Schlagen da zwei Herzen im Dreivierteltakt? Na ja, es sieht fast so aus, als „der Sebastian“ und „der Markus“ sich am Dienstagvormittag vor dem „Landhaus“ im Zentrum der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz begrüßen. Es ist das erste Mal, dass ein österreichischer Bundeskanzler und ein bayerischer Ministerpräsident mit ihren Ministern und Staatssekretären zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung zusammenkommen.
In welch brisante Zeit ihr Treffen fallen würde, wussten Sebastian Kurz (ÖVP) und Markus Söder (CSU) zwar noch nicht, als der Termin im Februar am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz vereinbart wurde. Aber er kommt ihnen gerade jetzt mehr als gelegen.
Beide Herren suchen Verbündete. Kurz für die österreichische EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli beginnt. Und Söder im Asylstreit der CSU mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihr Treffen soll ein politisches Signal aus der „Mitte Europas“ (Söder) sein. Die Adressatin sitzt in Berlin.
Kurz zieht alle Register alpenländischen Charmes
Entsprechend herzlich fällt die Begrüßung aus. Obwohl – rein protokollarisch – ein bayerischer Ministerpräsident in Österreich nicht mehr gilt als der Landeshauptmann eines Bundeslandes, zieht Bundeskanzler Kurz alle Register alpenländischen Charmes. Er spricht von einem Treffen „unter Freunden“ und von guter Nachbarschaft „auch mit den Regionen“. Er betont das „starke Interesse“ Österreichs an guter Zusammenarbeit mit Bayern und verspricht, dass es nicht das letzte derartige Treffen sein wird. Sogar die scharfen Gegensätze in der Verkehrspolitik – der Streit über den Brenner oder den Salzburger Flughafen – treten hinter der Frage zurück, wie in der Flüchtlingspolitik eine härtere Gangart durchgesetzt werden könne.
Söder, der aus seiner Bewunderung für die politischen Erfolge des jungen ÖVP-Politikers keinen Hehl macht, spielt den Ball zurück. Es sei ihm „Freude und Ehre zugleich“, hier in Linz sein zu können. Er spricht vom „Zusammenhalt in Europa“ und verspricht den Österreichern „Rückendeckung für die EU-Ratspräsidentschaft“. Entscheidend sei, so Söder, dass man „bei der Migration eine Wende schafft“. Die Bürger müssten wieder Vertrauen fassen, dass die Politik es ernst meine. „Damit steht und fällt alles“, sagt der Ministerpräsident.
Die wichtigsten Akteure im europäischen Flüchtlingskonflikt (Stand: Juni 2018)
Horst Seehofer und die CSU
Der Bundesinnenminister hat ein Maßnahmenpaket zur Migration erarbeitet, die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der Grenze ist ein Teil davon. Der CSU-Vorsitzende begründet dies mit der Sicherheit in Deutschland und der Stimmung in der Bevölkerung. Um seine harte Linie durchzusetzen, scheint er sogar zum Bruch mit der CDU bereit, mit einem Zerfall der Regierungskoalition als Folge. Kritiker werfen Seehofer vor, allein einen Erfolg der CSU bei den bayerischen Landtagswahlen im Herbst im Blick zu haben. Doch in der CDU wird auch vermutet, dass Seehofer eigentlich Merkels Sturz zum Ziel hat.
Angela Merkel
Die Kanzlerin ist die Getriebene in dem Konflikt. Unter dem Druck der CSU hat sie zugesagt, bis Monatsende über bilaterale Abkommen zu Zurückweisungen zu verhandeln – obwohl sie solche Maßnahmen eigentlich ablehnt. Nun will sie wenigstens eine europäische Lösung dazu hinbekommen. Doch in Europa schlägt ihr überwiegend Ablehnung entgegen, ihre wichtigsten Verbündeten sind Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Was immer Merkel erreicht, der Konflikt hat sie bereits jetzt als Kanzlerin und CDU-Vorsitzende gefährlich geschwächt.
Emmanuel Macron
Der französische Präsident warnt vor einer anti-europäischen Stimmung, die sich "wie die Lepra fast überall in Europa breitmacht". Er spricht sich gegen Nationalismus und geschlossene Grenzen aus und wirbt zusammen mit Kanzlerin Merkel für gemeinsame EU-Asylstandards und mehr Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen. Kritiker auch in seiner eigenen Partei werfen Macron Doppelmoral vor: Denn Frankreich weist an der Grenze zu Italien systematisch Flüchtlinge ab.
Italiens Regierung mit Innenminister Matteo Salvini
Unter der neuen Populisten-Regierung geht Rom auf Konfrontationskurs zu Merkel. Treibende Kraft ist Innenminister Matteo Salvini, Chef der fremdenfeindlichen Lega. Er weigert sich, bereits in Italien registrierte Asylbewerber wieder zurückzunehmen: "Wir können keinen Einzigen mehr aufnehmen." Damit droht er, Merkels Plan für bilaterale Abkommen zum Scheitern zu bringen. Stattdessen zeigt sich Rom offen für die Zusammenarbeit mit EU-Staaten wie Österreich, die ebenfalls auf eine harte Gangart in der Migrationspolitik drängen.
Sebastian Kurz und die ÖVP-FPÖ-Koalition in Wien
Österreichs Bundeskanzler will mit einer "Achse der Willigen" eine restriktivere Migrationspolitik in Europa durchsetzen. Er wirbt dabei für eine regionale Zusammenarbeit zwischen Rom, Wien und Berlin – wobei er insbesondere Seehofer im Blick hat. Sollte Deutschland die Grenzkontrollen verschärfen, kündigte Kurz seinerseits Kontrollen an Österreichs Südgrenzen an. Zugleich positioniert er sich als Vermittler zwischen den westlichen EU-Mitgliedern und den osteuropäischen Visegrad-Staaten, die eine Flüchtlingsaufnahme strikt ablehnen. Ab 1. Juli übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft und will dem Schutz der EU-Außengrenzen Priorität einräumen.
Jean Claude Juncker
Der EU-Kommissionspräsident und seine Behörde versuchen seit der Flüchtlingskrise vergeblich, eine Umverteilung von Flüchtlingen aus den stark belasteten Ankunftsländern im Süden Europas auf alle EU-Staaten durchzusetzen – er scheiterte am Widerstand osteuropäischer Länder. In ihren Vorschlägen für den künftigen EU-Finanzrahmen schlug die Kommission jüngst eine massive Aufstockung der Grenz- und Küstenschutzbehörde Frontex von 1000 auf 10.000 Beamte vor sowie eine stärkere finanzielle Unterstützung von Ländern bei der Flüchtlingsaufnahme. (AFP)
In einer gemeinsamen, sechs Seiten starken Erklärung, die auch allerlei Absichten über eine verbesserte Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Hochschulpolitik enthält, bleiben Österreich und Bayern recht allgemein: Die Situation der Jahre 2015/2016 dürfe sich nicht wiederholen. Man stimme darin überein, „dass dieses Problem nur durch Sicherstellung eines effektiven EU-Außengrenzschutzes gelöst werden kann“. Dies und die Gewährleistung der inneren Sicherheit seien die Voraussetzungen „für eine volle Anwendung des Schengener Abkommens ohne Binnengrenzkontrollen“ innerhalb der EU. Man sei sich einig: „Offene Grenzen nach innen verlangen sichere Grenzen nach außen.“ Mit anderen Worten: Die erste Botschaft des Treffens ist schlicht, dass es stattgefunden hat.
Die zweite Botschaft kommt versteckter daher
Die zweite Botschaft kommt in der Abschlusspressekonferenz von Kurz und Söder etwas versteckter daher. Der österreichische Bundeskanzler, der in der Vergangenheit selbst immer wieder mit Kontrollen an der Grenze zu Italien gedroht hat, lehnt Kontrollen an der deutschen Grenze ab, weil das der wirtschaftlichen Zusammenarbeit schaden würde und seine Bundesländer Salzburg und Oberösterreich die „Hauptleidtragenden“ wären. Der schlimmste Fall wäre, so sagt er, „dass nationale Grenzen wieder hochgezogen werden“.
Zugleich aber begrüßt Kurz offenbar die Drohung des deutschen Innenministers und CSU-Chefs Horst Seehofer, an der Grenze stärker zu kontrollieren und bestimmte Gruppen von Asylbewerbern zurückzuweisen. Wenn „die innerdeutsche Debatte“ dazu beitrage, auf Ebene der EU eine neue Dynamik bei der Suche nach einer europäischen Lösung zu befördern, so sagt Kurz, „dann nehme ich das gerne zur Kenntnis“. Er hätte auch sagen können, er sei froh, dass die CSU die deutsche Bundeskanzlerin unter Druck setze.
Söder sieht das vermutlich genauso, gibt sich aber ebenfalls äußerst diplomatisch. Fragen nach Merkel erwidert er immer wieder mit dem Satz: „Es geht nicht um personelle Fragen, es geht um inhaltliche Fragen.“ In der Sache aber bleibt er hart. Europäische Lösungen, so Söder, „müssen Lösungen sein, die wirken – nicht irgendwann, sondern rasch“. Und selbstbewusst fügt er hinzu: „Ohne die Position Bayerns würde sich Berlin nicht so schnell bewegen wie jetzt.“
Die Spitze der Grünen im Bayerischen Landtag ist da ganz anderer Ansicht. Die Fraktionschefs Katharina Schulze und Ludwig Hartmann sind auch nach Linz gekommen – um gegen Söder und Kurz zu demonstrieren. Sie nennen sie „die Achse der Zerstörer Europas“.