.
Die Angeklagten Rudi R., 57, und Raimund M., 59, sitzen von den Zuschauern aus gesehen rechts. An jedem Verhandlungstag werden sie morgens aus den Gefängnissen in Straubing und Landshut nach Augsburg gebracht. Dauert der Prozess bis in den Nachmittag, erhalten sie in den Arrestzellen ein Mittagessen. Nach der Verhandlung geht es wieder zurück in die Haft.
Die Verteidiger sitzen hinter den Angeklagten. Auch sie arbeiten jeweils im Zweierteam. Raimund M. wird von Adam Ahmed (München) und Werner Ruisinger (Augsburg) verteidigt. Kai Wagler und Markus Meißner (beide München) vertreten Rudi R. Auch für die Rechtsanwälte bedeutet der Prozess einen hohen Aufwand. In der Regel wird im Polizistenmord-Prozess zweimal pro Woche verhandelt. Für andere Fälle bleibt weniger Zeit. Wirtschaftlich betrachtet wären viele „kleinere“ Verfahren lukrativer.
Die Sachverständigen Zwei Sachverständige sind während des gesamten Prozesses anwesend: Landgerichtsarzt Richard Gruber und der forensische Psychiater Ralph-Michael Schulte. Sie sollen am Ende Gutachten über die Persönlichkeit und Schuldfähigkeit der Angeklagten erstatten. Außerdem wirkt eine Vielzahl weiterer Sachverständiger zeitweise am Verfahren mit. So sind bereits Rechtsmediziner zu Wort gekommen. Ab 9. April werden Waffengutachter kommen.
Die Kosten „Eine seriöse Summe kann man nicht nennen“, sagt Landgerichtssprecher Claus Pätzel. In der Tat ist der finanzielle Aufwand nicht vernünftig zu beziffern, nicht einmal schätzungsweise. Denn es wird nicht in irgendeiner Form abgerechnet. Welche Posten sollte man in eine solche Rechnung aufnehmen? Den Aufwand für den Transport? Nun, die Bewacher der Polizei sind ohnehin im Dienst. Die Benzinkosten?
Die Sicherheit Keine Unschärfen gibt es dagegen bei den Sicherheitsmaßnahmen. Das Gericht hat exakt geregelt, wie mit den beiden als gefährlich einzustufenden Angeklagten umzugehen ist. Sie werden gefesselt transportiert und dabei immer jeweils von mindestens drei Beamten des Polizei-Unterstützungskommandos (USK) bewacht.
Die Kolonne besteht aus jeweils drei Fahrzeugen. Rudi R. muss auch im Gerichtssaal Fußfesseln tragen, Raimund M. darf den Prozess wegen seiner Parkinsonerkrankung ungefesselt verfolgen. Die Zuschauer werden vor Betreten des Saals zweimal kontrolliert. Handys müssen abgegeben werden.
Zahlen und Fakten Für den Prozess sind 49 Verhandlungstage angesetzt. Mehr als 200 Zeugen sind bisher geladen. Die Ermittlungsakten umfassen rund 20 000 Seiten.
Der Fahrplan Nach Ostern stehen die Waffen im Mittelpunkt, die bei den Angeklagten gefunden wurden. Gutachter sagen aus, ob die Tatwaffen darunter sind. Bis etwa Anfang September will sich das Gericht mit dem Polizistenmord befassen. Dann geht es um Raubüberfälle, die das Brüderpaar begangen haben soll.
Die Beweisaufnahme soll im Oktober beendet werden. Allerdings dürften noch Beweisanträge kommen. Danach stünden die Plädoyers an. Das Urteil soll nach derzeitiger Planung bis 19. Dezember fallen.