Nach Befangenheitsanträgen im NSU-Prozess hat das Gericht den für Mittwoch angesetzten Verhandlungstermin abgesagt. Die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe hatten gegen sämtliche Richter des Strafsenats Ablehnungsanträge wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt. Vorangegangen war ein Streit um Anwaltsgebühren.
Nun müssen drei Richter eines anderen Senats des Oberlandesgerichts München über die Anträge entscheiden. Wann genau das geschieht, sei nicht abzusehen, sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am Dienstag. Deshalb werde der für Mittwoch angesetzte Termin gestrichen.
Streit um Honorar: Zschäpe-Anwalt fordert Gebührenvorschuss
Zschäpe-Anwalt Wolfgang Stahl hatte einen Gebührenvorschuss von 77.000 Euro für seine Arbeit während des Ermittlungsverfahrens beantragt. Nach seiner Darstellung - die das Gericht ausdrücklich für "nachvollziehbar" hält - hatte er im Ermittlungsverfahren über den Zeitraum von einem Jahr etwa 770 Stunden an dem Fall gearbeitet.
Das Gericht bewilligte ihm nur 5000 Euro. Nach Ansicht der Verteidiger ist dies zu wenig, um auch nur die laufenden Kanzleikosten zu decken. Dies führe "zu einer wesentlichen Beschränkung und Behinderung" der Verteidigung, heißt es in dem Antrag, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.
Vergütung steht erst nach NSU-Prozess fest
"Wir wussten, dass man von einer Pflichtverteidigung nicht reich wird", sagte Zschäpes Anwältin Anja Sturm in einer Verhandlungspause. "Aber wir müssen weiterhin unsere monatlichen Kanzleikosten und unseren Lebensunterhalt bestreiten, und das ist auf Basis dieser Entscheidung nicht möglich."
Endgültig festgelegt wird die Vergütung erst nach Ende des Prozesses - doch erfahrungsgemäß ist nicht damit zu rechnen, dass dann noch sehr viel Geld nachkommt. Anwalt Stahl nahm am Dienstag nicht an der Verhandlung teil.
Neuer Befangenheitsantrag beim NSU-Prozess
Außerdem kritisieren die Anwälte eine Formulierung aus dem Beschluss des Gerichts. Darin heißt es, das Verfahren sei "im Hinblick auf die tatsächlichen Probleme des Tatnachweises besonders schwierig". Darin sehen die Anwälte ein Anzeichen dafür, dass die Richter "hinsichtlich der Frage der strafrechtlichen Schuld unserer Mandantin innerlich nicht mehr neutral sind". Der Richter, der den Beschluss formuliert hat, sei "offenkundig davon überzeugt, dass dem Senat ein Tatnachweis "gelingen" werde".
Am Nachmittag legten die Zschäpe-Verteidiger dann nach - und stellten einen weiteren Befangenheitsantrag. Sie müssten davon ausgehen, dass einer der Richter in seiner dienstlichen Stellungnahme zu dem ersten Antrag unzutreffende Angaben gemacht habe, hieß es.
Opfervertreter: Antrag von Zschäpe-Anwälten "peinlich"
Das ist Beate Zschäpe
Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.
Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.
Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.
Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.
Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.
Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.
Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.
Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.
Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.
Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".
Zschäpe ist als mutmaßliche Mittäterin bei den Mordanschlägen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) angeklagt. Der Neonazi-Terrorgruppe werden unter anderem zehn Morde zur Last gelegt. Bereits zu Prozessbeginn hatten Zschäpes Verteidiger einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter gestellt, der aber abgelehnt wurde.
Opferanwälte kritisierten das Vorgehen der Verteidigung. "Ich finde den Antrag peinlich", sagte Seda Basay, die die Witwe des ermordeten Enver Simsek vertritt. "In der Sache stimmt es, dass 5000 Euro Vergütung für das Ermittlungsverfahren zu wenig sind. Aber das ist kein Befangenheitsgrund. Der Antrag dient einfach der Verzögerung des Verfahrens." Nebenklagevertreterin Edith Lunnebach meinte, "das hat schon was von absurdem Theater, dass wir einen ganzen Tag damit zubringen".
Verhandlung wegen Befangenheitsantrag abgesagt
Doch es kam noch schlimmer: Über die Befangenheitsgesuche müssen drei Richter eines anderen Senats entscheiden. Diese haben zum Teil aber am Mittwoch selbst Verhandlungen. Es sei deshalb ungewiss, wann über die Anträge entschieden werde, sagte der Vorsitzende Götzl. Deshalb sagte er die für Mittwoch angesetzte Verhandlung ganz ab.
Eigentlich wollte sich das Gericht am Dienstag mit dem Mord an Mehmet Turgut am 25. Februar 2004 befassen. Zwei seiner Brüder waren eigens angereist, um die Verhandlung anzuschauen. dpa