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Bayreuth: Überraschung im Mordfall Peggy: Haftbefehl gegen 41-Jährigen erlassen

Bayreuth

Überraschung im Mordfall Peggy: Haftbefehl gegen 41-Jährigen erlassen

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    Im Mordfall Peggy soll es eine Festnahme geben. Details dazu sind noch nicht bekannt.
    Im Mordfall Peggy soll es eine Festnahme geben. Details dazu sind noch nicht bekannt. Foto: David-Wolfgang Ebener, dpa (Archiv)

    Überraschende Wende in einem der mysteriösesten Mordfälle Deutschlands: Weil er 2001 in Oberfranken das neunjährige Mädchen Peggy umgebracht haben soll, sitzt ein 41 Jahre alter Mann aus dem Landkreis Wunsiedel seit Dienstag in Untersuchungshaft. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft in Bayreuth mitteilten, bestreite er den Tatvorwurf, dennoch bestehe „ein dringender Tatverdacht“.

    Der Verdächtige ist ein Sandkastenfreund von Ulvi K. Der geistig behinderte Mann war 2004 für den Mord an Peggy verurteilt, zehn Jahre später aber wieder freigelassen worden. Im Herbst 2018 geriet der jetzt verhaftete Manuel S. ins Visier der Ermittler. Er gab daraufhin zu, die Leiche des Mädchens 2001 weggeschafft und versteckt zu haben. Diese Tat war zum Zeitpunkt des Geständnisses aber bereits verjährt.

    Die Ermittler stießen im Mordfall Peggy auf Ungereimtheiten

    Die Ermittlungen gingen jedoch weiter. Man habe „die damaligen Angaben des Beschuldigten sorgfältig überprüft sowie die bei den Durchsuchungen sichergestellten Beweismittel ausgewertet“, erklärte am Dienstag der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel. Dabei stießen die Ermittler offenbar auf Ungereimtheiten. Wesentliche Angaben des Beschuldigten seien „nicht mit den weiteren Ermittlungsergebnissen in Einklang zu bringen“. Vielmehr ergab sich ein dringender Tatverdacht gegen den 41-Jährigen.

    Die Schlussfolgerung der Ermittler: Möglicherweise war der Mann selbst „Täter oder Mittäter“ und hat dann den leblosen Körper der neunjährigen Peggy in einem Wald in Thüringen versteckt. Offenbar halten die Polizisten und Staatsanwälte einen vorangegangenen Missbrauch des neunjährigen Opfers für denkbar, denn sie schreiben: „Es steht im Raum, dass mit der Tötung eine zuvor begangene Straftat verdeckt werden sollte.“

    Peggys Leiche wurde erst 15 Jahre nach ihren Verschwinden gefunden

    Peggy war am 7. Mai 2001 auf dem Heimweg von der Schule verschwunden. Erst gut 15 Jahre später – Anfang Juli 2016 – fand ein Pilzsammler Teile ihres Skeletts in einem Wald bei Rodacherbrunn im Saale-Orla-Kreis – knapp 20 Kilometer von Peggys Heimatort Lichtenberg im oberfränkischen Landkreis Hof entfernt.

    Vor drei Monaten hatte der 41-Jährige in einer Vernehmung zugegeben, dass er Peggy im Mai 2001 mit seinem Auto in den Wald gebracht hatte. Er bestritt jedoch, das Mädchen getötet zu haben. Er habe das leblose Kind damals von einem Bekannten an einer Bushaltestelle übernommen. Er habe noch versucht, die Neunjährige zu beatmen – sie dann jedoch in eine Decke gepackt und in den Kofferraum seines Autos gelegt. Den Schulranzen und die Jacke von Peggy will der 41-Jährige Tage später bei sich zu Hause verbrannt haben.

    An den sterblichen Überresten des Mädchens entdeckte eine forensische Palynologin (Pollenkunde) Bestandteile von Torf. Hier ergab sich ein Bezug zu Pflanzarbeiten des Mannes am Tattag, die den Ermittlern bereits bekannt waren. Weitere gesicherte Mikropartikel stellten sich als Farbreste dar, wie sie bei Renovierungsarbeiten anfallen können. Den Ermittlern zufolge soll der jetzt Beschuldigte damals umfangreiche Renovierungsarbeiten ausgeführt haben.

    Der Fall Peggy - eine Chronologie

    7. Mai 2001: Auf dem Heimweg von der Schule verschwindet die neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg. Wochenlange Suchaktionen bleiben ohne Erfolg.

    August 2001: Die Polizei nimmt den geistig behinderten Ulvi K. fest. Er gibt an, sich an Peggy und drei weiteren Kindern sexuell vergangen zu haben.

    22. Oktober 2002: Die Ermittler präsentieren den 24-jährigen Tatverdächtigen als mutmaßlichen Mörder der Schülerin.

    7. Oktober 2003: Vor dem Landgericht Hof beginnt der Prozess. Nach nur fünf von 16 geplanten Verhandlungstagen platzt der Prozess wegen fehlerhafter Besetzung der Strafkammer.

    November 2003: Der Mordprozess beginnt erneut.

    30. April 2004: Ulvi K. wird wegen Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Strafe tritt er niemals an. Stattdessen wird er wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in der forensischen Psychiatrie untergebracht. Peggys Leiche bleibt indes verschwunden.

    17. September 2010: Ein wichtiger Belastungszeuge widerruft seine Aussage und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden.

    4. April 2013: Der Anwalt des geistig behinderten Mannes beantragt die Wiederaufnahme des Falls. Er sagt, sein Mandant könne die Tat nicht begangen haben.

    April 2013: Ebenfalls im April 2013 beginnt die Polizei, wieder nach der Leiche des Mädchens zu suchen. Entdeckte Knochenteile stammen aber nicht von Peggy.

    Dezember 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Ulvi K. an. Ein Belastungszeuge hatte eingeräumt, falsch ausgesagt zu haben.

    8. Januar 2014: Auf dem Friedhof Lichtenberg öffnen die Ermittler ein Grab. Sie vermuten, dass bei einer Beerdigung 2001 Peggys Leiche dort abgelegt wurde. Doch sie finden keine Hinweise.

    10. April 2014: Auf Anordnung des Landgerichts Bayreuth beginnt das Wiederaufnahmeverfahren. Ulvi K. bestreitet, Peggy getötet zu haben.

    7. Mai 2014: Das Gericht beendet das Verfahren aus Mangel an Beweisen. Eine Woche später gibt es einen Freispruch für den geistig behinderten Mann. Er bleibt aber weiter in der Psychiatrie untergebracht.

    18. Februar 2015: Die Staatsanwaltschaft Bayreuth stellt ihre Ermittlungen ein. Ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wird aber aufrechterhalten, um mögliche Spuren weiterzuverfolgen.

    19. März 2015: Das Oberlandesgericht Bamberg entscheidet, dass der ursprünglich verurteilte Mann aus der Psychiatrie entlassen werden soll.

    16. Juni 2015: Ein ehemaliger Verdächtiger im Fall Peggy wird in einem anderen Fall wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt. Im Fall Peggy gilt er nicht mehr als tatverdächtig.

    Mai 2016: Ein im Fall Peggy ehemals verdächtigter Mann fordert Schadenersatz von mehr als 20.000 Euro. Ermittler hatten 2013 auf der Suche nach dem verschwundenen Mädchen sein Grundstück in Lichtenberg metertief durchsuchen lassen. Die Ermittler hatten dabei zwar Knochenreste gefunden. Sie stammten aber nicht von Peggy.

    2. Juli 2016: Ein Pilzsammler findet in einem Wald im thüringischen Landkreis Saale-Orla Skelettreste.

    4. Juli 2016: Polizei und Staatsanwaltschaft teilen mit, dass die Knochen «höchstwahrscheinlich» von Peggy stammen. Dies hätten erste rechtsmedizinische Untersuchungen und Erkenntnisse am Fundort ergeben.

    13. Oktober 2016: Das Polizeipräsidium Oberfranken und die Staatsanwaltschaft Bayreuth teilen mit, dass am Fundort des Skeletts des Mädchens DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt gefunden worden.

    8. März 2017: Der Verdacht einer neuen Ermittlerpanne im Mordfall Peggy hat sich bestätigt: Das in der Nähe der Leiche des neunjährigen Mädchens gefundene DNA-Material des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt wurde von der Polizei versehentlich selbst an den Tatort gebracht, wie Polizei und Staatsanwaltschaft in Bayreuth mitteilten. Bei der Spurensicherung wurde das gleiche Werkzeug verwendet wie nach Böhnhardts Tod 2011. Beide Fälle haben nichts miteinander zu tun. So etwas »darf nicht passieren», sagte der Leiter der Sonderkommission Peggy, Uwe Ebner.

    12. September 2018: Die Polizei durchsucht mehrere Anwesen eines 41 Jahre alten Beschuldigten. Der Mann zählte schon früher zum «relevanten Personenkreis» im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Peggy. Nach der Vernehmung kommt er wieder auf freien Fuß.

    21. September 2018: Die Ermittler geben bekannt, dass der 41-Jährige gestanden hat, das tote Mädchen in den Wald an der bayerisch-thüringischen Grenze gebracht zu haben, wo später die Knochen gefunden wurden. Ein anderer Mann habe ihm den leblosen Körper am Tag des Verschwindens an einer Bushaltestelle übergeben.

    11. Dezember 2018: Die Polizei Oberfranken meldet eine Festnahme in dem Fall, ohne zunächst weitere Details zu nennen.

    Ende Dezember 2018: Der Verdächtigte kommt wieder auf freien Fuß. Das Amtsgericht hebt den Haftbefehl gegen den 41-Jährigen auf.

    22. Oktober 2020: Die Ermittlungen im Fall Peggy werden eingestellt. Der Fall ist seitdem ein "cold case".

    April 2022: Knapp 21 Jahre nach dem Verschwinden des jungen Mädchens werden ihre sterblichen Überreste in Lichtenberg beigesetzt.

    Bürger aus Lichtenberg warfen den Ermittlungsbehörden gravierende Fehler vor

    Weiter erzeugte die Sichtung von Videoaufzeichnungen aus der damaligen Sparkassenfiliale erhebliche Zweifel am Alibi des Mannes. Er war entgegen seiner Angaben am Nachmittag des 7. Mai 2001 mit seinem Fahrzeug in Lichtenberg unterwegs. Die Ermittler konnten seinen goldfarbenen Audi 80 trotz der langen Zeit ausfindig machen und auf Spuren untersuchen.

    Im Lauf der Jahre gab es im Fall Peggy bereits mehrere Verdächtige, doch viele Spuren liefen ins Leere. 2016 wurde bekannt, dass die Ermittler am Fundort von Peggys Skelett DNA des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt fanden. Das stellte sich später aber als Verunreinigung eines Geräts der Spurensicherung heraus.

    Im vergangenen Jahr hatte sich eine Gruppe von Bürgern aus Lichtenberg an die Öffentlichkeit gewandt. Die elf Unterzeichner warfen den Ermittlungsbehörden gravierende Fehler und Schlamperei vor. Sie sprachen von einem „Polizei- und Justizskandal“ und einseitigen Ermittlungen. Viele Hinweise aus der Bevölkerung seien ignoriert worden und Zeugenaussagen aus den Akten verschwunden. Unter den Unterzeichnern waren auch Bürgermeister Holger Knüppel und mehrere Stadträte.

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