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Oberbayern: Die wichtigste Band aus Deutschland: The Notwist aus Weilheim

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Die wichtigste Band aus Deutschland: The Notwist aus Weilheim

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    The Notwist warten auf den Zug.
    The Notwist warten auf den Zug. Foto: Jörg Koopman (dpa)

    Als Posterboys würden die drei von The Notwist ohnehin nicht taugen. Da sind die Brüder Markus und Micha Acher aus Weilheim, zwei bärtige Brillenträger, die in ihrer Entspanntheit so gar nichts von Popstars haben. Und Martin Gretschmann, der schlaksige Tüftler mit dem schulterlangen Haar, ist auch keiner für den Starschnitt. Und doch sind

    The Notwist sind seit Jahren so etwas wie das gute Gewissen der deutschen Musiklandschaft. Und das nicht nur wegen der immer wieder gern erzählten Episode, dass Sänger Markus Acher einst am Telefon das lukrative Angebot ablehnte, den Werbespot eines Mobilfunkkonzerns mit einem Song der Band zu hinterlegen. The Notwist widersetzen sich der Verwertungslogik der Industrie, indem sie einfach ihren Weg weitergehen – und ihre Fans warten lassen. Sechs Jahre ist es her, dass The Notwist „The Devil, You & Me“ veröffentlichten, zwölf Jahre sind schon seit „Neon Golden“, dem anerkannten Hauptwerk der Weilheimer, vergangen. Das Auf-die-Folter-Spannen hat System bei der inzwischen auf drei Kernmitglieder geschrumpften Band – und es erklärt auch, warum „Close to the Glass“, das siebte Album in den jetzt 25 Jahren des Bestehens von The Notwist, schon seit Monaten Aufregung unter Musikfans erzeugt.

    Die langen Pausen zwischen den Alben entstehen zum einen durch die zahlreichen anderen Bandprojekte der Acher-Brüder (Lali Puna, das Tied & Tickled Trio) und durch die Solokarriere von Martin „Console“ Gretschmann als Techno/House-Produzent und -DJ. Aber für „Close to the Glass“ haben sich The Notwist auch Zeit genommen. Über zwei Jahre hinweg arbeitete das Trio, verstärkt durch die drei Live-Mitglieder Andi Haberl (Schlagzeug), Max Punktezahl (Gitarre, Keyboards) und Karl Ivar Refseth (Vibrafon), an den zwölf Stücken des Albums – und probierte einzelne davon auch bei diversen Livekonzerten, unter anderem beim Augsburger Modularfestival, aus.

    Das Album klingt nie angestrengt

    Den Aufwand hört man „Close to the Glass“ an, gleichzeitig wirkt das Album nie angestrengt. Das Kunststück gelingt, viele Fäden aus mittlerweile einem Vierteljahrhundert Bandgeschichte aufzunehmen und gleichzeitig den Klangkosmos der Gruppe zu erweitern. Mit „Shrink“ (1998) wandten sich die aus der Hardcore-Szene hervorgegangenen The Notwist Einflüssen aus Jazz und Elektronik zu, „Neon Golden“ (2002) formulierte einen eigenständigen Pop-Entwurf, der mit dem oft verwendeten Begriff „Indietronic“ kaum zu fassen ist. „The Devil, You & Me“ (2008) schillerte zwar in stiller Melancholie, markierte für die Entwicklung der Band aber ein Plateau.

    Ganz anders „Close to the Glass“, das ein breites Panorama von Klängen entfaltet: Da ist das Titelstück, das Sänger Micha Acher, der seine dünne Stimme diesmal mit ungewöhnlich viel Kraft auflädt, durch einen Uptempo-Groove aus dengelnden Synthesizersounds und schnalzendem Händeklatschen hetzt; oder „Run Run Run“, das zuerst Steve-Reich-Vibrafon und Jazztröten ins Rennen schickt, um zum Ende hin in einem minimalen Techno-Track aufzugehen; oder das fast neunminütige Instrumental „Lineri“, das schlafwandlerisch-verhallte Melodiebögen auf ein monoton shuffelndes Rhythmusbett legt. Einige seiner stärksten Momente hat das Album bei den Songs, die auf die Zeit vor „Neon Golden“ verweisen: im Gitarrenrauschen von „7-Hour-Drive“, vor allem aber bei „Kong“, der Single und dem „Hit“ der Platte – ein flotter Song wie aus der Blütezeit der US-Indie-Szene in den frühen 90ern. Wer hätte gedacht, dass The Notwist auch das noch draufhaben?

    Das aktuelle Album legt viele Fährten, und manche Zusammenhänge erschließen sich erst bei mehrfachem Hören. „Close to the Glass“ mag nicht besser sein als der Meilenstein „Neon Golden“, aber es ist sicherlich die beste Platte, die The Notwist 2014 machen konnten. Es zeigt eine Band, die auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität und gleichzeitig mit ihrer Vergangenheit im Reinen ist. Und das weiß man durchaus auch außerhalb von Weilheim, Bayern und Deutschland: „Close to the Glass“ erscheint in den USA beim Indie-Großlabel Sub Pop, bei dem einflussreiche Bands wie Nirvana ihre Weltkarriere starteten. Aber die würden The Notwist wahrscheinlich gar nicht wollen.

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