Albert Dietrich hat es eilig. Schnellen Schrittes durchquert der Mann mit dem kurzen, grauen Haar das Büro der Münchner Stadtinfo am Marienplatz. In seiner Hand klimpert ein Schlüsselbund, als er die elektrische Schiebetür zum Raum aufsperrt. "So, jetzt mal alle rein, wer spuit z'sammen?" fragt er die vier jungen Leute, die draußen gewartet haben.
Seit drei Stunden haben sie dort ausgeharrt, denn sie wissen: Wer eine Genehmigung möchte, um in der Münchner Innenstadt Musik zu machen, muss früh aufstehen. Nur zehn Lizenzen gibt Dietrich am Tag aus - fünf erlauben das Musizieren am Vormittag, fünf gelten für den Nachmittag. Doch die vier Studenten aus Graz haben Glück: Sie waren die Ersten in der Schlange. Rund zehn Musiker stehen noch hinter ihnen und müssen weiter hoffen.
Drinnen angekommen, geht alles ganz fix: Nachdem geklärt ist, dass jeweils zwei von ihnen zusammen spielen werden, packen die Studenten ihre Instrumente aus. Natalia (21) und Solomya (27) spielen Violoncello und Blockflöte, und schon nach kurzer Zeit hat Dietrich genug gehört. "Da passt alles", winkt er ab und schickt die beiden zu seiner Kollegin Christa Bögl. Die notiert die Namen der beiden Mädchen auf einer türkisfarbenen Karteikarte und händigt ihnen danach einen rosafarbenen Zettel aus: die lange ersehnte Genehmigung.
Zweimal wöchentlich und sonntags dürfen die Studentinnen nun in der Fußgängerzone spielen. "Wir wollen bis Ende August hierbleiben und hoffen, dass wir ein bisschen was verdienen", erklärt sie. Denn: Beide sparen auf neue Instrumente, ein kleines Zubrot kommt ihnen da gerade recht. Und was halten ihre Eltern davon, dass sie auf der Straße spielen? "Meine Mutter und mein Vater waren zwar anfangs skeptisch", berichtet Natalia, "doch sie wissen, dass ich so auch üben kann. Und es ist allemal besser als zu kellnern."
Die 21-Jährige und ihre Freundin schauen nun ihren Kommilitonen Dmytro und Sofia zu, die Querflöte spielen. Auch hier winkt Dietrich schnell ab, sie bekommen ebenfalls ihre Lizenz. Erleichtert verlassen die vier Studenten aus Österreich die Stadtinfo - sie wollen jetzt erst einmal schlafen gehen.
"Da fallen einem glatt die Ohrwascheln ab"
Eine siebenköpfige Marimba-Band hat es nicht so einfach. Dietrich: "Wenn die mit ihrem Xylophon 30 Minuten spuin, da fallen einem glatt die Ohrwascheln ab!" Dazu komme, dass die Musiker aus Simbabwe stammen - "und Nicht-EU-Bürger dürfen nur sechsmal hier spielen", sagt Dietrich, "sonst bräuchten sie eine Arbeitsgenehmigung." So schickt er die Männer, die um einen siebten Auftritt bitten, wieder heim.
Dietrich verteilt die Genehmigungen seit zwölf Jahren, das Casting gibt es aber erst seit 2007. Die Musiker selbst hätten um die Einführung gebeten, um ihr Auskommen zu sichern, sagt Dietrich. Er achte auf vieles: auf die Optik, das Auftreten und natürlich auf das Können. "Ich arbeite seit 1967 an der Oper, ich höre schon, wenn einer falsch spuit", erklärt er mit Nachdruck. Der 60-Jährige, der auch als Beleuchter tätig ist, hat schon viele Musiker erlebt: "Einmal hatte ich eine Geigerin hier, die war so aufgeregt, dass sie keinen Ton rausgebracht hat." "Aber ich bin ja nicht der Bohlen. Die schick' ich dann heim, und am nächsten Tag kann sie wiederkommen."
Am liebsten seien ihm die Musiker, die oft unterwegs sind. "Die kommen her, bringen ihre Geschichten mit und lockern die Atmosphäre auf", sagt er und lacht. "Das ist toll, schließlich wollen wir die Passanten unterhalten. Die Musiker bereichern das Leben in der Stadt - dafür bieten wir ihnen den größten Konzertsaal, den es gibt." Nadja Aswad