Dieses Mal wollte er nicht zu spät kommen. Denn Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst Benedikt XVI., hatte es seinerzeit nicht mehr rechtzeitig ans Sterbebett seiner Schwester Maria geschafft. Er war damals Präfekt der Glaubenskongregation in Rom. Und als seine Schwester 1991 nach einem Herzinfarkt im Alter von 69 Jahren in Regensburg starb, konnte er sich nicht mehr von ihr verabschieden.
Als sich im Juni der Gesundheitszustand seines Bruders Georg rapide verschlechterte, reiste der ehemalige Papst spontan und mit Erlaubnis seines Nachfolgers Franziskus in seine Heimat Regensburg. Ein Herzenswunsch der beiden Brüder sei es gewesen, sich noch einmal zu sehen, sagte Christoph Neck, der Pressesprecher des Bistums Regensburg. Jener Stadt, in der Joseph Ratzinger als Professor für Dogmatik an der dortigen Universität eine der glücklichsten Zeiten seines Lebens verbracht hat, wie er immer wieder betonte.
Diesmal aber führte ihn sein Weg aus einem sehr traurigen Anlass in die Heimat: Für den selbst körperlich gebrechlichen und erschöpften, 93-jährigen Benedikt war die Reise an das Sterbebett seines älteren Bruders Georg mühevoll und anstrengend. Ein paar Tage konnten die beiden Brüder noch zusammen verbringen, sie feierten die Messe, beteten gemeinsam in Georgs Wohnung in der Regensburger Luzengasse – und verabschiedeten sich voneinander. Am 1. Juli ist Georg Ratzinger im Alter von 96 Jahren in Regensburg gestorben.
Bruder von Benedikt XVI. ist tot - Georg Ratzinger war nicht glücklich über Papstwahl seines Bruders
Die Ratzinger-Brüder standen sich Zeit ihres Lebens sehr nahe. Und eigentlich hatten sie sich ihren Lebensabend ganz anders vorgestellt. Sie wollten den Ruhestand zusammen in Regensburg verbringen, viel lesen, viel reden, viel Zeit füreinander haben. Doch es kam bekanntlich anders – und Georg Ratzinger, dieser liebenswürdige, bescheidene, alte Herr mit dem schlohweißen Haar, war anfangs gar nicht glücklich darüber, dass sein drei Jahre jüngerer Bruder Joseph zu Benedikt XVI. wurde. „Ich hatte gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorübergeht“, sagte er nach der Papstwahl.
Das war am 19. April 2005, jenem Tag, der für die beiden Brüder alles änderte. Georg blieb unweit des Doms mitten in der Regensburger Altstadt wohnen und feierte weiterhin jeden Morgen um 7 Uhr in der kleinen Stiftskirche St. Johann neben dem Dom die Frühmesse. Und Joseph Ratzinger? Lebte trotz seines überraschenden Rücktritts 2013 zurückgezogen im Vatikan. Er war als Papst nur mehr ein einziges Mal daheim in Bayern, wo er in Pentling bei Regensburg ein Haus besaß. Bei diesem offiziellen Staatsbesuch 2006 hatten die Brüder immerhin die Zeit, gemeinsam in Georgs Haus zu Mittag zu essen und später auf dem nahe gelegenen Friedhof in Regensburg-Ziegetsdorf am Grab der Eltern und der Schwester zu beten.
Georg Ratzinger ist tot: Er schickte Papst Benedikt XVI. jedes Jahr Lebkuchen
Georg Ratzinger hatte ein eigenes Telefon, das ihn direkt mit seinem Bruder verband, der für ihn – Papst hin oder her – immer der Joseph geblieben war. Fast jeden Tag sollen die beiden miteinander gesprochen haben, auch wenn es zuletzt mühsam geworden war, weil beide immer schlechter hörten.
Immer wieder war der emeritierte Papst Benedikt XVI. seit seinem Rücktritt gefragt worden, ob er nicht doch noch einmal in seine bayerische Heimat kommen wolle. Und immer wieder hat er kategorisch abgewunken. Weil er sich selbst die Regel auferlegt hat, sagte Joseph Ratzinger, jetzt als Mönch zu leben. Und diese Regel möchte er nicht brechen, erklärte er zuletzt Horst Seehofer, der ihn – damals noch als bayerischer Ministerpräsident – 2014 in Rom besuchte und dabei natürlich auch eine Einladung nach Bayern aussprach.
Dafür kam Bayern regelmäßig zu ihm: Zu den Geburtstagen machten sich Reisegruppen mit Gebirgsschützen und Trachtlern, mit Alphornbläsern und Schuhplattlern, mit Politikern und Geistlichen auf den Weg in den Vatikan, um den Papst mit Musik und Brauchtum, mit bayerischen Schmankerln und weiß-blauen Geschenken zu überraschen.
Auch Georg reiste regelmäßig nach Rom, kurz nach Weihnachten letzten Jahres war er ein letztes Mal im Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten, wo der ehemalige Papst Benedikt heute lebt. „Obwohl das Alter inzwischen drückt“, wie Georg Ratzinger damals sagte. Er war wegen eines Augenleidens fast blind und auch die Füße machten nicht mehr mit, sodass er auf Rollstuhl und Rollator angewiesen war. Und zu Nikolaus am 6. Dezember schickte Georg jedes Jahr ein Paket mit Lebkuchen aus Bayern in den Vatikan, denn beide Brüder liebten Süßes.
Brüder aus Oberbayern: So wuchsen Georg und Joseph Ratzinger nahe Altötting auf
Geboren als Sohn eines Dorfpolizisten und einer ehemaligen Köchin 1924 in Pleiskirchen bei Altötting, wuchs Georg Ratzinger mit seinem Bruder und der Schwester Maria in einfachen Verhältnissen auf. Er besuchte zusammen mit Joseph Ratzinger das Studienseminar St. Michael in Traunstein und studierte - wie sein Bruder - nach dem Zweiten Weltkrieg Theologie. Für Joseph Ratzinger sei schon als Ministrant der Berufswunsch klar gewesen, verriet Georg Ratzinger einmal: Er wollte Kardinal werden.
Die Brüder wurden 1951 gemeinsam im Freisinger Dom von Kardinal Faulhaber zu Priestern geweiht. Für Georg, den „Orgel-Ratz“, wie er im Priesterseminar genannt wurde, war schnell klar, dass er sich der Kirchenmusik widmen würde. Während sein Bruder Joseph, der „Bücher-Ratz“ sich der Wissenschaft zuwandte. 1964 kam Georg Ratzinger nach Regensburg, jene Stadt, von der er sagte, dass sie „praktisch ein Stück von mir ist“.
Er wurde angesehener Domkapellmeister – und gleichzeitig Leiter der Regensburger Domspatzen. Jenes weltberühmten Knabenchors, den er 30 Jahre leitete und erfolgreich machte. Als vor neun Jahren Misshandlungen und sexueller Missbrauch bei den Domspatzen bekannt wurden, kam heraus, dass Ratzinger jähzornig und Teil des Gewaltsystems bei den Domspatzen gewesen war. Er tat die Vorwürfe zunächst ab, entschuldigte sich dann aber dafür, Chorknaben geohrfeigt zu haben, und sagte, dass er sich seit 1980 strikt an das gesetzliche Züchtigungsverbot gehalten habe.
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