Als Beate Zschäpe am heutigen Mittwochmorgen, es ist der 128. Verhandlungstag, den Gerichtssaal betritt, wirkt sie wie immer: Adrett gekleidet und mit einem freundlichem Gruß an die Anwälte ihrer vier Mitangeklagten. Doch als die 39 Jahre alte Zschäpe am Nachmittag aus dem Gerichtssaal geführt wird, ist alles anders im NSU-Prozess. Beate Zschäpe hat kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger - schon blühen Hoffnungen, sie könnte endlich ihr Schweigen zu den Gewalttaten des Terror-Trios brechen.
Beate Zschäpe überbringt die Botschaft einem Polizisten
Das sind die Verteidiger von Beate Zschäpe
Als «Sturm, Stahl und Heer» gehören die Anwälte von Beate Zschäpe neben den Angeklagten zu den prominentesten Beteiligten im NSU-Prozess. Vor allem ihre martialisch klingenden Namen ließen zu Beginn der Verhandlung aufhorchen.
Wolfgang Heer: Im NSU-Prozess ist er der Wortführer der Zschäpe-Verteidigung. Zunächst hatte er das Mandat allein übernommen, seine Kollegen kamen später hinzu.
Mit zahllosen Anträgen brachte er vor allem zu Beginn der Verhandlung die Nebenkläger gegen sich auf. Heer ist kein Mitglied einer Partei und betonte zu Prozessbeginn:_«Das ist kein politisches Verfahren. Es geht darum, dass die Vorwürfe strafrechtlich untersucht werden.»
Geboren wurde er 1973 in Köln. Dort studierte er auch Rechtswissenschaften. Sein Schwerpunkt lag nach Angaben auf der Homepage seiner Kölner Kanzlei, die er gemeinsam mit seiner Kollegin Sturm führt, von Anfang an auf dem Strafrecht. Seit 2004 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.
Wolfgang Stahl: Im Zschäpe-Mandat sieht er auch eine Karrierechance, wie er zu Beginn des Prozesses selbst sagte. «Dies ist aus Verteidigersicht ein ähnlich bedeutendes Verfahren wie die RAF-Verfahren in den 70er Jahren», erklärte er.
In den Scharmützeln mit dem Vorsitzenden Richter hat er auch schon mal wutentbrannt den Verhandlungssaal verlassen.
Stahl ist Fachanwalt für Strafrecht und nach Angaben seiner Koblenzer Kanzlei ausschließlich als Strafverteidiger tätig. Seine Schwerpunkte liegen demnach eigentlich im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Er ist FDP-Mitglied und Oberstleutnant der Reserve und bearbeitete viele Jahre Wehrstraf- und Wehrdisziplinarsachen der Bundeswehr.
Anja Sturm: Anja Sturm wurde nach Angaben auf der Homepage ihrer Kanzlei 1970 in Ithaca in den USA geboren, studierte Rechtswissenschaften in Bayreuth und Kiel und machte sich 1999 als Anwältin in Berlin selbstständig, seit 2003 ist sie Fachanwältin für Strafrecht.
Nach der Geburt ihrer Kinder ging sie 2004 nach München. Seit 2012 arbeitete sie in einer renommierten Berliner Kanzlei - bis sie das Zschäpe-Mandat übernahm.
Ein Jahr später wechselte Anja Sturm in eine gemeinsame Kanzlei mit ihrem Kollegen Heer in Köln. Ihre Berliner Kanzlei soll sie zuvor für ihre Mandatsübernahme im Fall Zschäpe kritisiert haben. Mitglied einer Partei ist sie nicht.
«Als Verteidigerin reizt mich das Gefühl, einer der Übermacht des Staates ausgelieferten Person mit rechtlichen Mitteln beizustehen», sagte Sturm. «Auch Frau Zschäpe befindet sich in einer solchen Position.» dpa
In dem seit 14 Monaten andauernden Mammutverfahren vor dem Münchner Oberlandesgericht kam es immer mal wieder zu Verzögerungen der Mittagspause. Als am Mittwoch die Fortsetzung der Vernehmung des Neonazis Tino Brandt wiederholt verschoben wird, wundert sich deshalb zunächst niemand. Doch das ändert sich mit einem Schlag, als Richter Manfred Götzl bekannt gibt: Zschäpe habe einen der Polizisten im Saal gebeten, ihm mitzuteilen, "dass sie kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger habe".
Der Richter muss im NSU-Prozess um Ruhe bitten
So lapidar die wegen zehnfachen Mords und zahlreiche weiterer Delikte angeklagte Zschäpe dies mitteilen lässt, so lautstark macht sich im Saal die Verwunderung breit. Richter Götzl muss alleine für die Vertagung des Prozesses auf nächsten Dienstag mehrmals um Ruhe bitten. Nicht nur Zuschauer und Journalisten, auch die Anwälte der Angehörigen der NSU-Opfer und die der Mitangeklagten Zschäpes zeigen sich offen konsterniert. "Das ist eine sehr schwierige Situation jetzt, wahnsinnig schwierig", sagt Rechtsanwalt Jacob Hösl, der den mutmaßlichen NSU-Helfer Carsten S. in dem Prozess verteidigt.
Zschäpe hat eine Frist von nicht mal 24 Stunden
Das ist Beate Zschäpe
Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.
Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.
Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.
Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.
Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.
Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.
Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.
Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.
Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.
Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".
Eine Frist von nicht mal 24 Stunden setzt Götzl Zschäpe, um ihr Misstrauen gegen die von ihr zu Prozessbeginn noch akzeptierten drei Pflichtverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm zu begründen. Donnerstag, 14.00 Uhr, muss der Schriftsatz da sein. Einer der beisitzenden Richter redet nach Götzls Hinweis noch heftig auf Zschäpe ein - womöglich mit dem dringlichen Hinweis, dass sie das, was sie da aus dem Nichts angezettelt hat, nun wenigstens stichhaltig begründen muss.
Nach der Überraschung diskutierten die Prozessbeteiligten zwei Fragen: Warum hat sie das gemacht? Und wie geht es jetzt weiter? Lehnt das Gericht ihren Antrag ab, behalten die Pflichtverteidiger ihr Mandat. Doch dann müssen sie mit einem offen zerrütteten Verhältnis zu ihrer Mandantin dieses Verfahren weiterführen, das als Jahrhundertprozess gilt. Stimmt das Gericht dem Antrag aber zu, müssten schnellstmöglich neue Verteidiger her und diese sich erst einarbeiten - dies könnte aber zu einer Aussetzung des Prozesses für mehrere Wochen führen. Ein Kompromiss könnte nach Auffassung mehrerer Nebenklagevertreter sein, nur einen oder höchstens zwei Verteidiger zu tauschen.
Vermutung: Zschäpe will ihr Bild in der Öffentlichkeit mitbestimmen
Für das Warum des Misstrauensantrags hat Johannes Pausch, zweiter Verteidiger von Carsten S., eine Vermutung. Am Vormittag hatten Zschäpes Anwälte Tino Brandt zu dessen Äußerung befragt, Zschäpe sei in der rechten Szene in Thüringen damals als "keine dumme Hausfrau" wahrgenommen worden. Pausch glaubt, dass Zschäpe zu solchen Charakterisierungen und den Aussagen anderer Zeugen einfach nicht mehr schweigen will, sondern selbst ihr Bild in der Öffentlichkeit mitbestimmen möchte. "Sie ist vom Typ her doch eher jemand, der etwas sagen will", sagt Pausch.
Die Spekulation des Anwalts passt zu Zschäpes Aussage unmittelbar nach ihrer Verhaftung Ende 2011: Damals hatte sie Polizisten gesagt, sie stelle sich nicht, um zu schweigen. Im NSU-Prozess allerdings schwieg sie dennoch bislang - auf Anraten ihrer Verteidiger. Pausch sagt, für diese Linie des Schweigens gebe es aus Sicht der Verteidigung sicher gute Argumente. "Aus meinem Herzen heraus hätte ich ihr aber geraten, zu reden. Sie ist es uns einfach schuldig."