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Naturschutz: Dramatischer Rückgang: Wo sind all die Vögel in Bayern hin?

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Dramatischer Rückgang: Wo sind all die Vögel in Bayern hin?

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    Die Feldlerche ist der Vogel des Jahres 2019. Der Bestand im Freistaat geht immer weiter zurück.
    Die Feldlerche ist der Vogel des Jahres 2019. Der Bestand im Freistaat geht immer weiter zurück. Foto: Andreas Neuthe, dpa

    Es ist still geworden. Immer seltener pfeift es, hört man diesen heimeligen Singsang, der zum Frühling dazugehört wie die ersten, zartweißen Schneeglöckchen. Diese Stille hat einen traurigen Grund: In Bayern – und ganz Deutschland – gibt es immer weniger Vögel. Besonders betroffen sind all jene Arten, die ihren Lebensraum auf Feldern und Wiesen haben. Deren Bestand ist nach Angaben des Landesbundes für Vogelschutz innerhalb von 40 Jahren um die Hälfte zurückgegangen.

    Bedrohte Feldlerchen: Andere Europäer jagen Vögel

    Harald Böck beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der heimischen Vogelwelt, leitet ornithologische Führungen, macht vogelkundliche Kartierungen. An diesem frühlingswarmen Vormittag steht er inmitten des dürren Grases im Wittislinger Ried, einem Vogelschutzgebiet im Landkreis Dillingen.

    Böck deutet nach vorne, auf die Häuser eines Neubaugebietes, ein paar Kilometer entfernt. „Dort gab es früher viele Feldlerchen-Reviere. Jetzt gibt es gar keines mehr“, sagt der Vogelexperte. Die Feldlerche – übrigens der Vogel des Jahres 2019 – war einst ein Allerweltsvogel, nun wird das kleine, braune Tier auf der Roten Liste der Brutvögel Bayerns als gefährdet eingestuft.

    Böck kramt in seiner Jackentasche und holt einen Zettel heraus, auf dem er sich ein paar Zahlen notiert hat und sagt: „1,5 Millionen Feldlerchen werden pro Jahr in der EU legal geschossen.“ Er schüttelt den Kopf und fügt hinzu: „Das ist doch nicht zu fassen! Bei uns gepflegt, in Frankreich erlegt.“

    Vögel haben es schwer in Bayern: Jeden Tag verschwindet ein Stück Lebensraum

    Nun ist die Jagd auf Zugvögel, die im Winter aus dem kalten Bayern ins Warme fliegen, bei der derzeitigen Debatte um das Vogelsterben nur ein Randaspekt. Es gibt viele Faktoren – angefangen beim Klimawandel bis hin zum Flächenverbrauch. Und Letzterer ist tatsächlich immens: Jeden Tag wird in Bayern eine Fläche zugepflastert, die so groß ist wie 18 Fußballfelder. Für die Vögel bedeutet das, dass ihnen jeden Tag ein Stück Lebensraum verloren geht. Und dann ist da natürlich noch die Landwirtschaft.

    Sie steht im Fokus der Debatte um den enormen Rückgang der Vögel. Andreas von Lindeiner vom Landesbund für Vogelschutz sagt: „Es gibt immer größere Maschinen, die immer größere Felder bewirtschaften.“ Außerdem würden die Wege zwischen den Feldern immer breiter oder sogar asphaltiert, es gebe kaum noch Brachstreifen, Böschungen oder Hecken neben den Feldern. „Wir fordern größere Biotopverbundflächen, die die Tiere besiedeln können“, sagt der Vogelexperte. Was ihm außerdem Sorgen bereitet, ist der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft.

    Das sei „einer der entscheidenden Faktoren für den Rückgang der Insekten“ – und die dienten nun mal vielen Vögeln als Nahrung. In der Tat ist das Insektensterben dramatisch – die Zahl der Tiere ist in rund drei Jahrzehnten um 75 Prozent geschwunden. Ähnlich erschreckende Zahlen gibt es bei vielen Vogelarten: Die Kiebitz-Population ist um mehr als 80 Prozent zurückgegangen, die des Rebhuhns sogar um 95 Prozent. Die Zahlen stammen aus dem Vogelmonitoring, das seit vielen Jahren in ganz Deutschland durchgeführt wird. Dabei erfassen hunderte Beobachter auf repräsentativen Probeflächen die Zahl der Vögel.

    Was kann man also tun? Von Lindeiner meint: „Wir müssen Angebote an die Landwirte machen, damit sich die Investition in Biodiversität lohnt. Wir wollen, dass die Leistung der Bauern angemessen belohnt wird.“ Als Beispiel, wie das gelingen kann, nennt er ein Projekt zum Schutz der Wiesenweihe, ein Artenhilfsprogramm mit Unterstützung des Landesamtes für Umwelt. Und das funktioniert so: Wenn ein Landwirt auf seiner Fläche ein Brutpaar entdeckt, gibt er den Naturschützern Bescheid und spart bei der Ernte den Bereich um das Nest aus. Dafür bekommt er Geld.

    Die Bauern ärgern sich und wollen nicht die Hauptschuldigen sein

    Derlei Projekte müssten intensiviert werden, meint von Lindeiner. „Denn wenn wir jetzt nicht gegensteuern, dann geht es so weiter. Dann verschwinden noch mehr Vögel.“

    Die Bauern ärgert es, dass man sie oft zu den Hauptschuldigen macht, wenn es um das Thema Artensterben geht. Das wurde vor allem deutlich, als das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ in die heiße Phase ging. In einem offenen Brief an die Initiatoren der Aktion sprach Bayerns Bauernpräsident Walter Heidl von „einseiten Vorwürfen“.

    Viele andere Faktoren wie etwa Mähroboter und Steinwüsten in Hausgärten, zunehmende Lichtverschmutzung und steigende Freizeitaktivitäten hätten ebenfalls Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt. Außerdem, betonte der Verband, mache bereits jeder zweite bayerische Betrieb freiwillig bei Agrarumweltmaßnahmen mit.

    Auf der Wiese im Wittislinger Ried frischt der Wind auf. Vogelkundler Böck blickt durch sein Fernglas und erspäht zwei Waldwasserläufer. Dann sagt er: „Wissen Sie, eigentlich hätten wir das Volksbegehren zur Artenvielfalt schon vor 20 Jahren gebraucht. Es ist jetzt schon sehr spät.“

    Er hält inne und sagt: „Es muss wirklich dringend was passieren. Vögel sind gute Bioindikatoren für die Umwelt. Wenn die Zahl der Vögel abnimmt, dann sieht man, dass mit unserer Umwelt etwas nicht stimmt.“ In der Ferne hört man ein leises Gurren, ein sanftes Piepen. Wird man solche Geräusche auch in 30, 40, 50 Jahren noch hören?

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