Die Axt-Attacke von Würzburg-Heidingsfeld war am Mittwochabend auch Thema der ARD-Talksendung "Maischberger". Eingeladen in die Runde war unter anderem die Würzburgerin Judith Assländer, die seit 2014 bereits 25 jugendliche Flüchtlinge in ihrer Familie aufgenommen hat. Sie warnte davor, nach der brutalen Tat vom Montagabend Flüchtlinge zu stigmatisieren und Angst vor zugereisten Menschen zu schüren.
"Am wichtigsten ist, dass wir an der Integration arbeiten. Wenn sich die jungen Menschen angenommen fühlen und Perspektiven für ihr Leben entwickeln, dann ist das der beste Schutz", sagte Assländer (39), selbst Mutter von vier Kindern. Der Anschlag von Heidingsfeld treffe die Flüchtlinge. Die Pflegemutter berichtete davon, dass ein Jugendlicher bereits in einem Laden angepöbelt wurde. "Wir dürfen keine Ängste schüren, sonst hat der IS schon gewonnen", bat die Würzburgerin in der einstündigen Sendung, an der auch die frühere Bundesministerin und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast teilnahm. Sie hatte heftige öffentliche Kritik geerntet auf ihre Nachricht, mit der sie noch in der Tatnacht über Twitter das Verhalten der Polizei angezweifelt hatte.
Künast relativiert ihre Polizeikritik
Künast hatte die Frage gestellt, ob die tödlichen Schüsse auf den 17-jährigen afghanischen Angreifer wirklich notwendig waren. Trotz fortgesetzter Kritik in der TV-Runde (Titel: "Anschlag in Würzburg: Sind wir dem Terror schutzlos ausgeliefert?") blieb eine Entschuldigung Künasts für ihren Tweet aus. Sie relativierte lediglich: Nach Vorliegen näherer Informationen deute vieles darauf hin, dass die Polizisten in Notwehr gehandelt hätten, um ihr eigenes Leben zu retten. Damit wäre auch für Künast der "finale Todesschuss" gerechtfertigt.
Die frühere Ministerin sah sich in der Frage dem deutlichen Widerspruch von CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach ausgesetzt. Er warf der Grünen-Politikerin vor, sie sei der Polizei in den Rücken gefallen, statt ihr den Rücken zu stärken. Wie berichtet, hatten Polizeibeamte den jugendlichen Angreifer nach seiner Flucht aus dem Zug in den Heidingsfelder Mainauen gestellt. Als er angeblich aus direkter Nähe mit der Axt auch auf die Polizisten losging, sollen die Schüsse gefallen sein. TV-Journalist Claus Strumz (Sat 1) kritisierte vor allem den Zeitpunkt von Künasts Tweet noch in der Tatnacht: "Das tut man nicht in einem solchen Moment." Strunz sprach im Zusammenhang mit der Bluttat von Würzburg von einer "Zäsur". Am Montagabend sei klar geworden, dass in Deutschland an jedem Ort ein Anschlag passieren kann. Deshalb mahnt der Journalist zu mehr Sicherheit im Alltag - unter anderem durch Anti-Terror-Kurse für Bürger. Ob dadurch oder ob eine Attacke wie in Heidingsfeld überhaupt zu verhindern wäre, wurde in der Runde bezweifelt.
Experte glaubt nicht an "Turboradikalisierung"
Terrorismusexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht Reformbedarf bei den deutschen Sicherheitsbehörden. Sie würden mögliche Gefährdungen nicht hinreichend erkennen. Steinberg widersprach der These einer "Turboradikalisierung" binnen kurzer Zeit. Eine solche halte er auch beim jungen Täter von Heidingsfeld für unwahrscheinlich. Die Auswertung des Bekennervideos zeige klar: "Er hat sich mit dem IS, mit der Organisation befasst."
Der 17-jährige Riaz Khan habe das Video in der Sprache Paschtun aufgenommen und offenbar am Tag des Anschlags an eine IS-Medienstelle geschickt, die das Video nach der Tat mit Übersetzung veröffentlichte. Steinberg: "Das heißt, er hat Kontakt zur IS-Medienstelle hergestellt und selbst entschieden, im Sinne des IS tätig zu werden." Dies passe zur neuen Strategie des Islamischen Staates, der 2014 zu weltweiten Anschlägen durch Einzeltäter aufgerufen hatte. Nach Einschätzung Steinbergs verfolgt der IS damit im Wesentlichen zwei Ziele: Gesellschaftliche Brüche in den Anschlagsländern zu verstärken und das Ausland zur Entsendung von Bodentruppen nach Syrien zu bewegen. Obwohl die politischen Motive bei der Attacke von Heidingsfeld dokumentiert sind, geht der Wissenschaftler davon aus, dass bei solchen Einzeltätern auch psychische Motive oder Krankheiten eine Rolle spielen."Wir müssen unterscheiden", mahnte Steinberg, "und sollten nicht vorschnell das Terrorismus-Label benutzen." Er geht davon aus, dass der IS 2015 potenzielle Attentäter über die Flüchtlingsroute nach Europa gebracht hat - möglicherweise auch Riaz Khan, der Ende Juni 2015 über die Grenze bei Passau eingereist war. "Dass diese Tat von einem Flüchtling verübt wurde", so Steinberg, "das ist die unglückliche Wendung, das ist der Einschnitt von Würzburg."
"Religion spielt eine Rolle"
Auch der Psychologe und Extremismus-Experte Ahmad Mansour glaubt nicht, dass sich Riaz Khan binnen kürzester Zeit radikalisiert hat. Die Einstellung habe der junge Mann vermutlich schon länger gehabt, nur sei sie von den Betreuern nicht erkannt worden. Eine Radikalisierung könne man nur durch vertiefte Gespräche erfahren: "Sie können das nicht über einen Katalog oder bestimmte Erscheinungsmerkmale feststellen", sagte der Autor des Buches "Generation Allah". Mansour warnte davor, die extremistischen Strömungen des Islam zu unterschätzen oder zu relativieren: "Natürlich spielt die Religion hier eine Rolle!" Dabei gehe es nicht um den Islam generell, sondern nur um bestimmte Ausprägungen. Solche religiösen Hintergründe gelte es zu erkennen und rechtzeitig zu benennen. Wichtigste Aufgabe sei aber die Integration. Mansour: "Wir müssen die Jugendlichen für unsere Gesellschaft gewinnen, ehe es die Islamisten tun."
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