Seit bald einer Woche hängt der NSU-Prozess in der Luft. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe möchte neue Anwälte. Weil es sich um vom Staat bezahlte Pflichtverteidiger handelt, muss darüber das Gericht entscheiden. Nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" soll es sich auch schon festgelegt haben: Zschäpe müsse ihre drei Verteidiger behalten. Eine Bestätigung vom Gericht gab es dafür am Montagabend zunächst nicht.
Ein Prozesstag kostet 100.000 Euro
Experten hatten eine solche Verfügung schon erwartet - nach bisher 128 Prozesstagen und erheblichen Kosten. "100 000 Euro pro Prozesstag werden nicht reichen", vermutet der Regensburger Rechtsprofessor Bernd von Heintschel-Heinegg. Das Gericht hätte zwar "alle drei Verteidiger in Bausch und Bogen auswechseln" können oder auch nur einen oder zwei von ihnen, aber dann könnten "die neuen sagen: Alles auf Null" - sprich: Der Prozess müsste von vorn beginnen.
Das sind die Verteidiger von Beate Zschäpe
Als «Sturm, Stahl und Heer» gehören die Anwälte von Beate Zschäpe neben den Angeklagten zu den prominentesten Beteiligten im NSU-Prozess. Vor allem ihre martialisch klingenden Namen ließen zu Beginn der Verhandlung aufhorchen.
Wolfgang Heer: Im NSU-Prozess ist er der Wortführer der Zschäpe-Verteidigung. Zunächst hatte er das Mandat allein übernommen, seine Kollegen kamen später hinzu.
Mit zahllosen Anträgen brachte er vor allem zu Beginn der Verhandlung die Nebenkläger gegen sich auf. Heer ist kein Mitglied einer Partei und betonte zu Prozessbeginn:_«Das ist kein politisches Verfahren. Es geht darum, dass die Vorwürfe strafrechtlich untersucht werden.»
Geboren wurde er 1973 in Köln. Dort studierte er auch Rechtswissenschaften. Sein Schwerpunkt lag nach Angaben auf der Homepage seiner Kölner Kanzlei, die er gemeinsam mit seiner Kollegin Sturm führt, von Anfang an auf dem Strafrecht. Seit 2004 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.
Wolfgang Stahl: Im Zschäpe-Mandat sieht er auch eine Karrierechance, wie er zu Beginn des Prozesses selbst sagte. «Dies ist aus Verteidigersicht ein ähnlich bedeutendes Verfahren wie die RAF-Verfahren in den 70er Jahren», erklärte er.
In den Scharmützeln mit dem Vorsitzenden Richter hat er auch schon mal wutentbrannt den Verhandlungssaal verlassen.
Stahl ist Fachanwalt für Strafrecht und nach Angaben seiner Koblenzer Kanzlei ausschließlich als Strafverteidiger tätig. Seine Schwerpunkte liegen demnach eigentlich im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Er ist FDP-Mitglied und Oberstleutnant der Reserve und bearbeitete viele Jahre Wehrstraf- und Wehrdisziplinarsachen der Bundeswehr.
Anja Sturm: Anja Sturm wurde nach Angaben auf der Homepage ihrer Kanzlei 1970 in Ithaca in den USA geboren, studierte Rechtswissenschaften in Bayreuth und Kiel und machte sich 1999 als Anwältin in Berlin selbstständig, seit 2003 ist sie Fachanwältin für Strafrecht.
Nach der Geburt ihrer Kinder ging sie 2004 nach München. Seit 2012 arbeitete sie in einer renommierten Berliner Kanzlei - bis sie das Zschäpe-Mandat übernahm.
Ein Jahr später wechselte Anja Sturm in eine gemeinsame Kanzlei mit ihrem Kollegen Heer in Köln. Ihre Berliner Kanzlei soll sie zuvor für ihre Mandatsübernahme im Fall Zschäpe kritisiert haben. Mitglied einer Partei ist sie nicht.
«Als Verteidigerin reizt mich das Gefühl, einer der Übermacht des Staates ausgelieferten Person mit rechtlichen Mitteln beizustehen», sagte Sturm. «Auch Frau Zschäpe befindet sich in einer solchen Position.» dpa
Heintschel-Heinegg ist nicht irgendwer. Er war der Vorgänger von Richter Manfred Götzl als Vorsitzender des Münchner Staatsschutzsenats, vor dem sich Zschäpe und ihre mitangeklagten mutmaßlichen Helfer verantworten müssen. Die NSU-Akten kennt er ebenfalls. Er diente dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages als Ermittlungsbeauftragter.
Wenn das Gericht an den Zschäpe-Verteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm festhält, dann könne der Prozess wohl weitergehen wie bisher, meint Heintschel-Heinegg. Das Risiko in diesem Fall? "Kein allzu großes." Zschäpe könne versuchen, ein strenges Urteil mit einer Revision zu kippen, und argumentieren, das Gericht habe seine Fürsorgepflicht verletzt. Dafür gebe es bisher aber keine Rechtsprechung.
Stattdessen schlug der Experte in seinem Blog eine andere Lösung vor: Das Gericht werde "zu prüfen haben, ob nicht ein vierter Pflichtverteidiger beizuordnen ist, der das volle Vertrauen der Angeklagten hat". Das allerdings scheint das Müncher Gericht nicht so zu sehen.
Beate Zschäpe könnte ein Urteil anfechten
Ähnlich wie Heintschel-Heinegg beurteilt der Frankfurter Rechtsprofessor Matthias Jahn die Lage. Die Gefahr, dass das Urteil mit einer Revision kassiert werde, sei gering, wenn das Gericht alles so lasse, wie es ist. Zschäpe könne zwar versuchen, ein Urteil anzufechten, aber sie müsse dann "hypothetisch durchspielen", wie der Prozess mit Verteidigern ihres Vertrauens gelaufen wäre. "Und da", so Jahn, "sind wir auf hoher See".
Jahn verweist auf einen Fall, bei dem der Bundesgerichtshof die Revision eines Holocaust-Leugners akzeptiert habe, weil sich dessen Anwalt zu passiv verhalten habe. In diesem Fall hatte allerdings auch der Anwalt selber das Gericht gebeten, ihn aus seiner Pflicht zu entlassen, und nicht nur der Angeklagte. Das Gericht hatte abgelehnt.
Fälle wie diesen werde das Münchner Oberlandesgericht vermutlich auch kennen und berücksichtigen, sagt Jahn. Die Frage, wie mit der Entlassung von Pflichtverteidigern umzugehen ist, sei gesetzlich nicht geregelt, sondern beruhe allein auf höchstrichterlichen Urteilen - was Jahn ausdrücklich bedauert. "Warum sollen Beschuldigte mit Pflichtverteidigern schlechter gestellt werden?", fragt er. Angeklagte mit Wahlverteidigern könnten ihre Anwälte nämlich jederzeit selber auswechseln. AZ/dpa