Mindestens 95 Menschen sind es, deren Leichen im Wasser des Bodensees gefangen sind. Freigeben wird das Gewässer diese Toten vermutlich nie mehr. Das hängt mit Wassertiefe und -temperatur zusammen.
95 Tote seit 1947 vermisst
Die Frauenleiche, die am Samstagvormittag nahe der Lindauer Insel im Wasser treibend gefunden wurde, teilt das Schicksal der 95 Toten nicht. „Sie lag nur kurz im Wasser“, sagt Polizeisprecher Thorsten Ritter. Die Obduktion der Toten beim Rechtsmedizinischen Institut in München ergab außerdem, dass die Frau ertrunken ist. Weitere Details zu den Umständen ihres Todes sowie ihre Identität sind mittlerweile geklärt: Demnach handelt es sich um eine 43-jährige, ledige Frau aus dem Landkreis Sigmaringen in Baden-Württemberg.
Die 95 Toten im Bodensee dagegen sind nicht ganz so anonym. Bei ihnen, so berichtet Dietmar Issler, Leiter der Wasserschutzpolizei Friedrichshafen, handelt es sich um Personen, die seit 1947 vermisst werden. Es sind Menschen, die zum Beispiel nach Boots- und Badeunfällen nicht mehr auftauchten. Der stellvertretende Chef der Kripo Lindau, Kurt Kraus, erinnert sich hier unter anderem an zwei Fischer, die vergangenes Jahr vor Bregenz im See verunglückten und nicht gefunden wurden. „Die 95 sind die Personen, die der Wasserschutzpolizei bekannt sind. Es kann durchaus noch weitere geben“, sagt Issler. Zum Beispiel vereinzelte Tote, die über die Zuläufe etwa vom Rhein in den See gespült wurden.
Kaltes Wasser verlangsamt den Verwesungsprozess
Doch warum bleiben all diese Leichen verschwunden? „Das liegt an Wassertemperatur und Wassertiefe“, erklärt Issler. Normalerweise versinkt ein toter Körper zunächst in einem Gewässer. Setzt dann der Verwesungsprozess ein, bilden sich in der Leiche Gase, die sie nach einigen Tagen wieder nach oben treiben. Ab einer Tiefe von rund 20 Metern jedoch hat das Wasser nur noch vier Grad Celsius. Das verlangsamt den Verwesungsprozess stark.
Außerdem steigt der Wasserdruck mit zunehmender Tiefe – und der Bodensee misst teils immerhin über 250 Meter von der Oberfläche bis zum Grund. „Der Wasserdruck ist das Hauptkriterium. Wegen ihm bleiben die Leichen unten“, sagt Issler. Sei eine Leiche erst auf einer Tiefe von 40 bis 50 Metern, tauche sie in der Regel nie mehr auf. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der 95 Toten wieder an die Oberfläche kommt, sei deshalb verschwindend gering. „Ich bin jetzt seit drei Jahren hier. In dieser Zeit ist noch keine dieser Leichen wieder aufgetaucht“, berichtet er. Das gleiche Phänomen gibt es übrigens auch an anderen, in der Regel größeren Seen, an denen die erforderlichen Rahmenbedingungen von Wassertiefe, -temperatur und -druck gegeben sind.
Nach Bergung ist Identifizierung durch DNA-Abgleich möglich
Taucht eine Leiche doch irgendwann wieder aus den Tiefen des Sees auf, ist eine Identifizierung durch DNA-Abgleich – sprich genetischer Fingerabdruck – relativ gut möglich, sagt Issler. Zudem helfen die alten Akten der Vermisstenfälle in den jeweiligen Polizeidienststellen.
Jetzt versuchen die Polizisten zu ermitteln, was die aufgefundene Frau am vergangenen Wochenende tat, bevor sie starb. Ihre Spur verliert sich am Freitag gegen 14 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt stieg sie am Bahnhof in Ravensburg vermutlich in den Zug nach Friedrichshafen am Bodensee ein.