Den ganzen Prozess über hat Ulvi K. geschwiegen. Doch das Schlusswort lässt sich der geistig Minderbegabte nicht nehmen: "Ich habe die Peggy nicht umgebracht. Mein Wunsch ist, dass sie noch lebend gefunden wird." Eine lebende Peggy - das wünscht sich auch die als Nebenklägerin auftretende Mutter des im Jahr 2001 mit neun Jahren verschwunden Mädchens. "Winzig klein" sei diese Chance noch, sagt ihre Anwältin.
Vor dem für Mittwoch vorgesehen Ende des zweiten Peggy-Prozesses sind allerdings nicht nur die Hoffnungen winzig klein, dass Peggy 13 Jahre nach ihrem Verschwinden doch noch lebend gefunden wird. Vor allem sind die Hoffnungen winzig klein, dass dieser zu den rätselhaftesten Kriminalfällen in Deutschland zählende Fall je aufgeklärt wird.
Nur eines lässt sich bereits vor dem Urteil mit größter Wahrscheinlichkeit sagen: Ulvi K. wird von dem Gericht von dem Vorwurf befreit werden, Peggys Mörder zu sein. Nicht nur sein Verteidiger Michael Euler, auch die Staatsanwaltschaft forderte am Dienstag vor dem Landgericht Bayreuth im Wiederaufnahmeverfahren seinen Freispruch. Damit würde die rechtskräftig gewordene Verurteilung des Gastwirtssohns durch das Landgericht Hof vor zehn Jahren wieder aufgehoben - eine Seltenheit in deutschen Strafprozessen.
Die Frage wird nun sein, ob Ulvi K. einen Freispruch erster oder zweiter Klasse bekommt. Staatsanwältin Sandra Staade will K. nur nach dem Rechtsgrundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" freisprechen lassen, obwohl die Anklage praktisch nichts gegen ihn in der Hand hat.
Noch immer keine Spur von Peggy
Was immer noch fehlt, sind die sterblichen Überreste von Peggy. Sie war vom Rückweg von der Schule nie zu Hause angekommen. Das letzte Mal wurde sie am 7. Mai 2001 lebend gesehen.
Doch schon um die Frage, wann genau sie zuletzt gesehen wurde, gibt es Streit. Die Anklage geht davon aus, dass Ulvi ihr zwischen 13.00 und 14.00 Uhr auflauerte, um sich für eine Vergewaltigung wenige Tage vorher zu entschuldigen, und dass die Situation dann bis zum Mord eskalierte.
Allerdings sagten schon 2001 bei der Polizei mehrere Zeugen - darunter vor allem Kinder - aus, dass sie Peggy noch nach 14.00 Uhr gesehen haben. Im ersten Prozess wurde diesen Zeugen kein Glauben geschenkt. Aus den Kindern sind mittlerweile Erwachsene geworden - alles rechtschaffene Bürger, mit Beruf oder Studium voll im Leben stehend. Im Wiederaufnahmeverfahren bekräftigten sie ihre damaligen Aussagen.
Auch im zweiten Verfahren maß die Staatsanwaltschaft diesen Zeugen aber keine Bedeutung zu. Ihre Freispruchforderung begründete sie lediglich mit inzwischen bei einem Gutachter entstandenen Zweifeln an der Glaubwürdigkeit eines Geständnisses von Ulvi K., das trotz eines späteren Widerrufs von K. zur Grundlage seiner Verurteilung geworden war.
Der Fall Peggy bleibt ein Rätsel
Dagegen sieht die Verteidigung die Zeugenaussagen als einen entscheidenden Grund, Ulvi K. einen Freispruch erster Klasse zu gewähren. "Zweifellos" habe Peggy zur behaupteten Tatzeit noch gelebt. Außerdem bestreitet die Verteidigung auch die als Tatmotiv angenommene Vergewaltigung von Peggy durch Ulvi K.. Sein Mandant sei im zweiten Verfahren vollständig entlastet worden, sagte Verteidiger Euler.
Fragen und Antworten zum Fall Peggy
Weshalb wird der Fall Peggy nach zehn Jahren neu aufgerollt?
Das Landgericht Bayreuth ordnete die Wiederaufnahme des Verfahrens aus zweierlei Gründen an: Ein wichtiger Belastungszeuge räumte im September 2010 ein, falsch ausgesagt zu haben. Er hatte 2004 behauptet, Ulvi K. habe ihm den Mord an Peggy gestanden. Beim damaligen Prozess war außerdem nicht bekannt, dass die Ermittler eine Tathergangshypothese erstellt hatten - sie war dem späteren Geständnis von Ulvi K. verblüffend ähnlich.
Wie und weshalb soll Ulvi K. die kleine Peggy getötet haben?
Das Gericht war davon überzeugt, dass der Gastwirtsohn die Schülerin zunächst auf einem Feldweg verfolgte und ihr dann so lange Mund und Nase zuhielt, bis sie sich nicht mehr rührte. Mit diesem Mord habe er einen vier Tage zuvor begangenen sexuellen Missbrauch an Peggy vertuschen wollen, heißt es im Urteil.
Warum gibt es Zweifel an dieser Version?
Ulvi K.'s Betreuerin Gudrun Rödel führt ins Feld, dass er wegen seines enormen Körpergewichts gar nicht in der Lage gewesen wäre, dem Mädchen hinterherzurennen. Außerdem müsste ein geistig Behinderter das perfekte Verbrechen begangen haben - denn die Leiche von Peggy wurde nie gefunden. Auch Spuren gibt es so gut wie keine.
Welche Behinderung hat Ulvi K.?
Der heute 36-Jährige erlitt im Alter von zweieinhalb Jahren eine Gehirnhautentzündung. Seitdem ist er geistig behindert. Ein Gutachten aus dem Jahr 2003 bescheinigte ihm einen IQ von 67.
Wo ist Ulvi K. untergebracht?
Ulvi K. ist in keinem Gefängnis. Wegen exhibitionistischen Handlungen vor Kindern wurde er noch vor seiner Verurteilung im Fall Peggy in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Dort befindet er sich noch immer. Seine Freiheitsstrafe wegen Mordes hat er noch nicht angetreten. Sollte Ulvi K. von dem Vorwurf freigesprochen werden, kommt er nicht automatisch aus der Psychiatrie frei.
Stimmt es, dass Ulvi K. und Gustl Mollath befreundet sind?
Ja. Beide waren für einige Zeit in der gleichen psychiatrischen Einrichtung untergebracht und freundeten sich dort an. Vor einigen Wochen trafen sich Ulvi K. und der mittlerweile entlassene Gustl Mollath in Bayreuth auf einen Kaffee.
Wurde bei der Suche nach Peggy tatsächlich auch Hinweisen von Hellsehern nachgegangen?
Die Polizei prüfte jeden Hinweis zunächst auf Plausibilität. Das galt auch für Tipps von Hellsehern. Denn: Der Täter hätte sich als Hellseher ausgeben können, um sich nicht verdächtig zu machen, wie ein Polizeisprecher erklärt.
Lebt Peggy womöglich noch?
Die Unterstützer von Ulvi K. haben diese Theorie immer wieder ins Spiel gebracht. Sie glauben an eine Entführung. Bereits bei den ersten Ermittlungen 2001 und 2002 gaben Zeugen an, ein Auto mit tschechischem Kennzeichen in Lichtenberg gesehen zu haben, in das Peggy eingestiegen sei. Diese Spur führte aber ins Leere.
Ulvi K. verfolgte das Plädoyer an der Seite seiner Betreuerin Gudrun Rödel. Diese hat es mit einem jahrelangen Kampf gegen die Justiz erst ermöglicht, dass es zum Wiederaufnahmeverfahren gekommen ist.
Am Mittwoch dürfte das Projekt mit einem Erfolg enden. Dann kann Ulvi K., der seine Haftstrafe noch gar nicht antreten musste, sondern wegen sexueller Übergriffe auf Kinder in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht wurde, auf Unterbringung in einer offenen Einrichtung hoffen.
Peggys Mutter hat nach den Worten ihrer Anwältin ebenfalls noch eine Hoffnung: Dass weiter nach ihrer Tochter gesucht wird. Gegen drei andere Männer besteht ein Tatverdacht. Doch die Ermittlungen laufen schon seit langem, ohne dass eine Spur gefunden wurde. Der Fall Peggy bleibt ein Rätsel. afp