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Öffnungszeiten: Warum Bayern nicht am Ladenschluss rüttelt

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Warum Bayern nicht am Ladenschluss rüttelt

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    In vielen Bundesländern wurden die Öffnungszeiten der Geschäfte verlängert - in Bayern nicht.
    In vielen Bundesländern wurden die Öffnungszeiten der Geschäfte verlängert - in Bayern nicht. Foto: Silvio Wyszengrad /Archiv

    Vor zwei Jahren hatte Jakob Buchmann ein paar ziemlich stressige Wochen. Zeitungen wollten ihn sprechen, Radiosender, sogar das Fernsehen meldete sich bei ihm. Dabei hatte Buchmann doch nur einen, wie er fand, bescheidenen Wunsch: abends länger einkaufen zu können. Der 36-jährige Münchner, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, arbeitet in einer Online-Agentur, manchmal macht er um 19 Uhr Feierabend, manchmal aber auch viel später. Schnell nach der Arbeit noch Brot oder Getränke zu besorgen, das ist für ihn nicht immer leicht.

    Also hat Buchmann sich vor zwei Jahren an seinen Computer gesetzt und eine Online-Petition an den Münchner SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter gerichtet. Der Titel: „Flexible Ladenöffnungszeiten in München“. Knapp 12700 Menschen haben der Petition seitdem ihre Stimme gegeben – so viele, dass sich der Münchner Stadtrat zu dem Thema äußern muss.

    Viel passiert ist dennoch nicht. Einige Stadträte haben im Internet Stellungnahmen abgegeben, die große Mehrheit der Politiker schweigt – wohl auch, weil sie sich nicht zuständig fühlen. Das Ladenschlussgesetz ist Sache der Landesregierung. Buchmann wusste das, hatte aber gehofft, im Stadtrat auf mehr Unterstützung zu treffen. Er hat allerdings schnell gelernt, was schon viele vor ihm lernen mussten: An den Öffnungszeiten im Freistaat rüttelt so schnell keiner. „Ich habe gemerkt, dass ich da an eine große Grenze stoße“, sagt der Münchner. Es klingt nicht resigniert. Eher wie eine Feststellung.

    Ladenschluss in Bayern: Geschäfte dürfen nur bis 20 Uhr öffnen

    Und tatsächlich: Während fast alle Bundesländer die Öffnungszeiten vor zehn Jahren freigegeben haben, hält der Freistaat weiterhin am Ladenschlussgesetz von 2003 fest. Montags bis samstags dürfen Geschäfte von 6 bis 20 Uhr öffnen, bis auf einige Ausnahmen bleiben an Sonn- und Feiertagen alle Läden geschlossen – egal, ob der Kunde in München, Augsburg oder Apfeldorf einkaufen will. Ähnlich rigoros ist die Gesetzgebung nur im Saarland.

    Dabei war auch Bayern vor zehn Jahren auf dem besten Weg, die Öffnungszeiten zu liberalisieren. Der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber hatte im November 2006 offen für eine Verlängerung der Zeiten bis 22 Uhr geworben. Bei einer Abstimmung in der CSU-Landtagsfraktion kam es allerdings zu einem peinlichen Patt: 51 Abgeordnete stimmten dafür, 51 dagegen. Stoiber hätte mit seiner Stimme die Entscheidung herbeiführen können, fehlte aber bei der Abstimmung. In einer schriftlichen Mitteilung erklärte er im Anschluss, vielleicht sei der Zeitpunkt für eine „Entscheidung der Fraktion mit breiter Mehrheit noch nicht da“.

    Der Rest ist bekannt: Stoiber gab sein Amt ein Jahr später ab. Sein Nachfolger Horst Seehofer gilt als Verfechter des Ladenschlusses um 20 Uhr. Mit ihm, wiederholt er oft und gerne, werde es keine Verlängerung der Öffnungszeiten geben.

    Der Freistaat ist in der Frage auch heute noch ähnlich gespalten wie die CSU-Fraktion seinerzeit. Zwei Lager stehen sich fast unversöhnlich gegenüber: Die großen Einzelhändler auf der einen Seite, Kirche und Gewerkschaften auf der anderen.

    Große Händler hoffen auf mehr Konsum durch längere Öffnungszeiten

    Es ist ein Streit, in dem es nicht um ein paar Stunden mehr oder weniger geht, sondern um zwei verschiedene Weltanschauungen. Vor allem die großen Händler hoffen auf mehr Konsum und mehr Umsatz durch längere Öffnungszeiten. Sie fürchten die Konkurrenz des Internets und führen die Bedürfnisse ihrer Kunden ins Feld, die heute viel flexibler arbeiten würden als noch vor wenigen Jahren. Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern wünscht sich deshalb flexiblere Öffnungszeiten für die Geschäfte. „Jeder Händler sollte selbst entscheiden dürfen, wann er aufmacht“, sagt der Experte. Er glaubt nicht, dass dann plötzlich jeder Laden rund um die Uhr geöffnet ist. „Kein Geschäft wird jeden Tag bis 0 Uhr aufmachen“, betont er. Stattdessen können sich die Läden auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einstellen – und zum Beispiel in Großstädten wie München oder Augsburg bei Bedarf länger aufmachen.

    Wenn Gewerkschafter Thomas Gürlebeck Forderungen wie diese hört, wählt er harte Worte. Der Verdi-Mann spricht dann von „schmutzigem Umsatz“ und einem „Wettlauf der Besessenen“. Denn die längeren Öffnungszeiten würden auf Kosten der Angestellten gehen, die bis in die Nacht hinein an der Kasse oder im Lager stehen müssten. Die zusätzliche Arbeit, sagt er, würde viele Beschäftigte „an die Belastungsgrenze“ bringen.

    Tatsächlich haben Wissenschaftler und Mediziner schon mehrfach belegt, dass Schichtarbeit auf Dauer krank machen kann. Forscher der kanadischen Western University kamen zu dem Schluss, dass Menschen, die unregelmäßige Arbeitszeiten haben, gefährdeter sind, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu leiden. Auch Rückenschmerzen oder Diabetes werden häufig mit einem gestörten Schlafrhythmus in Verbindung gebracht.

    Der Münchner Zeitforscher Karlheinz Geißler hält die Bewegung hin zu einer 24-Stunden-Gesellschaft ebenfalls für gefährlich. „Der Mensch ist auf einen Wechsel von Aktivität und Passivität programmiert“, erläutert der Experte. Wenn der Rhythmus der Gesellschaft sich immer mehr vom menschlichen Rhythmus entferne, dann arte das für den Einzelnen in Stress aus. Denn wenn alles zur gleichen Zeit möglich sei, habe der Mensch zu viele Optionen. „Das macht das Leben nicht leichter, sondern schwerer“, betont Geißler.

    Ladenschluss: Online-Petition für längere Öffnungszeiten

    Der Wissenschaftler setzt sich deshalb für den Schutz des Sonntags ein. „Der Sonntag macht die Woche aus“, sagt er. „Ohne ihn hätten wir nur Werktage.“ In die gleiche Richtung argumentieren auch Verdi und die Kirchen. „Das Besondere ist, dass alle gemeinsam frei haben“, sagt etwa Erwin Helmer, Präses der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) und Sprecher der Betriebsseelsorge Bayern. Der Sonntag sei der Tag, an dem die meisten Menschen Freunde und Familie besuchen, Feste feiern oder in die Kirche gehen würden. „Es ist der sozialste Tag der Woche.“

    Diese freien Ruhetage sehen Helmer und Gewerkschafter Gürlebeck allerdings in Gefahr – vor allem durch die verkaufsoffenen Sonntage. Bayern gewährt wie die meisten Bundesländer jeder Kommune maximal vier Sonntage, an denen die Geschäfte geöffnet werden dürfen. 2009 hat das Bundesverfassungsgericht allerdings entschieden, dass diese Regelung nur dann gilt, wenn es einen Anlass gibt, also zum Beispiel ein Stadtfest oder einen Weihnachtsmarkt. Dem Handel ist das nicht genug. Karstadt-Chef Stephan Fanderl forderte bei einem Kongress jüngst zwölf verkaufsfreie Sonntage. Der bayerische Handel gibt sich bescheidener: Ihm würden die bereits erlaubten vier Sonntage reichen, sagt Handelsverbands-Experte Ohlmann. Er spricht sich aber auch hier für mehr Flexibilität aus: Geschäfte sollten auch bei Firmenjubiläen oder nach einer langen Baustellenphase sonntags öffnen dürfen.

    Der Gewerkschaft Verdi und den Kirchen geht das zu weit. Sie fordern sogar weniger verkaufsoffene Sonntage als bisher – und bekommen in ihrem Kampf jetzt auch juristische Rückendeckung. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem vergangenen Jahr und mehrere ähnliche Urteile der Landesgerichte machen es für Städte komplizierter, sonntags zu öffnen. Die Kommunen müssen nachweisen, dass es der Anlass ist, der die Menschen in die Innenstädte treibt – und nicht die Lust am Konsum. Das ist in der Praxis aber schwer. Denn in vielen Städten wurden bisher auch eher unbedeutende Feste oder Jahrestage als Anlass hergenommen. Gewerkschafter Gürlebeck geht davon aus, dass auch in der Region viele verkaufsoffene Sonntage verfassungswidrig sind.

    Jakob Buchmann, der Mann hinter der Online-Petition für längere Öffnungszeiten, will am freien Sonntag gar nicht unbedingt rühren. Ihm geht es vor allem um die längeren Öffnungszeiten am Abend, um die Zeit zum Einkaufen. „Einfach ein bisschen mehr Flexibilität“, sagt der 36-Jährige. „Da wäre vielen schon geholfen.“

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