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Naturschutz: Mit der Katastrophe kam der Lech-Ausbau

Naturschutz

Mit der Katastrophe kam der Lech-Ausbau

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    Auf einer Kiesbank im Lech saßen die Menschen fest.
    Auf einer Kiesbank im Lech saßen die Menschen fest.

    Nach jedem Lech-Hochwasser entstand eine andere Flusslandschaft. Auf den ersten Blick bot sich ein Bild der Zerstörung. "Doch es war eine Wunderwelt", sagt Eberhard Pfeuffer, Vorsitzender des Naturwissenschaftlichen Vereins für Schwaben. Die neuen Kiesbänke und Wasserflächen waren Refugien für besondere Tier- und Pflanzenarten. Doch diese Bilder einer Wildflusslandschaft sind Geschichte.

    Am 16. Juni 1910 riss ein verheerendes Hochwasser das Wehr am Hochablass, eines der Wahrzeichen Augsburgs, mit sich. Die Naturkatastrophe war letztlich die Initialzündung: Danach begann der konsequente Ausbau des alpinen Flusses. Jetzt war es technisch machbar. Auf Höhe von Königsbrunn hatte der Lech damals eine Breite von vier Kilometern. Heute sind es nur noch rund 80 Meter. Mit dem sprunghaft gestiegenen Strombedarf ab 1940 entschloss man sich, den weiteren Ausbau des Lechs mit der Energienutzung zu verbinden. 1954 wurde der Forggensee bei Füssen geflutet. Bis 1984 wurde der Wildfluss in eine Kette von Stauseen umgebaut. 24 Staustufen gibt es heute.

    Der in ein enges Korsett gepresste Fluss tiefte sich schnell ein. Der Grundwasserspiegel sackte ab. Bereits zehn Jahre nach der ersten Begradigung südlich von Augsburg wurden zur Stützung der Sohle Querbauwerke, sogenannte Sohlschwellen, eingebaut. Sechs sind es zwischen Hochablass und der Staustufe 23 auf Höhe Königsbrunn. Doch diese Hilfskonstruktionen erwiesen sich als Dauerbaustellen, sagt Pfeuffer. Erst an Weihnachten wurden wieder große Steine in den Fluss gekippt, um die Fließgeschwindigkeit zu bremsen und eine weitere Eintiefung zu verhindern.

    Der Naturwissenschaftliche Verein hat eine über 160-jährige Geschichte. In dieser Zeit wurde der Lech, seine Flora und Fauna bestens erforscht und dokumentiert. Es war ein Zentrum der Artenvielfalt in Europa, eine Biotopbrücke zwischen Alpen und Donau. "In einem Menschenleben hat sich die Landschaft völlig verändert", stellt Pfeuffer bedauernd fest. Es fehlt die Flussdynamik. Reste gibt es zwar noch. Ein Prozent der Kiesbänke ist übrig geblieben. Aber sie haben nicht mehr die Funktion wie einst. Wer durch das Naturschutzgebiet Stadtwald Augsburg streift, sieht in den Auen besondere Bodenreliefs. Es ist das Abbild der verschwundenen Wildflusslandschaft. Oben fühlen sich die mediterranen Schmetterlingsarten wohl, in den Mulden die Moor liebenden. Pfeuffer bringt es auf den Punkt: "Hier trifft sich die Welt." Auf den Augsburger Heiden wachsen nebeneinander die alpine Schneeheide, die mediterrane Orchidee und die kontinentale Küchenschelle.

    Gerade in letzter Zeit aber stellten die Naturforscher einen nicht erklärbaren Rückgang vor allem feuchtigkeitsliebender Arten fest. "Da stimmt was mit dem Grundwasser nicht", waren sie überzeugt. In der Tat: Als Folge der zunehmenden Eintiefung des Flusses sinkt das Grundwasser, das nach der Flussverbauung in Flussnähe bereits um zwei bis drei Meter abgefallen war, im Augsburger Trinkwasserschutzgebiet weiter. Ein Alarmsignal. Für die Lechallianz, die seit Jahren für eine Renaturierung des geschundenen Flusses kämpft, ist dies ein Grund, endlich zu handeln und zwar nachhaltig. Denn der kanalisierte Lech wirkt wie eine große Drainage.

    Die neuen Erkenntnisse sind ein weiteres schlagkräftiges Argument gegen Pläne des Stromerzeugers E.on, an der höchsten Sohlschwelle südlich des Hochablasses ein Kraftwerk zu bauen. Die Lechallianz, ein überparteilicher Zusammenschluss, der mehrere Tausend Mitglieder vertritt, hat eine Machbarkeitsstudie für eine Revitalisierung der letzten Fließstrecke bis zur Lech-Staustufe 23 in Auftrag gegeben. "Wir kratzen unser Geld zusammen", sagt Pfeuffer. "Obwohl das eigentlich nicht unsere Aufgabe ist."

    Die Lech-Freunde kämpfen nicht nur auf bayerischer Seite. In Österreich sollen oberhalb des Nobel-Skiorts Lech die Quellbäche angezapft werden, um die Stromerzeugung am Spullersee effizienter zu gestalten. Bergbauern droht die Enteignung. Nach heftigen Protesten liegen die Pläne vorerst auf Eis.

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