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Polizeiaufgabengesetz: Verfassungsrechtler: "Das Polizeigesetz ist nicht verfassungswidrig"

Polizeiaufgabengesetz

Verfassungsrechtler: "Das Polizeigesetz ist nicht verfassungswidrig"

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    Bei Kritikern ist besonders der im Gesetz stehende Begriff der "drohenden Gefahr" umstritten, durch den die Polizei früher präventiv tätig werden und etwa Telefone überwachen kann.
    Bei Kritikern ist besonders der im Gesetz stehende Begriff der "drohenden Gefahr" umstritten, durch den die Polizei früher präventiv tätig werden und etwa Telefone überwachen kann. Foto: Felix Hörhager, dpa

    Professor Lindner, Sie halten das umstrittene neue Polizeiaufgabengesetz für unbedenklich und haben das im Ausschuss für innere Sicherheit auch so gesagt. Warum?

    Josef Franz Lindner: Das Gesetz ist aus meiner Sicht nicht verfassungswidrig. Wie man es politisch einschätzt, ist eine andere Frage.

    Aber es ist doch richtig, dass die Polizei in Bayern künftig so viel darf wie nie?

    Lindner: Das Gesetz enthält zwar weitreichende Befugnisnormen für die Polizei, aber auch entsprechende rechtsstaatliche Absicherungen. Alle gravierenden Maßnahmen muss vorher ein unabhängiger Richter genehmigen. Der Datenschutzbeauftragte kann die polizeilichen Maßnahmen überprüfen. Wir haben die politische Verantwortung des Ministers gegenüber dem Parlament. Und wir haben eine kritische Öffentlichkeit, die dieses Gesetz im Vollzug begleitet.

    Gibt es auch etwas, was Sie kritisieren?

    Lindner: Das Gesetz ist sehr kompliziert formuliert und sehr schwer verständlich. Der Gesetzgeber musste eine komplizierte EU-Richtlinie umsetzen und eine komplizierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem BKA-Urteil.

    Klingt so, als ob es unvermeidlich kompliziert geworden ist. Stört Sie inhaltlich auch etwas?

    Lindner: Kritisch sehe ich einen Punkt aus der Gesetzesnovelle vom letzten Jahr: Das ist die Dauer des Vorbeuge-Gewahrsams, also des vorsorglichen Festhaltens von Gefährdern ohne zeitliche Beschränkung. Hier hätte ich mir eine stärkere rechtliche Absicherung gegen Missbrauch gewünscht. Zum Beispiel, dass der Antrag bei Gericht auf so eine Vorbeugehaft vom Innenminister bestätigt werden muss. Oder dass man dem Betroffenen einen Anwalt beiordnet.

    Wird das Gesetz Ihrer Ansicht nach einer Überprüfung durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht standhalten?

    Lindner: Nach meiner Auffassung ja – wenn man die Maßstäbe des BKA-Urteils anlegt. Die hat der Gesetzgeber alle berücksichtigt.

    Haben Sie dennoch Verständnis für die vielen Menschen, bei denen das Polizeigesetz Unbehagen auslöst?

    Lindner: Ich habe Verständnis dafür, dass die Menschen ein Unbehagen haben und sich fragen: Was darf denn die Polizei jetzt alles? Was mich ärgert an der Diskussion, sind die unrichtigen Beispiele, mit denen hier argumentiert wird und die es dann vielleicht auch sind, die den Menschen Angst einflößen.

    Sagen Sie ein Beispiel...

    Lindner: Es wird verbreitet, dass eine drohende Gefahr, die für bestimmte Maßnahmen ausreicht, nichts anderes sei als ein bloßer Verdacht oder eine bloße Vermutung. Dass also die Polizei jemanden auf eine bloße Vermutung hin überwachen könne. Das ist schlichtweg falsch. Es kursiert auch dieses Beispiel: Wenn die Polizei den Verdacht hat, jemand könnte die Staatskanzlei mit Graffiti besprühen, dann dürfe sie bereits online überwachen, Telefone abhören und Staatstrojaner einsetzen. Das ist Unfug. Die drohende Gefahr setzt einen Angriff von erheblicher Intensität oder Auswirkung auf ein bedeutendes Rechtsgut voraus. Und Graffiti auf der Staatskanzlei sind – so unschön das sein mag– kein solcher Angriff.

    Die Kritiker fragen auch, weshalb es diese Verschärfung überhaupt braucht. Ist doch Bayern das sicherste Bundesland und die Kriminalitätsbelastung so niedrig wie seit 30 Jahren nicht...

    Lindner: Ich empfinde dieses Argument als etwas naiv. Keiner kann sagen, dass das in Zukunft so bleiben wird. Die Bedrohungsszenarien für terroristische Anschläge sind ja nach wie vor vorhanden, wenn man die Nachrichtendienste ernst nimmt. Nur weil in Deutschland ein paar Monate nichts passiert ist, kann man doch nicht sagen, das brauchen wir alles nicht mehr. Die Polizei braucht die Befugnisse, im Gefahrenvorfeld entsprechende Maßnahmen treffen zu können. Wenn sie sie nicht benutzen muss, umso besser.

    Sie haben also kein Problem mit dem Paradigmenwechsel hin zu einer Geheimdienst-Polizei, die schon vorher massiv eingreifen kann?

    Lindner: Es gibt keinen Paradigmenwechsel. Die Polizei hat seit vielen Jahren geheimdienstähnliche Befugnisse. Das ist heute Standard. Es gibt selbstverständlich die heimliche Telefonüberwachung. Wir haben seit Jahren die Onlineüberwachung im PAG, eben vor dem Hintergrund, dass die Polizei nicht mehr nur mit Telegrafen und Schreibmaschine unterwegs sein muss, sondern auch die entsprechenden technischen Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr haben muss.

    Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die neuen Rechte missbraucht werden könnten?

    Lindner: Wenn die Polizei eine Befugnisnorm hat, dann heißt das ja nicht, dass sie von dieser jetzt völlig willkürlich Gebrauch machen kann. Sondern sie muss im Einzelfall immer die Verhältnismäßigkeit prüfen und abwägen, ob der Zweck den Eingriff in die Grundrechte rechtfertigt. Natürlich ist es in der Geschichte zu Missbrauch gekommen. Aber ich kann aus diesem Grund nicht der Polizei die für die Abwehr von Gefahren erforderlichen Befugnisse verwehren.

    Was sagen Sie zu dem Einwand, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem BKA-Urteil vor allem auf die Terrorabwehr abgehoben hat und dass Bayern dieses Urteil jetzt aus politischen Gründen besonders weit ausdehnt?

    Lindner: Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht den Begriff der „drohenden Gefahr“, den es selbst erfunden hat, im Zusammenhang mit der Terrorabwehr benutzt. Meines Erachtens nach würde man die Verfassungsrichter aber überinterpretieren, wenn man sagen würde, ausschließlich wenn es um einen terroristischen Anschlag geht, hätte die Polizei diese präventiven Maßnahmen zur Verfügung. Denn in vielen Fällen stellt sich erst im Nachhinein heraus, ob eine Tat einen terroristischen Hintergrund hat oder einen kriminellen oder ob es die Tat einer psychisch gestörten Person war. Das heißt, das weiß man vorher oft gar nicht. Ich würde es für nicht vertretbar halten, vorher zu sagen, das ist keine terroristische Tat, da machen wir nichts.

    Nochmals zurück zu den Erfolgsaussichten einer Klage, wie sie die Grünen, die SPD oder die FDP angekündigt haben. Sind Sie sicher, dass das neue bayerische Polizeigesetz hält?

    Lindner: Das ist immer eine schwierige Frage. Man weiß nie, wie die Verfassungsrichter eine Vorschrift und deren Kontext im Einzelnen bewerten. Ich halte es für denkbar, dass sie verlangen, an der einen oder anderen Stelle müsste noch eine zusätzliche Sicherung eingebaut werden. Aber die Gesamttendenz dieses Gesetzes ist aus meiner Sicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Und deshalb glaube ich nicht, dass das Bundesverfassungsgericht oder der Bayerische Verfassungsgerichtshof es kippen werden.

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