Sie schweigt. Wie ihre Stimme klingt, weiß kaum jemand. In einigen Medien ist Beate Zschäpe die "Nazibraut" oder der "Teufel". Die Reporter beobachten die mutmaßliche Terroristin und Mordgehilfin beim NSU-Prozess im Münchner Gerichtssaal so genau wie Wissenschaftler eine Versuchsreihe im Labor. Den Hosenanzug. Wie Zschäpe die Arme verschränkt und sich umdreht. Ihre Kreolen an den Ohren. Dass sie sich ein Bonbon nimmt. "Zschäpe trägt einen schwarzen Pulli mit V-Ausschnitt, darunter ein gelbes Poloshirt", steht unter einem Zeitungsfoto. Auf diesem ist genau das zu sehen.
Wie eine "Geschäftsfrau" wirkt sie auf die Beobachter. Einen "eitlen Auftritt" und "das blasse Gesicht des Terrors" beschreiben die Zeitungen in den ersten Prozesstagen. Die "Bild" titelt: "Der Teufel hat sich schick gemacht". Kolumnist Franz Josef Wagner beginnt seinen Brief an die NSU-Hinterbliebenen mit "Da kam sie rein, die unheimliche Nazi-Mörder-Braut". Dass Zschäpe nichts sagt, noch nicht einmal ihren Namen, lässt viele Lesarten zu. Ist sie stolz, abweisend, kokett oder selbstbewusst? Oder versucht sie, ihre Unsicherheit zu überspielen?
Das Gericht wirft der Hauptangeklagten Mittäterschaft und den vier Mitangeklagten Beihilfe zu Morden und Terroranschlägen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) vor. Vieles wurde schon vor dem Prozess über Beate Zschäpe und ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ausgegraben - bis hin zum Spitznamen "Diddlmaus", ihrer Vorliebe für Katzen oder dem Ostsee-Urlaub des Trios auf Fehmarn. Im Gerichtssaal lassen sich bei Zschäpe nur noch die Äußerlichkeiten deuten, während der Prozess aus Sicht der Opfer quälend langsam in Gang kommt.
Auch große Tageszeitungen beschäftigen sich mit Zschäpes Äußerem
Sie wird so zur Projektionsfläche - nicht nur die Boulevardmedien, auch andere große Tageszeitungen beschäftigen sich mit Zschäpes Äußerem. "Viele Berichterstatter vertreten ihre Hilflosigkeit mit großer Entschiedenheit", kritisierte die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung".
Die juristische Aufarbeitung der NSU-Morde
Der Prozess: Er begann im Mai 2013 vor dem Oberlandesgericht München und kann, so wird geschätzt, bis zu zweieinhalb Jahre dauern.
Die Angeklagten: Auf der Anklagebank sitzen die 38-jährige, in Jena geborene mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe sowie vier Helfer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).
Die Anklage: Dem NSU werden zehn Morde in den Jahren 2000 bis 2007 angelastet. Acht der Opfer waren türkischer Abstammung, ein Mann war Grieche.
Letztes Opfer war die Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter.
Alle wurden kaltblütig erschossen, aus nächster Nähe. Hinzu kamen zwei Sprengstoffanschläge mit 23 Verletzten.
Die mutmaßlichen Täter und NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich kurz vor ihrer Festnahme töteten, entkamen immer unerkannt.
Beate Zschäpe, so die Anklage, soll Mitglied der Terrorgruppe gewesen sein.
Das Gericht: Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts wird auch Staatsschutzsenat genannt. Er ist mit fünf Berufsrichtern besetzt.
Der Senat ist zuständig bei Anklagen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Offenbarung von Staatsgeheimnissen.
2012 hatte er zum Beispiel einen Freispruch gegen einen Journalisten aufgehoben, der den Schauspieler Ottfried Fischer mit einem Sex-Video zu einem Interview genötigt haben soll.
Außerdem werden dort sämtliche Terrorprozesse in Bayern verhandelt. Der Strafsenat verhandelt auch Revisionsverfahren.
Der Vorsitzende: Richter Manfred Götzl hat seine Karriere 1983 als Staatsanwalt begonnen. Er ist dafür bekannt, dass er sich strikt, fast bürokratisch an Regeln hält.
In sieben Jahren als Schwurgerichtsvorsitzender kassierte der Bundesgerichtshof nur ein einziges seiner Urteile.
Nebenkläger: Das Gericht hat 71 Nebenkläger eingeplant, darunter vor allem Angehörige der Mordopfer. (dpa/AZ)
Dazu kommt, dass Frauen vor Gericht eine extra-schaurige Faszination ausüben, wohl auch, weil sie vergleichsweise selten wegen Kapitalverbrechen angeklagt sind. Vera Brühne bekam in einem der berühmten Mordprozesse der Nachkriegszeit das Etikett der geldgierigen Lebedame verpasst. Zschäpe ist "Beate, die nette Nazibraut". Eine Gesellschaft grenzt sich ab, und sei es mit ironischem Unterton.
"Ich war überrascht, dass die Medien anfangs auf das Spiel, die Inszenierung hereingefallen sind", sagt der Politologe Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin. Er habe nicht verstanden, warum so breit über Zschäpes Kostüm geschrieben worden sei. Das eigentliche Vergehen, dass sie wahrscheinlich eine Mordgehilfin sei, sei anfangs ein bisschen in den Hintergrund gerückt. Hinter dem gutbürgerlichen Auftreten sieht Schroeder eine Verteidigungsstrategie - was, so sagt er, auch die Medien mittlerweile zu kapieren schienen.
Linke: "Standfeste Märtyrerin für die Nazi-Szene"
"Frau Zschäpe versucht, sich als standfeste Märtyrerin für die Nazi-Szene ins Bild zu setzen", sagt Linke-Politikerin Petra Pau, Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag. "Das war durchaus vorauszusehen. Umso fragwürdiger ist es, wenn ihr dabei etliche Medien auch noch helfen." Von einer guten Berichterstattung erwartet Pau, dass "das juristische Prozedere sachkundig erläutert wird und dass bei alledem die Opfer nicht vergessen werden".
Der FU-Wissenschaftler Schroeder plädiert dafür, Äußerlichkeiten allenfalls in einem Nebensatz zu erwähnen und ansonsten die Verteidigungsstrategie zu analysieren. Vor allen Dingen sei es wichtig, dass die "Blutspur", die Opfer des rechten Terrors, nicht in Vergessenheit gerate. Und er erinnert an die Diskussion, die durch den Film über Hannah Arendt wieder aktuell wurde: den Begriff der "Banalität des Bösen", den Arendt beim Prozess gegen den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann prägte. "Das Böse erscheint oft nicht so, wie man denkt, dass es erscheinen müsste."