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NSU-Prozess: Süddeutsche Klassenlotterie

NSU-Prozess

Süddeutsche Klassenlotterie

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    Blick in den Saal 101, in dem der Prozess stattfindet. Nun soll ein modifiziertes Losverfahren entscheiden, welche Medien reindürfen.
    Blick in den Saal 101, in dem der Prozess stattfindet. Nun soll ein modifiziertes Losverfahren entscheiden, welche Medien reindürfen. Foto: Andreas Gebert, dpa

    Der Zufall ist schwierig zu verklagen. Vor allem, wenn man ihn nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zurechtbiegt. Eine Woche hat Richter Manfred Götzl sinniert, bis er ein neues Akkreditierungsverfahren für den NSU-Prozess verfügte. Er wählte ein Losverfahren, hinter dem aber ein ausgeklügeltes Prinzip steckt. So ist es kein Zufall, dass Vertreter türkischer Medien garantiert vier Sitzplätze erhalten. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

    Wie wird sichergestellt, dass türkische Journalisten Plätze bekommen?

    Das Gericht hat die Medien in drei Gruppen unterteilt. Gruppe 2 sind die ausländischen Medien – „deutschsprachige Medien mit Sitz im Ausland und fremdsprachige Medien“, wie sie das Gericht nennt. Sie erhalten zehn der 50 Presseplätze. Vier davon sind für türkische Medien reserviert. Welche genau das sind, entscheidet das Los. Acht der zehn Mordopfer des rechtsextremen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) hatten türkische Wurzeln. Einen Platz bekommt ein griechisches und einen weiteren Platz ein persisch publizierendes Medium. Denn dem NSU wird auch ein Mord an einem griechischstämmigen Händler in München sowie ein Anschlag auf ein iranisches Geschäft in Köln zugeschrieben. Vier Plätze bleiben für andere ausländische Medien.

    Wie viele Plätze erhalten deutsche Medien?

    Für deutsche Medien gibt es insgesamt ein Kontingent von 35 Plätzen. Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München schlüsselt aber detailliert auf: Es gibt zwei Plätze für das öffentlich-rechtliche und zwei weitere für das private Fernsehen, drei Plätze für den öffentlich-rechtlichen und drei weitere für den privaten Rundfunk. Weiter gibt es acht Plätze für Tageszeitungen und vier für wöchentlich erscheinende Printmedien. Die verbleibenden fünf Plätze gehen an deutsche und ausländische Nachrichtenagenturen, zwei davon an deutschsprachige.

    Wie läuft die Verlosung ab? Ist sie öffentlich?

    Im Oberlandesgericht wird es am Montag, 29. April, in etwa zugehen wie bei einer Fußball-WM-Auslosung. Jede Mediengruppe wird einzeln ausgelost. Bestimmte Gruppen sind gesetzt. Ein Notar wird die Auslosung vornehmen, in Anwesenheit einer Protokollkraft und eines Zeugen, den der Notar auswählt. So hat es das Gericht bestimmt. Die Ziehung ist nicht öffentlich.

    Können Journalisten, die im ersten Verfahren einen Platz ergattert haben, jetzt leer ausgehen?

    Die Angeklagten im NSU-Prozess

    Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:

    Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

    Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Ja. Neues Spiel, neues Glück, heißt das Motto. Wer nicht gezogen wird, hat Pech. Im Gegensatz zum ersten Anlauf hat das Gericht jetzt aber eine Art Öffnungsklausel eingebaut: Sitzplatz-Reservierungen dürfen an andere akkreditierte Journalisten weitergegeben werden.

    Ist der Ärger damit ausgestanden?

    Nicht ganz. Die Kritik am neuen Platzvergabe-Verfahren ist zwar deutlich leiser geworden, aber nicht ganz verstummt. So bemängeln Journalistenverbände, dass freiberufliche Journalisten praktisch ausgeschlossen seien. Ein Journalist, der bereits einen Sitzplatz sicher hatte, kündigte an, dass er auf dem Platz beharren und sich an das Bundesverfassungsgericht wenden will. Einer Klage leer Ausgegangener räumen Juristen jedoch wenig Chancen ein. Die Karlsruher Richter hatten selbst eine komplette Neuvergabe für möglich erklärt.

    Wird es eine Video-Übertragung in einen anderen Gerichtssaal geben?

    Nein. Hier hat sich das Oberlandesgericht nicht bewegt. Diese Frage wirft beträchtliche rechtliche Probleme auf. So sind nach dem Gerichtsverfassungsgesetz Aufnahmen im Gerichtssaal „zum Zwecke der öffentlichen Vorführung“ nicht zulässig. Viele Juristen halten diese Lösung aber für möglich, wenn nur Journalisten zum Zweck der Berichterstattung die Übertragung sehen können. Der Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH), Klaus Tolksdorf, hat dagegen Bedenken gegen die Videoübertragung. Die rechtlichen Fragen seien „hoch schwierig“. Im Fall einer Revision im NSU-Prozess wäre der Bundesgerichtshof zuständig. (mit dpa)

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