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Peggy Knobloch: Fall Peggy: Der Mörder, der keiner gewesen sein soll

Peggy Knobloch

Fall Peggy: Der Mörder, der keiner gewesen sein soll

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    Vor zwölf Jahren verschwand in Oberfranken das Mädchen Peggy spurlos. Der 2004 verurteilte Ulvi K. könnte unschuldig sein. Womöglich wird der Fall nun neu aufgerollt.
    Vor zwölf Jahren verschwand in Oberfranken das Mädchen Peggy spurlos. Der 2004 verurteilte Ulvi K. könnte unschuldig sein. Womöglich wird der Fall nun neu aufgerollt. Foto: David Ebener, dpa

    Dies ist eine Geschichte, die unter die Haut geht. Sie erzählt von Verlust, einem Verbrechen und einem leeren Kindergrab. Von einem Täter und einem Gerichtsurteil. Und davon, dass sich viele Jahre später immer mehr die Erkenntnis durchsetzt: Vielleicht war alles ganz anders.

    Über zehn Jahre nach dem Verbrechen wird noch ermittelt

    Fängt man diese Geschichte von hinten an, dann ist da die Rede von einem neuen Tatverdächtigen in Sachsen-Anhalt und einer großen Durchsuchungsaktion vergangenen April im Örtchen Lichtenberg im Landkreis Hof. Dort ist 2001 das Mädchen Peggy spurlos verschwunden. Mehr als ein Jahrzehnt später wird immer noch ermittelt. Obwohl längst offiziell Recht gesprochen wurde. Ulvi Kulac, ein geistig behinderter Gastwirtssohn aus Lichtenberg, ist 2004 als Peggys Mörder verurteilt worden.

    Vielleicht wird man auch irgendwann sagen: Zum Glück wird wieder ermittelt. Und zum Glück wird nun vielleicht alles neu aufgerollt.

    Ist der Verurteilte wirklich Peggys Mörder?

    Das Grab von Peggy Knobloch befindet sich in der Marktgemeinde Nordhalben im Kreis Kronach. Auf dem Grabstein steht: „Wer nicht an Engel glaubt, der ist dir nie begegnet.“ Das Grab selbst ist leer. Peggy wurde nie gefunden. Irgendwann hat man ihr Todesdatum festgelegt: auf den 7. Mai 2001. Das ist der Tag, an dem die Neunjährige aus Oberfranken auf dem Weg von der Schule nach Hause verschwand. Was wirklich geschah, ist umstritten. Die Diskussionen ebbten auch nicht ab, als Ulvi Kulac am 30. April 2004 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. War der Sonderling wirklich ein Mörder?

    Wiederaufnahme des Verfahrens möglich

    Der Frankfurter Rechtsanwalt Michael Euler hat zusammen mit Kulac’ gerichtlich bestelltem Vormund Gudrun Rödel jahrelang mit hohem Aufwand recherchiert. Sie kommen zu dem Ergebnis: Kulac kann es nicht gewesen sein.

    Euler hat im April beim Landgericht Bayreuth einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens eingereicht. Spätestens im Januar, so sagt er gestern am Telefon, soll die Entscheidung des Gerichts bekannt gegeben werden. Die Staatsanwaltschaft hat vor knapp drei Wochen signalisiert, sie werde sich einer Wiederaufnahme nicht verschließen. „Dies stimmt mich zuversichtlich, dass mein Antrag Erfolg haben wird“, sagt Euler.

    Rechtsanwalt hat neue Zeugen an der Hand

    Der Jurist stützt sich unter anderem auf die Aussagen „zweier neuer Zeugen“, wie er sagt. Sie wollen Peggy am Tag ihres Verschwindens an der Seite eines unbekannten Mädchens gesehen haben. Daraus könnten sich neue Anhaltspunkte dafür ergeben, was an jenem Tag wirklich geschah – und welche Rolle Ulvi Kulac dabei spielte, so Euler.

    Peggy ist wenige Meter von ihrem Elternhaus entfernt verschwunden, einem hübschen blauen Gebäude im Ortskern. Eine der größten Suchaktionen in der deutschen Geschichte begann. Sie blieb erfolglos. Auch vergangenen April, als das Haus eines in der Nähe wohnenden vorbestraften Sexualstraftäters durchsucht und im Innenhof gegraben wurde. Man habe Hinweise, dass dies der „Leichenablageort“ sein könnte, sagte ein Polizeisprecher damals. Zwar fanden die Ermittler Knochenteile. Aber sie gehören nicht zu Peggy. Das könnten auch die Überreste eines ehemaligen Friedhofs sein, hieß es.

    Verurteilt wurde der geistig behinderte Nachbar - trotz Ungereimtheiten

    Einen Verdächtigen gab es dagegen schnell. Peggys Mutter Susanne Knobloch brachte den Nachbarn Ulvi Kulac ins Gespräch. Der Mann war damals 23. Seit einer Hirnhautentzündung im Kindesalter galt er als geistig behindert, aber harmlos – auch wenn er schon mal vor Kindern die Hosen herunterließ. Die Sonderkommission Peggy I nahm Kulac fest und brachte ihn in ein psychiatrisches Krankenhaus. Die Beamten verdächtigten ihn, Peggy umgebracht zu haben, um ein Sexualdelikt zu vertuschen.

    Der Fall Peggy

    07. Mai 2001: Die neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg wird letztmalig auf dem Heimweg von der Schule gesehen. Ihre alleinerziehende Mutter gibt noch am Abend eine Vermisstenanzeige auf. Wochenlange Suchaktionen - unter anderem mit Tornados der Bundeswehr - bleiben ohne Erfolg.

    August 2001: Der geistig behinderte Gastwirtssohn Ulvi K. wird festgenommen. Er gesteht, sich an Peggy und drei weiteren Kindern sexuell vergangen zu haben.

    22. Oktober 2002: Die Ermittler präsentieren den 24-jährigen Gastwirtsohn als mutmaßlichen Mörder der spurlos verschwundenen Schülerin.

    28. Februar 2003: Die Staatsanwaltschaft Hof erhebt Anklage wegen Mordes.

    07. Oktober 2003: Vor dem Landgericht Hof beginnt der Prozess. Nach fünf Verhandlungstagen platzt er wegen einer fehlerhafter Besetzung der Strafkammer.

    11. November 2003: Das Verfahren beginnt erneut.

    30. April 2004: Nach 26 Verhandlungstagen wird Ulvi K. wegen Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt.

    17. September 2010: Ein wichtiger Belastungszeuge hat seine Aussage widerrufen und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden.

    19. Juli 2012: Die Staatsanwaltschaft Bayreuth kündigt eigene Prüfungen an.

    04. April 2013: Der Anwalt Michael Euler beantragt beim Landgericht Bayreuth die Wiederaufnahme des Falls.

    22. April 2013: Die Polizei sucht wieder nach Peggys Leiche. Hinweise führen die Ermittler zu einem Anwesen mitten in Lichtenberg. Knochen in einer Sickergrube stammen aber nicht von Peggy-

    21. November 2013: Ein Mann aus Halle in Sachsen-Anhalt ist ins Visier der Ermittler gerückt. Er war ein enger Freund von Peggys Familie und gilt für die Staatsanwaltschaft mittlerweile als Tatverdächtiger. Sein Elternhaus wird durchsucht.

    09. Dezember 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Ulvi K. an.

    08. Januar 2014: Auf dem Friedhof Lichtenberg öffnen die Ermittler ein Grab - sie vermuten, dass im Zuge einer Beerdigung im Mai 2001 Peggys Leiche dort abgelegt worden sein könnte. Doch es gibt laut Staatsanwaltschaft keine Hinweise auf die sterblichen Überreste eines Kindes in dem Grab.

    02. April 2014: Der im Fall Peggy zuständige Staatsanwalt wird auf eigenen Wunsch ausgewechselt. Er hatte einem neuen Verdächtigen bei einer Vernehmung den Anwalt verweigert.

    10. April 2014: Prozessauftakt im Wiederaufnahmeverfahren gegen Ulvi K. vor dem Landgericht Bayreuth.

    07. Mai 2014: Das Landgericht Bayreuth beendet die Beweisaufnahme aus Mangel an Beweisen nach nur sechs Verhandlungstagen vorzeitig.

    14. Mai 2014: Ulvi K. wird freigesprochen.

    Die Ermittlungen entlasteten ihn jedoch. Der Soko-Leiter beispielsweise sagte neun Monate nach der Tat, Ulvis Alibi sei „lückenlos“. Man stand wieder ganz am Anfang. Der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein ließ eine neue Soko einsetzen. Die Politik wollte nicht akzeptieren, dass dieses aufsehenerregende Verbrechen nicht aufgeklärt wird.

    Nun warb die Kripo den Betrüger Peter H. als V-Mann an. Der saß ebenfalls in der Psychiatrie. Er sollte Kulac aushorchen. „Sie sagten, wenn ich ihnen helfe, dann helfen sie mir auch. Da habe ich das Spiel mitgemacht. Was macht man nicht alles für seine Freiheit?“, sagte H. 2012 – und später noch einmal in die Kamera eines ZDF-Fernsehteams.

    Peter H. lieferte. Er berichtete den Ermittlern, Kulac habe ihm die Tat gestanden. Der kräftige junge Mann mit dem Verstand eines Zehnjährigen wurde 40 Mal verhört. Dann gestand er. Zumindest ist dies in einem Gedächtnisprotokoll der Polizei so festgehalten. Eine Tonbandaufzeichnung gibt es nicht.

    Kulac widerruft später Geständnis

    „Es gab keinen einzigen Beweis, nur ein Geständnis“, sagt der Journalist Christoph Lemmer, der den Fall zusammen mit seiner Kollegin Ina Jung in einem Buch („Der Fall Peggy“) aufgearbeitet hat. Und dieses  Geständnis  habe „die Polizei mit illegalen Methoden geholt, mit körperlichem und psychischem Druck“, so sein schwerer Vorwurf.

    Ulvi Kulac hat sein Geständnis tatsächlich widerrufen. Angeklagt wurde er dennoch. Zwei Jugendliche, die zunächst ausgesagt hatten, sie hätten Peggy in ein Auto mit tschechischem Kennzeichen einsteigen sehen, zogen ihre Aussage zurück. Peter H. bestätigte vor Gericht, Kulac habe ihm die Tat gestanden. Rechtsanwalt Euler dagegen sagt: „Ulvis Geständnis war falsch.“ Er habe nach dem erheblichen Druck der polizeilichen Vernehmungen nur noch seine Ruhe haben wollen.

    Kulac wurde 2004 verurteilt. Wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Straffrei blieb dagegen der sexuelle Missbrauch von Kindern; in diesem Punkt attestierten ihm die Gerichtsgutachter Schuldunfähigkeit. Das ist aber auch der Grund, warum Kulac bis heute in der Psychiatrie untergebracht ist, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel immer wieder betont. In dieser Woche wird Kulac 36 Jahre alt.

    Bürgerinitiative meldet als Erstes Zweifel an

    Es war zunächst eine Bürgerinitiative, die lautstark Zweifel an dem Urteil anmeldete. Bis heute gibt es keine Leiche; dem geistig zurückgebliebenen Mann wäre also „das perfekte Verbrechen“ gelungen. Nach der Tatversion des Gerichts hätte Ulvi Kulac an jenem Mai-Nachmittag das Mädchen rennend verfolgen und töten müssen. Ulvi aber ist ein schwergewichtiger junger Mann, der sich im Zeitlupentempo bewegt.

    V-Mann H. versicherte 2012 an Eides statt, er habe gelogen. Und er geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Polizei habe ihm gesagt, er solle aussagen, Ulvi habe sie gedrosselt, bis sie tot war. Die beiden Jungs aus Lichtenberg versichern Rechtsanwalt Euler heute, sie hätten das Auto mit dem tschechischen Kennzeichen und Peggy doch gesehen. Das würden sie auch vor Gericht sagen. Auch die Tatzeit wackelt. Mehrere Zeugen wollen Peggy nach dem angeblichen Todeszeitpunkt gesehen haben. H. ist inzwischen gestorben.

    Staatsanwaltschaft startet eigene Ermittlungen

    2012 startete die Staatsanwaltschaft Bayreuth eigene Ermittlungen in dem Fall. Für Michael Euler ein deutlicher Hinweis dafür, dass die Justiz auch nicht mehr an Kulac’ Schuld glaubt. Mindestens 15 Entlastungszeugen will Euler in den Akten gefunden haben. Ziel des Wiederaufnahmeantrags ist ein Freispruch. Der würde nicht nur Kulac’ Rehabilitation bedeuten, sondern auch, dass der wahre Mörder oder Entführer von Peggy Knobloch womöglich immer noch frei herumläuft.

    Eine Spur führt zu einem verurteilten Straftäter

    Schließlich ist da noch die Spur nach Halle in Sachsen-Anhalt. Ein enger Freund von Peggys Familie aus dieser Stadt stand schon im Jahr 2001 im Visier der Ermittler. „Er war verschossen in Peggy, aber sie nicht in ihn“, will Journalist Lemmer herausgefunden haben. Doch man konnte dem Mann offenkundig nichts nachweisen.

    Hat sich das nun geändert? Er gilt inzwischen als Tatverdächtiger, sein Elternhaus wurde vor einigen Wochen durchsucht. Weitere Details will Oberstaatsanwalt Potzel nicht nennen. Für Rechtsanwalt Euler ein Hinweis, dass die Spuren zwar „relativ konkret“ seien, aber offenkundig nicht ausreichten, um den Verdächtigen zu überführen.

    Der Mann sitzt übrigens derzeit im Gefängnis. Er wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt – wegen sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter. (mit dpa)

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