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Ortsnamenbuch: Ein neues Lexikon erklärt die Herkunft schwäbischer Ortsnamen

Ortsnamenbuch

Ein neues Lexikon erklärt die Herkunft schwäbischer Ortsnamen

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    Was hat Füssen mit Füßen zu tun? Drei Jahre lang sind Forscher den Ursprüngen von Ortsnamen in Bayerisch-Schwaben nachgegangen.
    Was hat Füssen mit Füßen zu tun? Drei Jahre lang sind Forscher den Ursprüngen von Ortsnamen in Bayerisch-Schwaben nachgegangen. Foto: Wild, Frey, IZ

    Zum Beispiel Herpfenried im Landkreis Augsburg. Wieso heißt das so? Oder Frechholzhausen bei Affing? Ist das Holz hier besonders frech? Und Kissing? Ist das ein Ort zum Küssen, wie eine amerikanische Besucherin mal lachend annahm? Jedesheim bei Illertissen – kann da jedes und jeder daheim sein? Gefällmühle im Oberallgäu, ist dieser Ort besonders gefällig und angenehm?

    In Nordschwaben "-ingen" und "-ried", in Südschwaben "-heim"

    Wo man lebt, da lebt man eben und fragt sich selten, wieso der Ort so heißt, wie er heißt. Sollte man aber, denn die Namen von Weilern, Dörfern und Städten können viel erzählen – von mittelalterlicher Siedlungs- und Herrschaftsgeschichte, von Personen, die ohne die Verbindung ihres Namens mit einem Ort längst im Dunkel der Geschichte verschwunden wären. Ortsnamen haben einen hohen Erkenntniswert, weiß Professor Ferdinand Kramer, Historiker und Vorsitzender der Kommission für Bayerische Landesgeschichte (KBL) an der Akademie der Wissenschaften, die die Ortsnamenforschung fördert.

    Man erkennt an den Namen von Ortschaften die Gestaltung von Landschaft und die Lebensumstände der Bevölkerung, man lernt sprachliche Muster kennen, die aus dem alemannischen, keltischen oder römischen Kulturkreis stammen und damit auch Muster von kollektiver Identität bilden, sagt Kramer. So weiß man, dass in Nordschwaben frühmittelalterliche Ortsnamen gern auf -ingen (Dillingen, Nördlingen) oder -heim (Achsheim, Sontheim) endeten. Das gibt es im Süden Schwabens nur entlang der Flusstäler der Iller oder der Günz, ansonsten trifft man auf hier auf etwas jüngere, also spätmittelalterliche Namen mit der Endung -ried. Überall in Schwaben enden viele Ortsnamen auf -hausen oder -hofen, außerdem reichen manche Namen auf die Antike zurück: Kempten auf die Kelten, Augsburg (Augusta) oder Pfronten auf die Römer.

    Wohnte einst jeder in Jedesheim? Drei Jahre lang sind Forscher den Ursprüngen von Ortsnamen in Bayerisch-Schwaben nachgegangen.
    Wohnte einst jeder in Jedesheim? Drei Jahre lang sind Forscher den Ursprüngen von Ortsnamen in Bayerisch-Schwaben nachgegangen. Foto: Wild, Frey, IZ

    Bleiben wir beim Ried, bei unserem Beispiel Herpfenried: Eine Siedlung mit -ried am Ende deutet auf eine sumpfige oder eine gerodete Gegend hin. Und Herpfen – das kann einen Namen meinen, den mittelalterlichen „Herpho“, oder aber auch das Adjektiv „erph“ für dunkelfarbig. Dann wäre Herpfenried also entweder die Siedlung im Ried des Herpho oder aber die Siedlung im dunklen Ried. Schauen wir weiter: Kissing heißt schlicht: bei den Leuten des Kiso. Das ist ebenso einfach wie Füssen – zu Füßen der Berge. Überraschend wird es bei Jedesheim: Der Name meint die Heimstatt eines gewissen Eodunc. Gefällmühle wiederum hat nichts mit gefällig zu tun, sondern steilem, unwegsamem Gelände.

    Seit drei Jahren haben Wissenschaftler an der Erforschung der Ortsnamen von Bayerisch-Schwaben gearbeitet; im vergangenen Jahr kamen zwei neue Bände der Reihe „Historisches Ortsnamenbuch“ heraus – über Augsburg von Hans-Peter Eckart und über Nördlingen von Peter Eigenmann. Eine unglaubliche Fleißarbeit, die eine Unmenge von Daten seit dem Mittelalter versammelt und auch viel mit Dialektforschung zu tun hat. Man muss allerdings nicht die dicken Bücher wälzen, um den Namen des eigenen Wohnorts zu entschlüsseln oder sich auf die Spur besonders interessanter Ortsbezeichnungen zu machen, die einem vielleicht mal auf Reisen aufgefallen sind. Sondern man kann einfach auf die Internet-Plattform der Kommission für Bayerische Landesgeschichte gehen.

    Wie wird ein schwäbischer Ortsname richtig ausgesprochen?

    Denn so wie in diesem Coronajahr überall die Digitalisierung voranschreitet, so kommt sie natürlich auch in der Wissenschaft, und da sogar im einem Spezialgebiet der Landesgeschichte voran. Und siehe da: Was bisher als reichlich trockene Angelegenheit galt, das wird auf einmal schnell greifbar und sinnlich erlebbar. Die Forscher haben nämlich zu Beschreibung und Erklärung der Ortsnamen, zur Auflistung der historischen Schreibformen seit dem Mittelalter und zur Bedeutungserklärung anhand einzelner Namens-Bestandteile nun ein sprechendes Lexikon hinzugefügt. Die lokale Aussprache wird in Lautschrift dargestellt und in kleinen Audio-Dateien, wo Frauen und Männer – Professor Kramer nennt sie „kompetente ältere Dialektsprecher“ – die Ortsnamen aussprechen.

    Kommt Kissing wirklich von Küssen? Drei Jahre lang sind Forscher den Ursprüngen von Ortsnamen in Bayerisch-Schwaben nachgegangen.
    Kommt Kissing wirklich von Küssen? Drei Jahre lang sind Forscher den Ursprüngen von Ortsnamen in Bayerisch-Schwaben nachgegangen. Foto: Wild, Frey, IZ

    Da hört man dann, dass Herpfenried eigentlich „Hearpfariad“ heißt, dass die Einöde Gefällmühle „Gfellmiela“ gesprochen wird, dass Frechholzhausen nicht nach frechem Holz klingt, sondern nach der Siedlung eines gewissen Frecholt: Der Sprecher „fahrt auf Frechatshausn nauf.“

    Noch sind nicht alle Namen aus Schwaben erfasst und erklärt, (was ist zum Beispiel mit dem lustigen „Engelbolz“ oder dem saftigen „Birngeschwend“ im Ostallgäu?), noch fehlen auch digitale Karten. Die Ortsnamenforschung geht weiter, kündigt Kramer an – und nach Schwaben folgt demnächst die Oberpfalz.

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