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Landkreis Landsberg: Nach SS-Massaker: Nachkommen der Opfer beten am Grab des Täters

Landkreis Landsberg

Nach SS-Massaker: Nachkommen der Opfer beten am Grab des Täters

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    Kirchenpfleger Marius Langer zeigt das Grab von Joachim (Jochen) Peiper.
    Kirchenpfleger Marius Langer zeigt das Grab von Joachim (Jochen) Peiper. Foto: Thorsten Jordan

    Am Anfang war ein Brief. Ein Brief aus Boves im Piemont, der von einem Massaker der Waffen-SS am 19. September 1943 in der italienischen Gemeinde erzählte. Und vom Wunsch der dortigen katholischen Christen nach Frieden und Versöhnung. Im Frühjahr 2013 erreichte dieses Schreiben die Pfarrgemeinde Schondorf (Kreis Landsberg am Lech). Denn hier liegt nach Angaben aus Italien der Anführer der SS-Einheit, Joachim „Jochen“ Peiper, auf dem Kirchenfriedhof.

    „Oh Gott, wir haben einen SS-Mann auf dem Kirchenfriedhof“, habe er gedacht, sagt Kirchenpfleger Marius Langer. Er machte sich sofort auf die Suche und fand das Grab – aber nicht im kirchlichen, sondern am gemeindlichen Teil der Friedhofsanlage. Und Langer, der lange als Regisseur fürs Bayerische Fernsehen arbeitete, machte sich ans Recherchieren.

    Bisher hielt sich der derzeit sieben Mitglieder zählende Schondorfer Boves-Kreis unter dem Vorsitz von Andrea Weißenbach noch bedeckt in Sachen Öffentlichkeit: Man sah, wie Langer berichtet, die Gefahr, Ewiggestrige auf die Grabstätte Peipers zu stoßen. Denn in rechten Kreisen gilt Peiper als großer deutscher Krieger. Mittlerweile weiß Langer, dass sich über das Internet Peipers Grab samt Beschreibung, es liege an einer immergrünen Hecke, leicht ermitteln lässt. „Wir werden hier am Friedhof auch ab und zu mal gefragt, wo Peipers Grab ist.“

    Das Grab von Joachim (Jochen) Peiper und seiner Frau Sigurd geb. Hinrichsen (Sekretärin von Heinrich Himmler) in Schondorf.
    Das Grab von Joachim (Jochen) Peiper und seiner Frau Sigurd geb. Hinrichsen (Sekretärin von Heinrich Himmler) in Schondorf. Foto: Thorsten Jordan

    Wer war nun Joachim Peiper? Über ihn und seine Taten gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen. Peiper wurde 1915 in Berlin geboren, war Adjutant Heinrich Himmlers und als Kommandeur eines Bataillons der „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ im Piemont stationiert. Das Massaker in Boves geschah infolge der sich auflösenden italienischen Verbände nach dem Waffenstillstand, mit dem das Bündnis Italien-Deutschland brach. Nach Marius Langers Erkenntnissen waren es ehemalige italienische Soldaten, die sich in den Bergen versteckten, keine Partisanen, wie auch manchmal zu lesen ist.

    Was dann geschah, dazu gibt es unterschiedliche Darstellungen von deutscher und italienischer Seite. Die ehemaligen italienischen Soldaten oder Partisanen verschleppen bei Boves zwei deutsche Soldaten. Peiper und seine Mannen drohen, dafür den Ort Boves zu bestrafen. Dem Pfarrer des Ortes, Don Guiseppe Bernardi, und einem Unternehmer gelingt es zwar, als Unterhändler die zwei deutschen Soldaten aus den Bergen nach Boves zu bringen, doch in dem Ort beginnt nach den italienischen Zeugen schon zuvor ein Massaker, dem nicht nur Pfarrer Bernardi, sondern auch der Vizepfarrer Don Mario Ghibaudo zum Opfer fallen. 21 Menschen sind tot, 350 Häuser vom Feuer zerstört. „Es war das erste Massaker in Italien“, sagt Marius Langer.

    SS-Mann Jochen Peiper ließ einst in Italien ein Massaker verüben

    Nach Peipers Angaben sind die Häuser durch Kampfhandlungen in Brand geraten. Zu einem Prozess in dieser Sache kommt es nicht, da dem SS-Mann und zwei weiteren Anführern nicht nachgewiesen werden kann, dass sie die Erschießungen und das Niederbrennen der Häuser angeordnet hatten. Wegen eines Massakers bei Malmedy (Belgien), bei dem wehrlose amerikanische Kriegsgefangene erschossen werden, wird Peiper jedoch 1946 zum Tode verurteilt, aber 1951 begnadigt. 1956 wird er laut Langer aus dem Kriegsverbrechergefängnis in Landsberg entlassen und arbeitet bei Porsche und auch bei Volkswagen.

    Kirchenpfleger Marius Langer zeigt die Bilder der Padres, die selig gesprochen werden sollen, rechts Don Guiseppe Bernardi und links Don Mario Ghibaudo.
    Kirchenpfleger Marius Langer zeigt die Bilder der Padres, die selig gesprochen werden sollen, rechts Don Guiseppe Bernardi und links Don Mario Ghibaudo. Foto: Thorsten Jordan

    In den 1960erJahren zieht er nach Frankreich. Als dort seine Identität bekannt wird, erhält er Morddrohungen und schickt die Familie nach Deutschland, er bleibt. 1976 kommt es an seinem Haus im Dörfchen Traves zu einem Schusswechsel und das Haus wird in Brand gesteckt. Später findet man dort Peipers verkohlte Leiche.

    Doch wie kommt Peiper zu einem Grab in Schondorf? Genaues konnte Langer noch nicht herausfinden. Es gibt jedoch ein Grab eines Verwandten, Major Georg Peiper, der 1958 starb und in Schondorf begraben liegt. Auf Peipers Grabplatte sind auch die Namen seiner beiden gefallenen Brüder und der seiner Frau – sie war laut Langer Himmlers Sekretärin. Ob diese Toten auch wirklich hier bestattet sind, kann der Schondorfer nicht sagen. Den italienischen Christen, die sich 2013 meldeten, geht es nicht um „Aufarbeiten“ oder „Vergangenheitsbewältigung“, wie es in ihrem ersten Brief heißt, sondern um den Wunsch, „im gemeinsamen Gebet Kraft, Zuversicht und frohen Mut zu schöpfen, um zusammen für eine friedlichere, großherzigere Welt arbeiten zu können“. In Schondorf gründete sich ein Boves-Kreis, der sich jeden 19. des Monats zum Schondorfer Friedensgebet in der Kirche St. Anna trifft. Und der Platz vor der Heilig-Kreuz-Kirche in Schondorf wurde nach einem Platz in Boves zur Piazza dell’Olmo – dem „Platz der Ulme“.

    „Wir sind die Erben der deutschen Geschichte und die Erben dieser konkreten Geschichte“, gibt Langer seine Einstellung wieder. Gemeinsam mit den italienischen Freunden traf man sich unlängst in St. Anna zum Schondorfer Friedensgebet. Auch am Grab Peipers wurde ein Gebet gesprochen. Rechts und links stehen beim Friedensgebet in St. Anna die Schwarzweiß-Fotos der beiden Geistlichen, deren Seligsprechung zum 19. September 2018 angestrebt wird. Im Gespräch ist, dann Reliquien der Seliggesprochen zu einem Seitenaltar von St. Anna zu bringen.

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