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Polizistenmord: Das Schweigen der Männer

Polizistenmord

Das Schweigen der Männer

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    Im Prozess um den Polizistenmord in Augsburg hätte der Angeklagte Raimund M. (links) die Möglichkeit, seine Frau und seine Tochter zu entlasten. Aber er sagt nichts.
    Im Prozess um den Polizistenmord in Augsburg hätte der Angeklagte Raimund M. (links) die Möglichkeit, seine Frau und seine Tochter zu entlasten. Aber er sagt nichts. Foto: Fred Schöllhorn

    Lange schaut der Zeuge den Angeklagten Raimund M. an. Er ist sein Schwager. Der Zeuge, ein 67-jähriger Rentner, der in einem Bauernhof in Friedberg lebt, schaut den Angeklagten so lange an, bis der Vorsitzende Richter Christoph Wiesner ihn ermahnt, er solle zu ihm nach vorne schauen, während er ihm seine Pflichten erklärt.

    Dann schweigt der Zeuge. Als Schwager steht ihm ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht zu. Er will nichts dazu sagen, wie Ende Dezember 2011 die Polizei bei ihm vor der Tür stand und seinen Hof auf den Kopf stellte. Wie dann Dinge gefunden wurden, die sein Schwager Raimund M. bei ihm versteckt hat – darunter sogar Waffen. Der Verwandte will auch nicht sagen, was er davon hält, dass der Mann seiner Schwester als mutmaßlicher Polizistenmörder vor Gericht steht. Da ist nur dieser lange Blick.

    Frau und Tochter sagen nicht vor Gericht aus

    Die Familie des Angeklagten Raimund M., 60, will nicht im Prozess aussagen. Sie hat das Recht dazu. Und sie hat teilweise auch allen Grund. Ursprünglich waren für den gestrigen Verhandlungstag die Ehefrau, die Tochter und die Geliebte von Raimund M. als Zeugen geladen. Tochter und Ehefrau haben über ihre Anwälte ausrichten lassen, dass sie die Aussage verweigern. Die Geliebte steckt im Prüfungsstress für ihr Staatsexamen. Das Schwurgericht hat die Entschuldigung gelten lassen und einen neuen Termin für 4. Juli angesetzt. Die Geliebte hat kein Recht zu schweigen.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Was geht in Raimund M.s Familie vor? Der 60-Jährige hat sie ins Unglück gestürzt. Er soll mit seinem Bruder Rudi R. brutale Raubüberfälle begangen und den Polizeibeamten Mathias Vieth erschossen haben. Und nicht nur das: Durch sein Verhalten hat M. enge Verwandte in die Sache mit hineingezogen.

    Die Tochter, 33, saß fünf Monate in Untersuchungshaft und wurde schließlich zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ihr Vater hatte bei ihr im Keller zwei Kisten versteckt. Darin: drei Kalaschnikows, Pistolen, Handgranaten und Einbruchswerkzeug. Auch tausende Euro, die aus einem Überfall stammen sollen, wurden bei ihr gefunden. Die Ermittler glaubten ihr nicht, dass sie von all dem nichts wusste. Der Ex-Freund der Tochter wurde zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt. Auch die Geliebte geriet unter Verdacht, das Verfahren gegen sie wurde eingestellt.

    Auch gegen die Ehefrau läuft ein Verfahren

    Gegen die Ehefrau, eine angesehene Bürgerin und Standesbeamtin in Friedberg, läuft ebenfalls ein Verfahren. Anfang des Jahres hat die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl wegen Hehlerei und Geldwäsche beantragt. Den Ermittlern waren bei einer Razzia in ihrer Wohnung 2350 Euro in bar in die Hände gefallen. Sie sind überzeugt, dass dieses Geld aus einem der Raubüberfälle ihres Mannes stammt, und glauben nicht, dass die Ehefrau nichts vom plötzlichen Reichtum ihres Mannes mitbekam.

    Die 58-Jährige hat gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt. Damit wird es ebenfalls zu einem Prozess kommen, wahrscheinlich nach Ende des Hauptverfahrens gegen ihren Mann und dessen Bruder.

    Raimund M.: Zuallererst liebt er seinen Bruder

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    Der Prozess um den Mord am Polizisten Mathias Vieth ist eines der größten Verfahren am Landgericht Augsburg gewesen. Die Bildergalerie zeigt seine Protagonisten.

    Es gibt einen Mann, der hätte all den Menschen aus seinem engsten Kreis diese Widrigkeiten ersparen können. Raimund M. hätte die Familie heraushalten können. Oder er hätte jetzt mit einigen wenigen Sätzen die Ermittler von der Unschuld der Ehefrau und der Tochter überzeugen können. Doch Raimund M. schweigt beharrlich. Es scheint, als wolle er nur einen schützen: seinen Bruder Rudi. Den beiden wird ein sehr enges Verhältnis nachgesagt. Im Tennis-Vereinsheim in Friedberg soll er einmal gesagt haben, er liebe zuallererst seinen Bruder – und erst dann seine Frau und seine Tochter.

    Während Rudi R. wegen Mordes an dem Polizeibeamten Bernd-Dieter Kraus ab 1975 im Gefängnis saß, hatte er vor allem Besuch von seinem Bruder Raimund. Und Raimund soll es auch gewesen sein, der ihn aus dem Knast abholte.

    Beide schweigen, obwohl die Last der Indizien allmählich erdrückend wird. Während Rudi R. keine Familie hat, sind die Folgen des Schweigens bei seinem Bruder Raimund gravierend. Und doch sieht es nicht so aus, als ob die Angeklagten auspacken. Ein Wachtmeister, der die beiden gestern ermahnte, nicht miteinander zu reden, bekam Rudi R.s volle Wut ab: „Verpiss dich!“, zischte der ihm hasserfüllt zu.

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