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NSU-Prozess: NSU-Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben ist frei - zumindest vorerst

NSU-Prozess

NSU-Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben ist frei - zumindest vorerst

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    Ralf Wohlleben im Gerichtssaal in München.
    Ralf Wohlleben im Gerichtssaal in München. Foto:  Andreas Gebert, dpa (Archivbild)

    Der Waffenbeschaffer für den "Nationalsozialistischen Untergrund", Ralf Wohlleben, ist aus dem Gefängnis entlassen worden. Er verließ am Mittwochmorgen die Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München, wie eine Sprecherin des Gefängnisses sagte. Wo sich der 43-Jährige nach seiner Freilassung befand, war zunächst unklar. Sicherheitsbehörden rechnen damit, dass er nach Sachsen-Anhalt zieht.

    Generalbundesanwalt hält Haftstarfe für Wohlleben nicht mehr für erforderlich

     Im NSU-Prozess war Wohlleben am Mittwoch vergangener Woche zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgericht hatte ihn der Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hatte dem ehemaligen NPD-Funktionär vorgeworfen, die NSU-Mordwaffe vom Typ "Ceska" organisiert zu haben. Damit hatten die Neonazi-Terroristen später neun Menschen erschossen.

    Wohlleben war vor mehr als sechseinhalb Jahren in Untersuchungshaft genommen worden, weil die Gefahr bestand, dass er fliehen und sich so dem NSU-Prozess entziehen könnte. Seine Anwälte hatten nach dem Urteil Beschwerde gegen den Haftbefehl. Am Dienstag sei dieser aufgehoben worden, teilte das Gericht mit.

    Aus Sicht der Richter besteht keine Gefahr mehr, dass Wohlleben fliehen und somit dem weiteren Verfahren fernbleiben könnte. Sie argumentieren laut einem Sprecher vor allem damit, dass er nur noch maximal drei Jahre und vier Monate ins Gefängnis müsste. Auch die Bundesanwaltschaft hatte dagegen nichts einzuwenden. 

    Wird Urteil rechtskräftig, muss Wohlleben wieder in Haft

    Im Zeitraffer: Zentrale Verhandlungstage des NSU-Prozesses

    Es war eine akribische, oft zähe Suche nach der Wahrheit im Münchner NSU-Prozess. Sie dauerte mehr als fünf Jahre und mehr als 430 Verhandlungstage. Die wichtigsten davon im Rückblick:

    6. Mai 2013: Der Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten Ralf Wohlleben, André E., Carsten S. und Holger G. beginnt. Am 14. Mai wird die Anklage verlesen.

    4. Juni 2013: Carsten S. beginnt seine Aussage. Er räumt ein, eine Waffe für den «Nationalsozialistischen Untergrund» besorgt zu haben. Zwei Tage später räumt Holger G. ein, dem NSU geholfen zu haben.

    1. Oktober 2013: Der Vater des Mordopfers Ismail Yozgat tritt als Zeuge auf: Er wirft sich auf den Boden, um die Position seines sterbenden Sohns zu beschreiben. Am Tag darauf appelliert dessen Mutter eindringlich an Zschäpe, zur Aufklärung beizutragen.

    16. Januar 2014: Der Polizist Martin A., der beinahe das elfte Todesopfer des NSU geworden wäre, sagt im Prozess als Zeuge aus.

    16. Juli 2014: Das Hickhack um Zschäpes Verteidiger beginnt: Sie gibt an, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Pflichtverteidiger. Wenig später schmettert das Gericht ihren Antrag auf neue Anwälte ab.

    6. Juli 2015: Der Krach geht weiter - deshalb ordnet das Gericht Zschäpe einen vierten Pflichtverteidiger bei: Mathias Grasel. Ihre Alt-Verteidiger scheitern mit Versuchen, von den Mandaten entbunden zu werden. Einmal zeigt Zschäpe die drei sogar an - erfolglos.

    9. Dezember 2015: Zschäpe äußert sich erstmals vor Gericht: Am 249. Verhandlungstag verliest ihr neuer Anwalt Grasel eine Aussage. Darin räumt sie ein, von den Banküberfällen ihrer Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewusst zu haben. Sie gesteht, die letzte Fluchtwohnung des Trios in Zwickau in Brand gesteckt zu haben. Aber von den Morden und Anschlägen will sie immer erst im Nachhinein erfahren haben.

    16. Dezember 2015: Auch Wohlleben bricht sein Schweigen. Er bestreitet, eine der Mordwaffen, die "Ceska", beschafft zu haben.

    29. September 2016: Nach dreieinhalb Jahren ergreift Zschäpe zum ersten Mal persönlich das Wort - für eine kurze Erklärung: Sie bedauere ihr «Fehlverhalten» und sie verurteile, was ihre Freunde Mundlos und Böhnhardt den Opfern «angetan haben».

    17. Januar 2017: Der Psychiater Henning Saß bescheinigt Zschäpe volle Schuldfähigkeit; sie sei möglicherweise noch immer gefährlich.

    3. Mai 2017: Der von Zschäpes Vertrauensanwälten benannte Gutachter Joachim Bauer attestiert Zschäpe verminderte Schuldfähigkeit. Doch das Gericht lehnt Bauer später wegen befürchteter Parteilichkeit ab.

    25. Juli 2017: Die Bundesanwaltschaft beginnt mit ihrem Plädoyer.

    12. September 2017: Bundesanwalt Herbert Diemer fordert lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung für Zschäpe und teils lange Haftstrafen für die Mitangeklagten. Am 13. September erlässt das Gericht Haftbefehl auch gegen André E.

    15. November 2017: Nach zwei Monaten Stillstand wegen zahlreicher Befangenheitsanträge beginnen die Plädoyers der Nebenkläger - mit Frontalangriffen auf Zschäpe, aber auch auf die Bundesanwaltschaft.

    24. April 2018: Die Verteidiger-Plädoyers beginnen: Zschäpes Vertrauensanwälte weisen den Anklagevorwurf zurück, die heute 43-Jährige sei Mittäterin an den Morden und Anschlägen des NSU gewesen, und fordern am Ende eine Haftstrafe von unter zehn Jahren.

    3. Juli 2018: Zschäpe und drei der vier Mitangeklagten äußern sich in persönlichen Schlussworten. Zschäpe distanziert sich noch einmal von den NSU-Verbrechen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl kündigt das Urteil für den 11. Juli an.

    11. Juli 2018: Nach mehr als fünf Jahren fällt das Urteil gegen Zschäpe. Sie wird vom Oberlandesgericht München zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihr Verteidiger Wolfgang Heer kündigt an, Revision gegen das Urteil einzulegen...

    ... Die Mitangeklagten bekommen ebenfalls Haftstrafen: Ralf Wohlleben wird als Waffenbeschaffer für den NSU zu zehn Jahren Haft verurteilt. Holger G. zu drei Jahren, André E. zu zwei Jahren und sechs Monaten und Carsten S. zu drei Jahren Jugendstrafe.

    Das Innenministerium in Magdeburg teilte auf Anfrage mit, dass Wohllebens Frau und gemeinsame Kinder ihren Wohnsitz in Sachsen-Anhalt haben. Die Behörden bereiteten sich darauf vor, dass auch Wohlleben selbst seinen Wohnsitz in dem Bundesland nehmen werde. Sachsen-Anhalt befinde sich in enger Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Weitere Details, auch zum genauen Wohnort von Wohllebens Familie, nannte das Ministerium nicht.

    Noch ist das Urteil im NSU-Prozess nicht rechtskräftig. Unter anderem Wohllebens Rechtsanwälte hatten angekündigt, die Entscheidung vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe überprüfen zu lassen. Sollte das Urteil gültig werden, müsste Wohlleben seine Reststrafe antreten. Diese oder ein Teil davon könnten zur Bewährung ausgesetzt werden.

    Die Bundesanwaltschaft hatte Wohlleben außerdem vorgeworfen, er habe gewusst, wofür die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und

    NSU-Prozess: Mehrere Verteidiger wollen Urteil überprüfen lassen

    Nach mehr als fünfeinhalb Jahren NSU-Prozess hatte das Gericht die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Es stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest - damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen. Zschäpes Komplizen Mundlos und Böhnhardt hatten sich am 4. November 2011 nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach erschossen.

    Der Mitangeklagte Holger G. war zu drei Jahren Haft verurteilt worden, André E. zu zwei Jahren und sechs Monaten und Carsten S. zu drei Jahren Jugendstrafe. Gegen das Urteil gegen André E. hatte die Bundesanwaltschaft Revision eingelegt. Mehrere Verteidiger etwa von Zschäpe und Anwälte der Nebenklage hatten ebenfalls angekündigt, das Urteil vom Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen. (dpa)

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