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Foto: Kira Hofmann, dpa (Symbolbild)
Foto: Kira Hofmann, dpa (Symbolbild)

Maske auf: Das Coronavirus breitet sich weiterhin rasch aus. Doch es gibt viele Verschwörungstheorien.

Pandemie
03.11.2020

Was tun, wenn die Mutter plötzlich Corona-Leugnerin ist?

Von Björn Kohlhepp

Ein Unterfranke berichtet, wie seine Mutter zur Verschwörungstheoretikerin wurde. Wie sollen sich Angehörige verhalten? Ratschläge von Psychologe Markus Appel.

In der Corona-Pandemie verbreiten Menschen, von denen man es vorher nicht gedacht hätte, plötzlich die wildesten Verschwörungstheorien und Fake News. Das erlebt gerade auch ein junger Mann aus Unterfranken. Seine Mutter wurde zur Coronaleugnerin und teilt mit großem Eifer öffentlich etwa Videos des HNO-Arztes Bodo Schiffmann, der behauptet, dass Kinder durch das Tragen von Masken sterben würden. Sie, die im Rentenalter ist und dem grünen Milieu nahe steht, postet Inhalte der rechtspopulistischen FPÖ und des russischen Propagandasenders RT Deutsch. Sie hinterfrage solche Dinge gar nicht, sagt ihr Sohn. "Ich bin besorgt."

Psychologe: Verschwörungstheorien muss man widersprechen

Wie soll man mit Angehörigen oder Bekannten umgehen, die im Sumpf der Verschwörungstheorien feststecken? Professor Markus Appel, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Uni Würzburg, sagt, dass man Verschwörungstheorien unbedingt widersprechen sollte, gerade in sozialen Medien. Auch damit andere, die mitlesen, nicht den Eindruck bekämen, es gebe keine andere Meinung. Gegenüber Angehörigen oder Freunden sollte Kritik im Idealfall sachgerecht und wertschätzend sein, so der Psychologe, da hier eine Beziehung auf dem Spiel stehe. Er hält es für sinnvoll, mit Fragen die Plausibilität von Behauptungen zu hinterfragen - damit vielleicht irgendwann dem Verschwörungstheoretiker selbst Zweifel kommen.

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Foto: Fotostudio Balserei
Foto: Fotostudio Balserei

Professor Markus Appel, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Uni Würzburg.

Verschwörungsglaube könne etwas Messianisches haben - und verbunden sein mit dem unbedingten Willen, andere von seiner "Wahrheit" zu überzeugen. Appel erklärt dies so: Wenn Angehörige oder Freunde auch daran glaubten, wäre die Harmonie ja wieder hergestellt. Stoße man einen nahestehenden Verschwörungsanhänger aber vor den Kopf, wende er sich vielleicht ab und die Rückkehr zur Normalität werde immer schwieriger. Wer seine ehrliche Meinung zu verschwörungstheoretischen Beiträgen äußert, helfe vielleicht nicht dem Verschwörungsgläubigen - aber womöglich der Beziehung zu ihm. Denn den Mund zu halten, könne das Verhältnis auch belasten.

Wie wird man zum Verschwörungstheoretiker in der Corona-Pandemie?

Vor Corona habe seine Mutter keinen Verschwörungstheorien angehangen, sagt der junge Unterfranke, der anonym bleiben möchte. Warum sie jetzt zur Coronaleugnerin wurde? Sie glaube an alternative Heilmethoden, sagt der Sohn. Sie lehne Impfungen ab und habe einen Hang zur Esoterik hat. Markus Appel sieht einen "ganz starken Zusammenhang" zwischen dem Ablehnen von Impfungen und dem Leugnen von Corona. Impfgegner hätten schon immer ein anderes Weltbild und bildeten sich ein, es besser zu wissen als Experten: "Wenn man der Schulmedizin nicht vertraut, ist es naheliegend, dass man ihr auch in der Coronazeit nicht vertraut."

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Dass seine allein lebende Mutter zur Coronaleugnerin würde, sei anfangs noch nicht ausgemacht gewesen, sagt ihr Sohn. Im Gegenteil: Im Januar, als Corona noch kein großes Thema war, habe sie ihm ein Video geschickt, das vor dem Virus warnte. Die Regierung in China versuche das Thema kleinzuhalten, aber es sei viel schlimmer als bekannt. Durch Videos des Mediziners Wolfgang Wodarg, der SARS-CoV-2 für nicht sonderlich gefährlich hält, habe sie ihre Meinung zu Corona geändert. Da sei es losgegangen, sei regelrecht da hineingesogen worden.

Auf Facebook habe sie langsam angefangen, dann wurden es vier, fünf Posts oder mehr am Tag. Woher sie die Sachen hat? "Viel Whatsapp, viel Facebook-Gruppen, Youtube, Telegram", sagt ihr Sohn. Telegram ist so etwas wie der Haus-Messenger für Kritiker der Coronamaßnahmen geworden. Er sei interessehalber einer Facebook-Gruppe beigetreten, in der seine Mutter ist: "Die überbieten sich gegenseitig mit Geschichten und Bildchen", so seine Erfahrung. Dafür gebe es dann Applaus in Form von Likes. "Das ist wie eine Sucht."

Soziale Medien sorgen für die Verbreitung von Verschwörungstheorien

Auch Kommunikationspsychologe Markus  Appel betont die Rolle von sozialen Netzwerken bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien. Für jede auch noch so abwegige und objektiv unbegründete These erhalte man Zuspruch. Beiträge, die die eigene Meinung untermauern, prüfe man generell weniger kritisch auf ihre Glaubwürdigkeit – bei Verschwörungsgläubigen sei das noch stärker ausgeprägt.

Wohl "stundenlang" suche seine Mutter täglich im Internet nach Informationen zu Corona. Sie schicke ihm manchmal Videos, die ein, zwei Stunden lang sind, sagt der Sohn. Was genau sie glaube, ist ihm nicht klar. Sie sei offensichtlich gegen Masken und zweifle deren Nutzen an. Manchmal scheint es ihm, als glaube sie, Corona gebe es gar nicht. "Mal so, mal so." Wenn sie überhaupt auf Einwände ihres Sohnes reagiere, sage sie, das sei eben "Meinungsfreiheit". Er solle sie nicht behandeln wie ein kleines Kind.
 

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Auf Anfrage der Mainpost sagt die Mutter: "Jeder darf doch seine Meinung haben." Was glaubt sie in Sachen Coronavirus? Wo informiert sie sich? Woher kommt ihr starkes Mitteilungsbedürfnis zur angeblichen Corona-Verschwörung? Gegenüber der Mainpost möchte sich die Frau dazu nicht äußern. Das Telefonat ist nach kurzer Zeit beendet.

Die Leute, die die Beiträge auf dem öffentlichen Facebook-Profil seiner Mutter mit Likes versehen, kenne er nicht, sagt ihr Sohn. Bekannte würden ihr eher widersprechen. Er frage sich, wohin das alles noch führe. Was kommt nach Corona? Wendet sie sich dann anderen Verschwörungstheorien zu?

"Verschwörungsmentalität": Corona-Theorien verbreiten sich über das Internet


Die Gefahr sieht der Würzburger Experte Markus Appel durchaus. Er spricht von "Verschwörungsmentalität": "Wer an eine Verschwörungstheorie glaubt, der glaubt auch an andere." Über das Internet komme ein Verschwörungstheoretiker auch mit weiteren Verschwörungstheorien in Kontakt. Die Skepsis gegenüber Medien und Experten bildeten die Grundlage, diese dann auch zu glauben. Als Ausweg daraus sieht der Psychologe vor allem das soziale Umfeld. Vielleicht sehe ein Verschwörungstheoretiker ein, dass echte Freunde wichtiger sind als virtuelle.

Appels Sorge: Dass sich die Coronaleugner durch den Zuspruch im Internet radikalisieren könnten. Fake News und Verschwörungstheorien seien derzeit überwiegend im rechten Spektrum angesiedelt, so seine Beobachtung. Die Demokratiefeindlichkeit etwa auf den Corona-Demos wertet er nicht als konservativ, sondern bereits als rechtsradikal. Das Leugnen von offensichtlichen rechtsradikalen Elementen auf solchen Demonstrationen sei "eine Mischung aus Ignoranz und Schutzbehauptung".
 


Appel betont die wichtige Rolle der Medien: "Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man Verschwörungstheorien einfach im Raum stehen lässt." Es müsse "konstant aufgeklärt werden". Wichtig sei, die Zahl der Verschwörungsanhänger nicht zu überschätzen: "Die Leute, die das glauben, gehören einer Minderheit an, die irregeleitete Thesen verbreiten."

Das Verhältnis zu seiner Mutter, die zur Coronaleugnerin wurde, sei nach wie vor gut, sagt der junge Mann. Er versuche, das Thema zu vermeiden. Doch irgendwann komme die Sprache immer darauf. "Ich höre dann zu und sage gar nichts, weil das einfach nichts bringt." Es mache ihm mache Mut, dass sie sagt, sie glaube weiterhin an die Demokratie. Auch wenn das, was sie auf Facebook teilt, dem manchmal widersprechen.

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