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Oktoberfest: Zwei Männer, zwei Wiesn

Oktoberfest

Zwei Männer, zwei Wiesn

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    Winfried Züfle weiß sich Wiesngemäß zu kleiden, Rupert Huber (li.) dagegen ist noch ein Neuling. Das zeigen Anzug und Krawatte.
    Winfried Züfle weiß sich Wiesngemäß zu kleiden, Rupert Huber (li.) dagegen ist noch ein Neuling. Das zeigen Anzug und Krawatte. Foto: Ulrich Wagner

    Im normalen Leben sind unsere beiden Wiesn-Reporter in der Zentralredaktion unserer Zeitung tätig.

    Rupert Huber, 62, betreut die Bereiche Fernsehen, Medien und Panorama. Der gebürtige Augsburger kennt Volksfeste, aber auf der Wiesn war er noch nie. Weder Dirndl noch Blasmusik konnten ihn bisher reizen und das Festbier schon gleich gar nicht.

    Winfried Züfle, 60, ist zuständig für Außenpolitik. Den Badener, der seit über 30 Jahren in Bayern lebt, zieht das Bajuwarische magisch an – in Neuschwanstein, am Königssee und auf der Kampenwand. Die Krönung aber ist für ihn alle Jahre das Oktoberfest.

    Die Wiesn: Zwei Blickwinkel

    Immer wieder zieht es mich zur Wiesn. Mal mit meiner Frau, einer echten Bayerin, mal mit Freunden, mal mit Verwandten aus den USA. Und immer ist es lustig geworden, vor allem in jenem Zelt, in dem in ganz großen Lettern „Der Himmel der Bayern“ steht.

    Dort kocht jeden Abend die Stimmung über. Im Innenraum stehen alle auf den Bänken, ausnahmslos. Du hast Tuchfühlung mit deinen Nachbarn, du singst mit Inbrunst irgendwelche schwachsinnigen Liedtexte, streckst die Hände zum Himmel, verlierst die Balance und findest sie wieder, mal schwappt Bier aus dem Krug, mal kippt ein Teller um – macht nix, grod schee is.

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    Wiesn? Das war eigentlich nie ein Thema. Sosehr ich München mag, die Gigantonomie und der Rummel um so genanntes Bayerntum gingen mir gegen den Strich. Und wenn man an schönen Herbstsamstagen frühmorgens mit Rucksack zum Bergwandern fahren wollte, blockierten Bierkästen im Zug die Gänge. Dabei gehören Volksfeste wie der Augsburger Plärrer in den Kanon schöner Ferienerinnerungen.

    Man stand an der Alaska-Bahn, weil die dort sogar Heuler wie „Mystic Eyes“ von den Them mit Van Morrison spielten. Autoskooter, die wir Puff-Autos nannten, waren unsere Lieblingsgefährte, und natürlich musste man die Wägelchen mit den Mädchen drin anbumsen. Um die Teenies hinterher zu Zuckerwatte einzuladen. Wir waren jung.

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    Jetzt also Wiesn mit Rupert, der die Weltattraktion direkt vor seiner schwäbischen Haustüre noch nie gesehen hat. Schon bei der Anfahrt ist er sich sicher: „Wir finden bestimmt keinen Platz.“ Und als wir dort sind, verblüfft er mich mit der Frage: „Wo ist eigentlich das Gras?“ Oh mei! Die Theresienwiese, ja, es wächst dort ein bisschen Gras, wenn sie das Jahr über als Parkplatz dient.

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    Erster Eindruck: Die Wiesn ist kleiner als gedacht. Das mag daran liegen, dass das Landwirtschaftsfest diesmal mehr Platz beansprucht. Oder hat der Wirbel um das kultige „Septoberfest“, wie ich es aufgrund der Terminlage nennen würde, mir die Illusion eines himmelstürmenden Ereignisses vorgespiegelt?

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    Aus meiner Sicht ist das Oktoberfest eine Nuss. Du musst die Schale knacken, um zum Kern vorzustoßen. Eben zum „Himmel der Bayern“. Doch Wiesnneulinge wollen sich erst einmal einen Überblick verschaffen. Ich, der Zugezogene, bin inzwischen ein versierter Wiesn-Führer: Im Hippodrom sind früher die Pferde gelaufen, im Schottenhamel wird angestochen, in der Bräurosl treffen sich die Schwulen ... Und dort, im Hacker-Festzelt, ist der „Himmel der Bayern“!

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    Erste Station, erste Begegnung: Eine Riege junger Chinesinnen aus Wuhan ist auf Deutschland-Tour: Begeistert sind sie vom Oktoberfest wie alle Besucher aus anderen Nationen, die wir treffen. „Wir waren auch schon in Augsburg“: Klar. Romantisch, irgendwie. Kollege Winfried und ich fragen nach der nächstgrößeren, bekannten Stadt in China. Wir ernten ein Kichern. Eigentor:

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    Leider bin ich der Einzige, den es sofort ins Zelt hineinzieht. Rupert will erst mal dies und jenes sehen. „Ja“, versuche ich ihn zu beruhigen, „Fahrgeschäfte gibt es auch, hinter den Festzelten. Aber die laufen nicht davon.“ Die Sitze im Zelt hingegen schon, bildlich gesprochen!

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    Wiesn-City: Als Erstbesucher freut man sich über die Türme der Münchner Brauereien. Die fachwerkartige Kulisse, die Fleisch- und Gemüse-Attrappen über den Eingängen der Zelte suggerieren Heimeligkeit wie in einem Disney-Film.

    Und die jungen Deandln tragen einfache hellblaue und pinkfarbene Dirndl, was die Amerikaner zu Ausrufen wie „cute“, also süß, veranlasst.

    Zweiter Eindruck: Fünf nette Niederbayerinnen aus dem Raum Straubing sind für ein Scherzfoto sofort zu haben. „ So, ihr seid’s aus Augsburg“, heißt es, „ihr steigt’s dieses Jahr doch ab.“ Abwarten.

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    Stunden später (gefühlt): Einmarsch im „Himmel der Bayern“. Der optische Eindruck: großartig. Der Himmel ist, wie er in

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    Dritter Eindruck: Was ein Schlips ausmachen kann. Bummel durch das Hacker-Festzelt. Fragt mich ein leicht angeröteter Herr mit Blick auf die Krawatte: „Wer sind denn Sie?“ Wie bitte? „Könnten Sie uns einen anderen Tisch besorgen?“ Nein, außerdem sind alle besetzt. „Und übrigens, ich bin Gast wie Sie.“

    Schnell zum Ausgang: Zwischen Herren- und Damentoilette lehnt ein angetrunkenes Pärchen knutschend an der Wand. Der Jüngling lässt seine Hand wandern, überall hin. Wegschauen und weiter. Aber warum fällt mir ausgerechnet Joachim Ringelnatz ein? Wo es heißt: „Überall ist Leben. In meiner Tante Strumpfenband und irgendwo daneben.“ Auf der Herrentoilette nebenan steht krakelig: „Kondome hier erhältlich“. Nicht verkehrt. Männer, die die Blase plagt und nicht warten wollen, stellen sich nebenan ins Gras.

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    Wir finden Asyl im Biergarten vor dem benachbarten Hofbräu-Zelt. Auch ohne Stoffdach ist der Himmel weiß und blau. Das Getränk, an dessen Verkauf der Finanzminister des Freistaats mitverdient, schmeckt. Mir jedenfalls. Oans, zwoa . . . Rupert möchte zu den Fahrgeschäften. „Geh nur“, sage ich, „ich bleibe sitzen.“ Wiesn ohne Sitzfleisch, das geht gar nicht. Den Platz, den du aufgibst, bekommst du niemals wieder.

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    Eine kräftige Amerikanerin will den Lukas hauen, aber trifft nicht. „Mama, geh hoam“, sagt ein Passant. Selber probiert er’s nicht. Feigling. Ich werde die Bilder nicht los, die die Filmgeschichte auch von der Wiesn ins Gedächtnis einzementiert hat. Karl Valentin, wer sonst, hatte auch ein ambivalentes Verhältnis zum Oktoberfest. In einem Kurzfilm vor rund 90 Jahren haut er seiner Ehefrau den Hammer auf den Kopf, damit er mit seiner Geliebten allein ist.

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    Der Biergarten füllt sich. Eine Familie aus dem US-Bundesstaat Oregon setzt sich zu uns, Eltern, zwei Söhne, die Schwiegertöchter. Der Älteste ist in Hanau geboren, der Vater war in Frankfurt stationiert. Mit 32 Jahren ist der Sohn erstmals wieder in seinem Geburtsland. Drei Wochen ist die Familie auf Europa-Trip, gestern Rom, morgen Salzburg, heute Wiesn. Als nächstes gesellen sich Burschen aus Finnland dazu.

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    In der Geisterbahn „Schocker“ wird gemeuchelt, was die Messer hergeben und eine junge Frau schwebt während eines Exorzismus überm Bett. Ich will da unbedingt hin, derweil Winfried lieber vor dem Hofbräu-Zelt mit einer Amerikaner-Finnen-Melange hocken bleibt.

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    „Singt bitte mal das Lied“, sagt die jüngste Amerikanerin. Das Lied? Welches wird denn nun der Wiesnhit? „Brenna tuats guat“ von Hubert von Goisern oder „Tage wie diese“ von den Toten Hosen? Die Lösung ist viel einfacher, die Finnen schnallen es sofort: „Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit – oans, zwoa, drei gsuffa!“ Das US-Girl filmt mit dem iPhone.

    So muss es sein auf der Wiesn. Amis, Finnen, Deutsche an einem Tisch, trinken und lachen. Wo auf der Welt gibt es noch ein Volksfest, das Menschen aus so vielen Ländern anzieht? Das ist der „Himmel der Bayern“ oder der „Himmel in

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    Schöner ist es, wenn man runterschaut von den Stufen der Bavaria und sogar eine altmodische Pony-Bahn sieht, wo nebenan der Vogelpfeifer zwitschert. Und wenn allmählich die Lichter angehen.

    Fazit: Es war vieles wie erwartet. Ob ich noch mal komme? Da schlage ich erst noch mal bei Valentin nach.

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