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Obereichstätt kämpft: Tausendfüßler belagern ein Dorf

Obereichstätt kämpft

Tausendfüßler belagern ein Dorf

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    Tausendfüßler belagern ein Dorf
    Tausendfüßler belagern ein Dorf Foto: gb/jan

    Obereichstätt (dpa/lby) - Es ist der Stoff aus dem Horrorfilme gemacht sind: Sobald die Sonne hinter den Hügeln verschwunden ist, fallen Millionen kleiner Tausendfüßler über ein kleines Dorf her. Sie kriechen die Hauswände hoch, in jede noch so kleine Spalte, immer dem Licht hinterher.

    Mit ihnen kommt der Gestank - ein Gestank, der oft noch Stunden später an die ungebetenen Besucher erinnert. Im 700- Seelen-Örtchen Obereichstätt (Lkr. Eichstätt) wird dies jeden Herbst Realität. Jetzt haben die Bewohner den Tausendfüßlern den Krieg erklärt.

    Eine rund 30 Zentimeter hohe Blechmauer soll Obereichstätt, einen Ortsteil des oberbayerischen Dollnstein, vor der nächtlichen Invasion der Krabbeltiere schützen. Im Wechsel patrouillieren die Anwohner einmal pro Tag entlang der fast 200 Meter langen Tausendfüßler- Barriere und sammeln die lästigen Tierchen ein. Nachts bleibt es in Obereichstätt dann dunkel. "Dieser Ortsteil ist momentan absolut Straßenlampenfrei", sagt Bürgermeister Hans Harrer. Kein unnötiger Lichtschein soll die Tausendfüßler anlocken.

    Seit mehreren Jahren schon werden die Obereichstätter im Herbst, manchmal auch im Frühjahr, von ihnen heimgesucht. Die rund drei Zentimeter langen Tierchen, im Wissenschaftsjargon "Megaphyllum unilineatum" genannt, kommen aus den brach liegenden Feldern im Westen des Dorfes. Allnächtlich belagern sie alles, was beleuchtet ist: Mauern, Gärten, sogar ganze Häuser. Bei Morgengrauen sind sie dann wieder weg.

    Ihren bisherigen Höhepunkt erreichten die nächtlichen Tausendfüßler-Überfälle im vergangenen Jahr: "Das war wie im Horrorfilm", sagt Bernhard Koderer. Der 45-Jährige wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern am Ortsrand von Obereichstätt. Die Straße zu seinem Haus war 2006 mit den schwarz schimmernden Tausendfüßlern bedeckt. "Man hat keinen Weg gefunden, ohne dass man auf so ein Viech draufsteigt", sagt Koderer. "Das hat nur so geknackt unter den Schuhsohlen." Der Geruch, der in der Luft lag, sei "unbeschreiblich penetrant" gewesen.

    Schuld sind die Wehrdrüsen der Tausendfüßler. In Gefahrensituationen sondern sie Benzochinon ab - einen giftigen Stoff, der wie verbranntes Plastik riecht. Es ist auch der Grund, warum die Tiere fast keine natürlichen Feinde haben. Tausendfüßler gehören zu den ältesten Lebewesen der Erde. Weltweit gibt es derzeit mehr als 10 000 verschiedene Arten. Die in Deutschland heimischen Exemplare ernähren sich vor allem von verrottenden Pflanzen, weshalb sie eigentlich gern gesehene Helfer im Komposthaufen sind. Schon früher wurden sie allerdings gelegentlich zur Plage: 1900 mussten im Elsass ganze Züge gestoppt werden, weil Tausendfüßler die Gleise belagert hatten und die Lokomotiven auf den Schienen keinen Halt mehr fanden.

    In den vergangenen Jahren litten neben Obereichstätt auch Orte in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und dem österreichischen Vorarlberg unter massenhaft auftretenden Tausendfüßlern. Die Gründe dafür sind bislang weitgehend unbekannt. Milde Winter, warme Sommer und günstige Bodenverhältnisse könnten eine Erklärung sein, sagt der Dachauer Tausendfüßler-Experte Jörg Spelda. Ihn beauftragte die Gemeinde Dollnstein um das Obereichstätter Tausendfüßler-Problem zu lösen. "Warum sie sich genau dort so extrem ausbreiten und an anderen Orten mit ähnlichen Verhältnissen nicht, lässt sich aber nicht sicher sagen", erklärt Spelda. Es bleibe ein Naturphänomen.

    Um den wirbellosen Krabblern dennoch Herr zu werden, empfahl er den Bau der Tausendfüßler-Mauer. Die Tiere mit Chemikalien zu bekämpfen sei in Obereichstätt nicht in Frage gekommen, da die Felder in einem Wasserschutzgebiet liegen. "Man müsste so große Mengen an Gift ausbringen, dass dadurch auch die ganze andere Umwelt geschädigt würde", erklärt Spelda.

    Die Kosten für den Tausendfüßlerschutz, insgesamt rund 6000 Euro, teilt sich die Gemeinde mit dem örtlichen Wasserzweckverband - für Bürgermeister Harrer schon jetzt eine lohnende Investition: "So wie es bisher aussieht, haben wir das Problem damit gelöst." Im November wäre der Spuk ohnehin vorbei gewesen, denn mit dem ersten Frost hatte die Plage bisher noch immer ein Ende.

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