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Oberbayern: Kampf ums Wasser: 100-Seelen-Weiler verklagt den Freistaat

Oberbayern

Kampf ums Wasser: 100-Seelen-Weiler verklagt den Freistaat

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    Aus tausenden Quellen und Brunnen kommt das Trinkwasser in die bayerischen Haushalte – und fließt aus dem Hahn ins Glas.
    Aus tausenden Quellen und Brunnen kommt das Trinkwasser in die bayerischen Haushalte – und fließt aus dem Hahn ins Glas. Foto: Alexander Kaya (Symbol)

    Da steht nun also diese kleine Holzhütte. Ein eiskalter Frühlingswind pfeift über die Wiese, lässt das matt-grüne Gras zittern. Die Szenerie passt: Denn stürmisch geht es derzeit in der Tat zu, hier, im 100-Seelen-Weiler Riesen. Und das hat mit genau dieser Holzhütte zu tun. Oder besser gesagt: Mit dem, was sich im Inneren befindet.

    Bernhard Jott Keller sperrt das zierliche Türchen auf. Dann geht er hinein und öffnet einen Schachtdeckel am Boden. „Dort unten, in etwa 3,50 Metern Tiefe, liegt die Quelle“, sagt er. Wegen dieser Quelle gibt es Ärger. Und der ist so groß, dass ein Verein im winzigen Riesen den großen Freistaat Bayern verklagt. Es könnte ein Präzedenzfall werden, der Auswirkungen auf das ganze Land hat.

    Aber von Anfang an: In den 80er Jahren finden sich einige Bürger zusammen, die in Riesen, das zur Gemeinde Steingaden im Landkreis Weilheim-Schongau gehört, die Wasserversorgung übernehmen wollen. „Es ging uns um eine größtmögliche Unabhängigkeit von den Behörden“, erzählt Jott Keller. 1991 wird der „Verein für sauberes Wasser“ gegründet, Schutzzonen werden eingerichtet, auf denen Landwirte nicht düngen dürfen. Dafür bekommen sie eine Entschädigung. „Wir haben das alles sehr autark organisiert“, sagt Jott Keller, einer von zwei Vorsitzenden des Vereins. „Aber die Behörden hatten uns von Anfang an im Visier.“

    Ein Test auf Stoffe, die gar nicht vorkommen können

    Jott Keller sitzt in seinem Wohnzimmer in einem alten Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert, als er die Geschichte erzählt. Vor ihm liegen mehrere Ordner. Insgesamt sind es rund 1000 Seiten, die er abgeheftet hat. Dann stellt er ein Glas Wasser auf den Tisch und sagt: „Probieren Sie! Unser Wasser ist hervorragend.“ Genau darum geht es: Um die Qualität des Wassers und die Frage, wie aufwendig es überprüft werden muss. Seit 2014 konnte der Verein mit Hilfe eines Sachverständigen einzelne Schadstoff-Parameter vom Untersuchungsumfang ausschließen. Das Landratsamt war einverstanden. Plötzlich geht das aber nicht mehr. „Wir müssen jetzt das Wasser wieder auf alle Stoffe untersuchen lassen – auch auf solche, die gar nicht vorkommen können“, klagt Jott Keller. Die ganze Sache sei kompletter Unfug.

    Bernhard Jott Keller will sich nicht unterkriegen lassen.
    Bernhard Jott Keller will sich nicht unterkriegen lassen. Foto: Stephanie Sartor

    Ein Beispiel: Acrylamid-Rückstände gibt es Jott Keller zufolge nur dann im Wasser, wenn eine sogenannte Flockungsfiltration zur Entfernung von Trübstoffen und Verunreinigungen stattfindet – die aber gibt es in Riesen nicht. Trotzdem muss das Wasser auf Acrylamid getestet werden. „Ein anderes Beispiel sind Pflanzenschutzmittel. Warum sollen wir darauf testen, wenn hier noch nie welche aufgebracht wurden?“, fragt Jott Keller. In ganz Deutschland würde das Wasser auf viele Stoffe untersucht, ohne zu hinterfragen, ob das vor Ort jeweils relevant ist, findet er. „Das ist auch ein großes Geldgeschäft für Labore und Staat.“ Die umfassende Analyse des Riesener Wassers kostet übrigens etwa 1000 Euro. „Das ist sinnlos ausgegebenes Geld“, klagt Jott Keller.

    Das Wasser werde natürlich schon jetzt regelmäßig untersucht, fährt er fort. In jedem Quartal wird eine mikrobiologische Untersuchung durchgeführt, etwa auf Coli-Bakterien. Zu diesem Test soll nun eine umfassende Analyse von physikalisch-chemischen Schadstoffen dazukommen. Etwa 45 Stoffe sollen untersucht werden, bisher sind es drei, etwa Nitrat.

    Das Gesundheitsamt sagt: Uns sind die Hände gebunden

    Im Gesundheitsamt Weilheim-Schongau wiegelt man ab. Es gebe eine Trinkwasserverordnung, die bundesweit gültig ist, sagt Stefan Günther, der Leiter des Amtes. Und man müsse nun mal das Gesetz vollziehen. „Bis zum ersten Januar hatten wir einen gewissen Ermessensspielraum, welche Parameter dringend untersucht werden müssen. Den haben wir jetzt nicht mehr.“

    Ein kleines Schlupfloch gibt es aber. Und das hat einen langen Namen: Risikobewertungsbasierte Anpassung der Probennahmeplanung – kurz RAP. Damit können Wasserversorger in Absprache mit dem Gesundheitsamt die Untersuchungen an die individuellen Gegebenheiten vor Ort anpassen. Doch es gibt eine Bedingung: Es müssen drei umfassende Befunde vorgelegt werden, die nicht länger als sieben Jahre zurückliegen. Das Problem ist: Weil Riesen seit 2014 von derart umfassenden Untersuchungen befreit war, gibt es aus dieser Zeit keine Befunde. „Wir haben vier umfassende Untersuchungen, zwei liegen aber außerhalb der vorgeschriebenen, aber nicht begründeten Frist“, sagt Jott Keller. Dass es keinen anderen Ausweg geben soll, das will der Verein nicht akzeptieren. Deshalb nun die Klage. „Unser Anwalt sagt, dass es sehr wohl einen Ermessensspielraum gibt“, sagt Jott Keller. „Wir wollen erreichen, dass wir die RAP anwenden können.“

    Unter dieser Hütte befindet sich die Riesener Quelle.
    Unter dieser Hütte befindet sich die Riesener Quelle. Foto: Stephanie Sartor

    Es ist aber nicht nur die Bürokratie, die den Mann allmählich verzweifeln lässt. „Das Landratsamt wirft unserem Verein Manipulation vor. Das ist kaum zu fassen, mit welchen Methoden die arbeiten“, sagt Jott Keller. Ihm werde unterstellt, dem Amt positive mikrobiologische Befunde vorzuenthalten und nur negative weiterzuleiten. „Wenn das Amt keine Argumente hat, werden einfach Diffamierungen formuliert“, sagt Jott Keller.

    Der Fall aus Riesen könnte weite Kreise ziehen. Denn in Bayern regeln viele Dörfer ihre Wasserversorgung selbstständig. Insgesamt gibt es im Freistaat 8600 Wasserfassungen für die öffentliche Trinkwassergewinnung, davon 4300 Brunnen und ebenfalls 4300 Quellen. Hinzu kommen noch unzählige private Brunnen.

    So einen hat auch eine Bäuerin aus dem Landkreis Aichach-Friedberg. Ihren Namen will sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Den Fall Riesen beobachte sie mit Spannung. Denn sie habe das gleiche Problem. Mit ihrem Nachbarn teilt sie sich einen Brunnen – und nun müssten sie eine neue, umfangreiche Wasser-Analyse durchführen. „Das ist sehr teuer“, sagt sie. „Und wir sollen das Wasser auf etwas untersuchen lassen, das nicht drin sein kann.“ Denn der Brunnen liegt im Grünland, es gebe keinen Ackerbau, Pflanzenschutzmittel würden nicht verwendet, sagt die Bäuerin und fügt hinzu: „Ich stehe noch ganz am Anfang. Mal sehen, wie das weitergeht.“

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